Kommentar Preis für Dieter Hanitzsch: Antisemitische Bildsprache
Dem kritikresistenten Dieter Hanitzsch wird ein Preis verliehen, obwohl er eine antisemitische Karikatur veröffentlichte. Das ist skandalös.
D ass dem Karikaturisten Dieter Hanitzsch am Donnerstag in München der Ernst-Hoferichter-Preis verliehen wird, ist ein Skandal. Denn: Hanitzsch hatte im Mai 2018 in der Süddeutschen Zeitung eine Karikatur veröffentlicht, die sich verschiedenen Aspekten der antisemitischen Ikonografie bedient. Darin wird die israelische Gewinnerin des Eurovision Song Contests (ESC), Netta Barzilai, mit dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu in eins gesetzt.
Die Darstellung physiogomischer Merkmale wie wulstige Lippen, riesige Ohren und eine große Nase könnten dabei gutwillig noch als karikaturistisches Stilmittel der Überzeichnung gewertet werden. Problematischer ist vielmehr, dass der ESC in der Zeichnung zum Propagandaevent Israels umgedeutet und die im antisemitischen Weltbild verankerte Vorstellung von kriegslüsternen und mächtigen Juden bedient wird. Dass die Sängerin Netta in Wahrheit von der israelischen Regierung gesteuert würde, ist zudem eine klassische antisemitische Verschwörungsfantasie, nach der Juden weltweit für israelische Politik in Kollektivhaftung genommen werden.
Nachdem Hanitzsch bei der SZ gekündigt wurde, zeichnet seit Juli für die Abendzeitung. Dort gilt Hanitzsch offenbar – beschämenderweise – als Verkaufsargument: Wöchentlich wird er dort großformatig auf den in der ganzen Stadt verteilten Zeitungskästen angekündigt.
Die Veröffentlichung einer Karikatur, die zentrale antisemitische Motive verbreitet, hat ihm also wenig geschadet. Die Frage, ob Hanitzsch selbst ein antisemitisches Weltbild vertritt, ob er als Antisemit bezeichnet werden kann und ob er die Stereotype absichtlich verbreitet hat, spielen in der Bewertung der Zeichnung selbst dabei keine Rolle. Die Wurzeln antisemitischer Affekt- und Denkstrukturen liegen schließlich oft im Unbewussten.
Wenn sein Laudator, der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, von einem „einem sehr kleinen Kreis“ spricht, der versuche, „Druck auf die Stadtpolitik auszuüben“, spielt er damit die Sorgen der Münchner Juden herunter. Auch Hanitzsch hat die Kritik aus der jüdischen Gemeinde, von Antisemitismusforschern und Journalisten nicht ernstgenommen und zeigt sich bis heute uneinsichtig. Die Karikatur bereue er nicht. Ihn trotz dieser Kritikresistenz mit einem Preis zu ehren, führt zu einer Verharmlosung antisemitischer Bildsprache.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Protestaktion gegen CDU-Chef Merz
Alle Tassen im Konrad-Adenauer-Haus?
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza
USA in der Ukraine
Geheime Verhandlungen mit der Opposition
Schwarz-rote Sondierungen abgeschlossen
Union und SPD wollen gemeinsam regieren
CDU-Politiker boykottiert Radio Bremen
Zu links, zu grün, zu schlecht
Wählen mit Migrationshintergrund
Studie zu Wahlverhalten und Herkunft