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Kommentar Pestizid GlyphosatEU wieder einmal Sündenbock

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Die Europäische Union hat die Zulassung des Pestizids Glyphosat verlängert. Daran gibt es Kritik. Die Schuldigen sind aber die Nationalregierungen.

Rauf auf den Acker Foto: dpa

A rme EU. Immer wieder muss sie ausbaden, was nationale Regierungen angerichtet haben. Jüngstes Beispiel: die gerade beschlossene Verlängerung der Zulassung für das Pestizid Glyphosat, das unter Krebsverdacht steht.

Zwar stimmt es, dass die EU-Kommission das meist verkaufte Ackergift für weitere 18 Monate erlaubt hat. Gegen den Willen der meisten Deutschen, wie Umfragen belegen. Aber die Begründung dafür kam aus Berlin: vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Diese deutsche Behörde hatte Glyphosat für die EU untersucht und den ordnungsgemäßen Gebrauch für unbedenklich erklärt. Obwohl die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation das Mittel nach einschlägigen Tierversuchen als „wahrscheinlich krebserregend“ einstufte. Wegen des industriefreundlichen Gutachtens aus Deutschland blieb der EU-Kommission gemäß der Pestizidzulassungsverordnung kaum ein Ausweg, als das Pestizid weiter zu erlauben.

Dennoch hätten die Regierungen der EU-Staaten Glyphosat stoppen können. Mehrmals haben sie über die neue Zulassung in einem Ausschuss der Union abgestimmt. Immer wieder verfehlten sie die nötige Mehrheit dafür oder dagegen. Vor allem, weil Staaten wie Deutschland sich enthielten. Hätten sie mit Nein votiert, wäre die aktuelle Erlaubnis von Glyphosat an diesem Donnerstag ausgelaufen.

Aber für Kanzlerin Angela Merkel, eine Glyphosat-Befürworterin, war die Enthaltung bequemer: Damit erreicht die CDU-Politikerin ihr Ziel, aber in der Öffentlichkeit muss nicht in erster Linie sie den Kopf dafür hinhalten, sondern „Brüssel“. So hat sie es auch schon gemacht, als auf EU-Ebene der Import bestimmter gentechnisch veränderter Organismen wie Monsantos Sojabohnen zuzulassen waren.

Es hat also keinen Sinn, nun auf die EU zu schimpfen und zu fordern, dass sie weniger Macht bekommen sollte. Vielmehr müssen zum Beispiel wir in Deutschland unsere Regierung ändern – etwa bei der nächsten Bundestagswahl.

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 in der Kategorie Essay, 2018, 2017 und 2014 Journalistenpreis "Grüne Reportage". 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2013 nominiert für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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7 Kommentare

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  • Mhh, ich glaube in dem Artikel kommt die EU zu gut weg. Und hatte der Autor nicht vor Wochen noch große Hoffnung die Kommision würde Glyphosat verbieten?

     

    Sicherlich ist es so, dass gerne mal nationale Politiker ihr Versagen nach Brüssel schieben, aber der Vorgang zeigt doch genau wieso Menschen von der EU enttäuscht sind. Eigentlich sollte sie zu europäischer Zusammenarbeit führen, nur hier wird 3 mal abgestimmt, man ist sich nicht einig, dann wird es weitergereicht an eine Kommision die für die meisten Menschen keine demokratisch nachvollziehbare Legitimation hat und die entscheidet nach Gutdünken. Keine Mediation, kein Kompromiss. Es ist nicht verwunderlich, dass dort Menschen sich übergangen fühlen, weil im wahrsten Sinne des Wortes ihre gewählten Vertreter hier übergangen werden!

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    "Wegen des industriefreundlichen Gutachtens aus Deutschland blieb der EU-Kommission gemäß der Pestizidzulassungsverordnung kaum ein Ausweg, als das Pestizid weiter zu erlauben."

     

    Als ob man die industriefreundliche EU-Kommission dazu hätte überreden oder gar überzeugen müssen, die Erlaubnis zu verlängern. Das "Gutachten" kam ihr insofern gerade recht. Die EU-Kommission ist - wie unsere Regierung auch - ein Büttel der Industrie. Die Schuld liegt also sehr wohl in Brüssel und Berlin.

  • Hier eine sehr qualifizierte und differenzierte Berachtung zu Glyphosat:

    http://www.sueddeutsche.de/wissen/unkrautvernichter-falsche-schluesse-im-glyphosatstreit-1.2996480

  • Einfach widderlich.

  • Oder einfach mal die Ratsregeln aendern. Genau wie im deutschen Bundesrat zaehlt dort eine Enthaltung als Ablehnung, d.h. fuer eine Zustimmung muss eine bestimmte Anzahl von Ja-Stimmen noetig sein. Wenn man das durch eine einfache Mehrheit von Ja- uber Neinstimmen ersetzen wuerde haette man viele Probleme weniger...

  • Mag ja alles stimmen.

     

    Mal abgesehen dass das berechtigte oder auch unberechtigte "Brüssel"-Bashing sicherlich nicht hilfreich ist geht das doch am Kern des Problems vorbei.

    Hier würde ja ein "Diktat" aus Brüssel die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung des Landes entsprechen.

     

    Kern des europäischen Problems ist doch aber das die meisten "Diktate" aus Brüssel dies aber genau nicht tun.

    Sparen in Giechenland, Transferunion in den wirtschaftlich starken Ländern, Multikulti in Osteuropa, Energiewende außerhalb Deutschlands, europäische Verfassung, Assozierungsabkommen mit der Ukraine - das alles sind doch Punkte wo sich Brüssler Vorstellung teilweise erheblich von den einzelner Länder unterscheiden.

     

    Es bringt weder was Brüssel als Sündenbock darzustellen und hier ein einem Einzelbeispiel die EU als Heilsbringer hochzujubeln.

  • Danke, schön geschrieben! Seit Jahr und Tag geht das Scheißspiel so: die Erfolge haben stets und heldenhaft die nationalen Regierungen erstritten. Die Adresse für Misserfolge und für alles was nicht funktioniert heißt Brüssel. Wieso gehen die EU-Institutionen nicht mal in die Kommunikationsoffensive? Wissen die nicht was PR ist?