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Kommentar Parlamentswahl FrankreichDas Unbehagen der Bevölkerung

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Eine Mehrheit der Stimmberechtigten verweigert sich der Abstimmung. Der Nährboden für den rechtsextremen Populismus existiert unverändert.

In der Minderheit am Sonntag: Die Wahlbeteiligung hat einen historischen Tiefpunkt erreicht Foto: ap

F rankreichs Wählerinnen und Wähler haben ihrem neuen Präsidenten Emmanuel Macron eine Lektion erteilt: seine Macht soll sich nicht in Hochmut verwandeln. Seine Regierung bekommt in der Nationalversammlung eine absolute Mehrheit, die sie handlungsfähig macht. Aber nicht eine so Übermacht von bis zu vier Fünfteln der Sitze, wie dies die Umfragen nach dem ersten Wahlgang in Aussicht gestellt hatten. Das wollten vielleicht selbst die Macron-Anhänger nicht.

Dass bei den Stichwahlen das Endergebnis entsprechend auf eine Mehrheit in etwas normaleren Dimensionen korrigiert werden konnte, spricht für ein funktionierendes Wahlsystem. Die Botschaft des Stimmvolks an die Regierung ist dabei ebenso deutlich wie die Mehrheit, die diese bekommt: Die Popularität des neuen Staatschefs ist kein Grund zu Übermut oder Arroganz.

Die verschiedenen Oppositionsparteien wurden auch nicht auf ein lächerliches Minimum reduziert – auch wenn einige von ihnen das aufgrund ihrer Vergangenheit verdient gehabt hätten. Und neu ist die französische Linke neben einer stark dezimierten Gruppe von Sozialisten (und einem einzigen Grünen) mit einer Fraktion von „Unbeugsamen“ und Kommunisten mit rund dreißig Abgeordneten vertreten. Das erlaubt den Gegnern der geplanten liberalen Reformen einen effektiven Widerstand.

Trotz dieser positiven Auswirkungen des Votums kann nicht übersehen werden, dass die Wahlbeteiligung einen historischen Tiefpunkt erreicht hat. Das liefert nicht gerade ein Bild einer perfekten Demokratie. Im Gegenteil kommt damit das weiterhin starke Unbehagen ganze Bevölkerungsteile mit dem politischen System und deren Vertretern und darüber hinaus mit den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen zum Ausdruck.

Drohenden Neuauflagen des Faschismus

Die „Demokratieverweigerung“ durch eine Mehrheit der Stimmberechtigten erinnert daran, dass der Nährboden für den rechtsextremen Populismus unverändert existiert. Dass der Front National wegen des Mehrheitswahlrechts wie eine Randgruppe lediglich mit Marine Le Pen und sieben anderen Abgeordneten vertreten ist, könnte leicht einen falschen Eindruck geben.

Macron und seine Regierung haben jetzt den Auftrag, die französischen Verhältnisse mit Entschiedenheit und sozialpolitischer Finesse zu verbessern. Falls ihnen das nicht rasch gelingt und er scheitert wie sein Vorgänger François Hollande, dürfte der Weg für Le Pen bereitet sein. Dann könnte sich Bertolt Brechts düstere Ahnung aus dem „Arturo Ui“ zu drohenden Neuauflagen des Faschismus bestätigen: „Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch…“

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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11 Kommentare

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  • die warnung in bezug auf die möglichkeit eines aufziehenden faschismus ist traurig, richtig. sie aber (allein) mit den nichtwählern zu identifizieren fatal.

    hier wird nur wieder ausgegrenzt, was "zusammen" gehört und bereits im kindergarten losgeht.

    das ist vergleichbar mit dem statement, den jugendlichen die handys wegnehmen zu müssen, weil sie davon dumm und dümmer würden. aber wer eröffnet die möglichkeit für den konsum bzw. den faschismus? die politik und ihr versagen, sich mit der mehrheit der menschen in einklang zu bringen. der faschismus steckt demnach nicht allein in den nichtwählern, sondern in uns allen, die nach wie vor nicht bereit sind, sich mit der dysfunktionalität des systems zu beschäftigen, das wiederum wir alle sind. das huhn und das ei lassen sich nicht trennen.

    oder ist es eine sinnestäuschung, dass sich die symtome in bezug auf radikalität und totalitarismus verschlimmern, je zivilisierter sich der zivilisierte teil die welt gibt? und das ist beileibe kein alleinstellungsmerkmal frankreichs, sonder ein merkmal der globalisierung.

  • Demagoge Melenchon und Hoffnungsträger Macron. Wie schafft ein Präsident Macron von Arbeitern gewählt zu werden, denen er die Rechte und Löhne kürzen und die Arbeitszeit erhöhen will - wenn nicht durch Demagogie - besonders die der Medien....

    • @Henning Lilge:

      Von den Arbeitern sollen sich nur etwa 32 Prozent an der Wahl beteiligt haben. Zudem gab es bei der Stimmabgabe rund 2 Millionen ungültige Wählerstimmen. Rechnet man Macrons tatsächlichen Stimmanteil von allen wahlmündigen Franzosen, so dürfte dieser Anteil unter 20 Prozent liegen. Aber auch mit dieser geringen Zustimmung werden die sozialen Rechte der französischen Arbeiter*innen weiterhin massiv reduziert und die ökonomischen Interessen der franz. Wirtschafts- und Monopolverbände, deren Dividendenvorstände, der franz. Millionäre und Milliardäre (erfolgreich) durchgesetzt. Bei allen kommenden Maßnahmen der neuen politischen Administration des franz. Kapitals bleiben die Interessen der Kapitalisten und Bourgeoisie unberührt. Dabei werden sie von allen deutschen (bürgerlichen) Parteien [sPD-CDU/CSU-AfD-Bündnisgrün etc.] aktiv unterstützt. // Aber letztlich auch von den wirtschafts-liberalsozialdemokratischen Gewerkschaften und "Sozialpartnern".

  • In Savoyen wurde Dominique Dord, Bürgermeister von Aix-les-Bains und früher LR Abgeordnete seit fast 20 Jahren, von Typhanie Degois besiegt. Mit 24 Jahre war sie die jüngste macroniste Kandidatin. http://saintinn-elec....over-blog.com/

  • Die Motive der Nichtwähler sind nicht genau bekannt. Kann auch gut sein, dass viele sagten, Macron gewinnt sowieso, wieso soll ich dann noch extra zum Wahllokal? Wenn jemand dagegen ist, wird da wohl eine höhere Motivation sein, wählen zu gehen. Von daher spricht vieles dafür, dass Nichtwähler Macron tolerieren.

  • Es ist schon dreist, wie der (menschlich vielleicht durchaus sympathische) Demagoge und Hetzer Melenchon die niedrige Wahlbeteiligung für sich reklamiert: in Wirklichkeit hatte er genausowenig wie Marine LePen ein überzeugendes Konzept anzubieten. Im Übrigen:

    'Nur 26 Prozent der jungen Franzosen zwischen 18 und 25 Jahren gaben im zweiten Wahlgang ihre Stimme ab. Besonders niedrig lag die Wahlbeteiligung mit nur 31 Prozent auch bei den Arbeitern.' (FAZ). Und ein grosses Verdienst von Macron: 'Erstmals wird der Frauenanteil mit 233 Volksvertreterinnen auf 38,65 Prozent steigen.'(ebd.)

  • "Die „Demokratieverweigerung“ durch eine Mehrheit der Stimmberechtigten erinnert daran, dass der Nährboden für den rechtsextremen Populismus unverändert existiert."

     

    Tut sie das wirklich? Der FN stand doch zur Wahl...

    Es erinnert lediglich daran, dass die politische Landschaft (inklusive Macron u. Le Pen) die Mehrheit nicht begeistert. Auch von den 43% werden nicht alle gerne zur Wahl gegangen sein.

    Herr Balmer zeichnet hier ein sehr simples Bild von Demokratie und den Gefahren für sie. Vermutlich, weil ihm das erspart, mehr über derzeitige u. künftige soziale u. sozialpolitische Probleme zu verraten (oder nachzudenken).

    Zur Sicherheit greift er das Narrativ am Ende nochmal poetisch auf.

    Er hat nicht verstanden, dass es gerade nicht um die Frage geht, ob und warum ggf. der Schoß des Faschismus noch fruchtbar ist, sondern um die, warum der Schoß der aktuellen Parteiendemokratie so unfruchtbar ist.

     

    Nicht immer fragen: Wie böse sind die andern ganz genau?

    Sondern auch mal (und zuerst und immer wieder): Warum sind wir so schlecht?

    Nicht leicht für einen Macronisten...

  • Stirbt auch der neue König von Frankreich: Louis Macron XVII., durch die Guillotine?

     

    Frankreichs Republik steht am Rande des wirtschaftlichen und sozialen Ruins und könnte im Rahmen der modifiziert absolutistischen Monarchie der neue König Frankreichs mit Hilfe von Dr. Angela Merkel die sozioökonomische Krise bewältigen?

     

    Wird auch König Macron XVII., im Zuge der kommenden sozialrevolutionären Französischen Revolution -- im 21. Jahrhundert, entmachtet und stirbt auch er durch die Guillotine, wie sein Ahnherr Ludwig XVI im späten 18. Jahrhundert?

     

    Merke: Fragen über Fragen zum spätbürgerlichen Zeitgeschehen, -- im europäischen und feudal-kapitalistischen 21. Jahrhundert.

  • Dabei glaubte man die Monarchie gerade in Frankreich dauerhaft und gründlich überwunden in den Köpfen, die nach der französischen Revolution noch dran waren. Eine Wahlbeteiligung von nur 43% kommt allerdings einem eindeutigen und klaren Mißtrauensvotum gegen die Demokratie gleich. Bei Wahlbeteiligungen von unter 70% noch von „Mehrheiten“ zu sprechen, das kann man doch nur als pure Ironie bezeichnen.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Rainer B.:

      Das ist kein Misstrauensvotum gegen die Demokratie, sondern gegen derer korrupten Vertreter wie z.B. Fillon und den Saubermann Bayrou, der wohl doch nicht so sauber ist. Und dazu kommt bei der unteren Mittelschicht ein grosses Misstrauen gegenüber Wahlversprechen, denn wie oft hat man diese Leute schon über den Tisch gezogen. Der letzte, der das gemacht hat, war ein sogenannter Linker, der mit einem gewissen Emmanuel Macron, eine liberale arbeitnehmerfeindliche Wirtschaftspolitik gemacht hat entgegen allen seinen Wahlversprechen. Das alles merken sich die einfachen Wähler oder vielmehr Nichtwähler, die zwar nicht über das gleiche Bildungspotenzial verfügen wie die Wähler von Macron, aber über einen gesunden Menschenverstand. Bei denen hat keiner mehr Kredit. Wer die wieder an die Wahlurnen bringen will, muss denen schon etwas anderes bieten als die Zerstörung des Sozialstaates und des Arbeitsrechts mit Lohnsenkungen und prekären Beschäftigungsverhältnissen.

    • @Rainer B.:

      Das glaubte niemand. Mehrheiten gegen jede Monachrchie gab es erst 100 Jahre später. Die frz. Republik ist seit ca. 1880 halbwegs etabliert - Das "halbwegs" zeigte sich 1940: Nimm die extreme Linke raus und die bekommst eine faschistisch-katholische Mehrheit.

      Das zumindest ist heute nicht mehr so. Aber es gibt kein französisches Demokratie-Gen, einen herausragend demokratischen Staat ohnehin nicht. Da könnte Weimar noch Nachhilfe leisten.

      Was es tatsächlich gibt, ist die (historisch begründete) viel größere Bereitschaft (als in D.), offensiv mitzuteilen, wenn etwas wirklich nicht passt. Macron wird Probleme kriegen - nicht mit Merkel, sondern mit den FranzösInnen.

      Bzgl. Ausnahmezustand ist ja schon vorgesorgt.