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Kommentar OstermärscheIm Wachkoma

Kommentar von Martin Reeh

Die Friedensbewegung hat Probleme mit der Wahrnehmung. Das gilt nicht nur für die Bewertung der eigenen Stärke.

Zwei Mann und eine Taube: Ostermarsch in Berlin. Das war früher ganz anders. Bild: dpa

M an muss schon eine, sagen wir, etwas schwierige Wahrnehmung der Lage haben, um die Ostermarschbewegung nach diesem Wochenende noch wie Manfred Stenner (Netzwerk Friedenskooperative) für „wach und lebendig“ zu halten. Nur wenige hundert Teilnehmer selbst in Großstädten: Das sieht eher nach Wachkoma aus.

Sicherlich ist es zu einfach, die geringe Beteiligung nur auf falsche Positionen, ein zu großes Verständnis für Russland etwa, zu schieben. Zu den Putinverstehern gehören ja nicht nur Teile der Friedensbewegung, sondern auch weite Teile der deutschen Bevölkerung.

Aber die Motivlage ist doch unterschiedlich: Die Deutschen wollen mehrheitlich nicht mehr mit den Krisen der Welt behelligt werden – nicht mit Afghanistan, nicht mit Griechenland, schon gar nicht mit dem fremd gebliebenen Osteuropa. Der Trend geht zum politischen Isolationalismus – und jedes Argument, das den Rückzug auf sich selbst legitimiert, kommt da recht. Aber wer mit Außenpolitik nichts zu tun haben will, geht auch nicht zum Ostermarsch.

Im linken Lager dagegen wird die Friedensbewegung kaum mehr als ein paar DKP-Anhänger mobilisieren können, solange sie Aufrufe wie den zur Ukraine verfasst. Bei dem Beitritt der Krim zu Russland habe es „nicht um eine völkerrechtswidrige Annexion“ gehandelt, „sondern um eine völkerrechtlich umstrittene Sezession“, steht da. Wer das vertritt, öffnet dem militärischen Vorgehen Russlands auch in der Ostukraine Tür und Tor.

Eine wirkliche Friedensbewegung müsste eine Abstimmung unter militärischer Besatzung verurteilen. Aber dazu ist bei der realen Friedensbewegung der Einfluss von Menschen mit einer etwas schwierigen Wahrnehmung der Wirklichkeit zu groß: von denen, die stets den Westen für das Haupthindernis zum Frieden halten.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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9 Kommentare

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  • 9G
    9076 (Profil gelöscht)

    kollektive Vigilanzminderung nenne ich das, wenn nur ein paar wenige auf die Strassenngehen.

    Laut Allensbach- Umfrage hat sich der mediale Dauerbeschuss, mit antirussischen Stilmitteln gelohnt.

    http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/allensbach-umfrage-zum-russlandbild-der-deutschen-12897404.html

  • ".... auf falsche Positionen, ein zu großes Verständnis für Russland etwa, zu schieben. Zu den Putinverstehern gehören ja .... weite Teile der deutschen Bevölkerung. "

    ----------------------------------------------------

    falsche Positionen, so so, "Putinversteher" (steht das auch schon im Duden?), weite Teile der Bevölkerung "mit einer etwas schwierigen Wahrnehmung der Wirklichkeit", so so Herr Reeh... Hervorragender Journalismus, da muss man sich ja - wie bequem- gar keine eigene Meinung mehr bilden, weiter so Taz!

  • Das ist die gefühlte 30´ste Revolution und der hunderste Konflikt, das ist wie früher als drei Bombenanschläge in der Woche Israel erschütterten. Irgendwann haben die Medien das nur noch am Rande erwähnt wenn überhaupt und irgendwann waren alle nur noch gelangweilt von diesem Konflikt außer man ist selber davon betroffen aber andernfalls? Wer interesiert sich den im ernst für die Ukraine und ob die nun in die EU kommt oder nicht? Wenn ich für jeden Konflikt der in letzter Zeit aufgekommen ist auf die Straße gegangen währe hätte man mich als Landstreicher bezeichnet. Ja ich bin gelangweilt von all den Revolutionen und der Author hat das gut auf den Punkt gebracht

    • @penz:

      Eines noch, es ist halb fünf in der früh und meine Rechtsschreibung lässt zu wünschen übrig und ich habe den Text recht hart formuliert. Ich will niemanden damit beleidigen oder die Ukraine herabsetzen in irgendeiner Form.

  • Ob jetzt Annexion oder Sezession. Erstens muss man solche Kriterien auch auf Kosovo u.ä. anwenden. Aber was am wichtigsten ist: "Der Feind steht im eigenen Land". Ich glaube, Liebknecht hat das gesagt - und was vor 100 Jahren zutraf, trifft jetzt exakt genauso zu. Russland, USA und EU/Deutschland sind imperialistische Staaten und Demonstrationen machen nur Sinn, wenn sie sich an den eigenen Staat richten. Ansonsten sind Demonstrationen nur Wasser auf die Mühlen hiesiger Kriegstreiber (auch wenn es momentan 'nur' um einen Bürgerkrieg geht, ohne Einflussnahme von Deutschland-Klitschko, den amerikanischen Stiftungen - G. Soros - und das russische Miltär würde es den Konflikt zwischen West-und Ostukraine gar nicht geben, sondern nur einen zwischen den Oligarchen selbst und einen zwischen der Bevölkerung und den Oligarchen

  • Der Artikel könnte fast genauso auch von Herrn Kohler oder Herrn Frankenberger von der Faz geschrieben worden sein - wirklich erstaunlich.

  • Naja.

    Zu den Friedensmärschen der NATO von Steinmeier bis Merkel kamen noch weniger Menschen: Nämlich Null.

     

    Die Abstimmung auf der Krim hatte ungefähr die Qualität der Saar- oder Kosovo-Abstimmung.

     

    Das Völkerrecht hat zwei Aspekte:

    Territoriale Integrität und Selbstbestimmung.

     

    Betont man territoriale Integrität hätte man Jugoslawien 1991 oder das Habsburger Reich 1918

    nie auflösen dürfen.

     

    Betont man die Selbstbestimmung der Völker, muss man Kriterien/Grössen vorgeben.

     

    Martin Reeh meint:

    Die Friedensbewegung müsste eine Abstimmung unter militärischer Besatzung verurteilen.

     

    Hm.

    Der Westen ist nicht stets das Haupthindernis für den Frieden, Putin aber auch nicht.

  • "die stets den Westen für das Haupthindernis zum Frieden halten."

     

    Man muss schon eine recht selektive Wahrnehmung der Realität haben, um aus den politischen Ereignissen der letzten Jahrzehnte nicht diesen Schluss zu ziehen.

     

    Die taz tut ja nun ihr Möglichstes, um eine solche selektive Wahrnehmung der Realität zu propagieren. Ersatzweise kann man auch versuchen, die Friedensbewegung mit der "Neuen Rechten" in Verbindung zu bringen.

     

    Westdeutsche Zeitung: Ostermarsch zu Ende: Mehr Zulauf wegen Ukraine-Konflikt http://www.wz-newsline.de/home/politik/inland/ostermarsch-zu-ende-mehr-zulauf-wegen-ukraine-konflikt-1.1615595

     

    HNA: Kassel. 700 Menschen, 300 mehr als im vergangenen Jahr, gingen am Montagvormittag in Kassel auf die Straße, um für den Frieden zu demonstrieren. Der Konflikt in der Ukraine und die Angst vor einem Bürgerkrieg könnten für die wachsende Beteiligung am diesjährigen Ostermarsch gesorgt haben. http://www.hna.de/lokales/kassel/zulauf-durch-ukraine-konflikt-3495410.html

     

    rbb: Nachdem am Samstag rund 1.000 Menschen durch Berlin-Mitte gezogen waren, fanden am Sonntag auch in Frankfurt (Oder) und Nauen Ostermärsche statt. Mit rund 100 bzw. 50 Teilnehmern fiel das Echo allerdings mager aus. ... Nur rund 100 Menschen haben sich am Sonntag an einem Ostermarsch in Frankfurt (Oder) beteiligt. Laut rbb-Informationen waren dies aber doppelt so viele wie im Vorjahr http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2014/04/ostermaersche-frankfurt-oder-nauen-brandenburg-2014.html

     

    trueten.de: Nach einer kurzen Auftaktkundgebung zogen die nach Angaben des veranstaltenden Friedensnetzes Baden-Württemberg 1500 TeilnehmerInnen über die Lautenschlager- und die Königsstraße zum Schloßplatz, wo die Abschlußkundgebung stattfand. http://www.trueten.de/archives/8829-800-TeilnehmerInnen-beim-Ostermarsch-in-Stuttgart.html

     

    etc.

     

    Nun ja, die Wahrnehmung...

    • @h4364r:

      Ja, danke für die Links! Hmm? Zu vermuten ist, das Martin Reeh und TAZ nur versuchen ne´ Debatte zu entzünden!

      Ausserdem: Seit den, von Millionen in BRD und EU getragenen Friedensaktionen der 80´er...

      ist der Kalte Krieg zuende,

      Handy-Kultur und das Internet sind neue, übergreifende Informationstechnologien...

      Es haben sich neue Parameter entwickelt. TAZ z.B. ist `Online´!

      Das ergibt neue Formen des Protests..