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Kommentar Opposition im BundestagKein Grund zur Panik

Hanna Voß
Kommentar von Hanna Voß

Mit der Vereidigung der neuen Regierung wird die AfD offiziell zur Oppositionsführerin. Verloren ist die Demokratie damit noch nicht.

Muss man vor Alexander Gauland und seiner Partei Angst haben? Nicht wirklich Foto: reuters

W enn Angela Merkel am Mittwoch zum vierten Mal zur Kanzlerin gewählt wird, tritt gleichsam das ein, was viele als denkbar schlimmstes Szenario gezeichnet haben: Die AfD wird Oppositionsführerin. Da können wir mit unserer pluralistischen Demokratie ja gleich einpacken. Oder?

Nun mal halblang. Seit es die AfD gibt, sind, wie Studien belegen, nicht mehr Menschen in Deutschland rassistisch geworden. Die AfD ist groß geworden, weil die übrigen Parteien Stimmungen in der Bevölkerung saumselig ignoriert oder für wenig beachtenswert gehalten haben; die Angst vor einem sozialen Abstieg, vor den Folgen der Globalisierung, die Sehnsucht nach einer verbindenden Identität.

Dass die AfD nun als größte Oppositionspartei im Bundestag sitzt, führt allen Beteiligten vor Augen, wie falsch sie lagen. Und das muss nicht nur schlecht sein. Es ist allemal besser, als wenn jene Bedürfnisse in der Bevölkerung verschleiert würden. Wenn der Eindruck bleiben würde, es seien keine legitimen Anliegen. Die AfD bindet ihre Klientel mit Marginalisierung und Opferstatus. Was, wenn das nicht länger funktioniert?

Dafür müssen die anderen Parteien jedoch auch beginnen, auf die AfD inhaltlich zu reagieren. Über jede Äußerung aufgeregt zu schäumen dient oft nur der Selbstvergewisserung, nicht aber dem Ringen um das bessere Argument. Union und SPD haben mit Heimatministerium und Jens Spahn einmal mehr bewiesen, dass sie die eigentlichen Probleme nicht lokalisiert haben. Dass sie sich lieber auf dem reaktionären AfD-Parkett bewegen, als die tatsächlichen Ursachen der Unzufriedenheit zu beheben.

Umso wichtiger wird es für Linkspartei und Grüne, zu zeigen, dass sie begriffen haben, was es allen voran braucht: Investitionen in die Infrastruktur, eine Reform des Rentensystems und dass sich der Staat aus dem ländlichen Raum Deutschlands nicht immer weiter zurückzieht. Als linke Opposition zählen Grüne und Linkspartei zusammen 18,1 Prozent. Die AfD kommt gerade mal auf 12,6.

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Hanna Voß
Reporterin
Volontariat bei der taz, danach Redakteurin der taz am Wochenende. Lebt heute in Beirut, wo sie für die Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitet. Kommt ursprünglich aus Dortmund.
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15 Kommentare

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  • Führer geworden. Ziel erreicht. Er ist wieder Da! ;-)

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...die Demokratie ist bereits verloren, Frau Hanna Voss. Lesen Sie einfach Ihren ersten Satz im Artikel und Sie verstehen, was ich meine.

  • Erst: „... die Angst [der Bevölkerung] vor einem sozialen Abstieg, vor den Folgen der Globalisierung, die Sehnsucht nach einer verbindenden Identität.“

     

    Dann: „... was es allen voran braucht: Investitionen in die Infrastruktur, eine Reform des Rentensystems und dass sich der Staat aus dem ländlichen Raum Deutschlands nicht immer weiter zurückzieht.“

     

    Finde den Fehler.

     

    „Wir schaffen das“ - war da was?

  • Jede Stimme für die AfD führt uns näher zum Bürgerkrieg. Die AfD, mit deren geistigen Führern Trump und Putin, führt uns direkt in die Katastrophe!

  • Es soll das Wesen der Opposition sein dass sie der Regierung nicht nach dem Maul redet. Den Finger in die Wunden der Regierungspolitik steckt. Irgend etwas müßen da einige Opportunisten nicht verstanden haben.

  • Na , das ist doch mein Reden- Deutschland ist bunt , wir brauchen Vielfalt, -jetzt auch im Bundestag.

    (Ironie Ende)

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Welche Stimmungen haben die anderen Parteien in der Bevölkerung "saumselig ignoriert" ?

    Es gibt in Deutschland (wie überall) Nazis, die aus ihrem inneren Schweinehund keinen Hehl machen möchten. Diese früher als "besorgte Bürger" klassifizierten - hasserfüllten braunen Schreihälse - lassen sich durch nichts erreichen: Weder durch Argumente, Logik, Sachpolitik oder Mitmenschlichkeit, auch nicht durch soziale Wohltaten. Diese Menschen wollen hassen und wollen repräsentiert sein durch ihresgleichen. Es ist dabei vollkommen egal, wie oft das angeblich wichtigste "Problem" in Deutschland, die Flüchtlingsfrage, durchgekaut wird in Medien, Politik und Öffentlichkeit. Es ist egal, wie oft die armen Nazis an der Hand genommen werden, Verständnis für ihre Unmenschlichkeit gezeigt wird, wie sehr der Staat ihnen legislativ entgegenkommt (das Asylrecht besteht nur noch auf dem Papier, die Flüchtlingsrouten sind dicht, ey gibt de facto eine Obergrenze, die Parteien überbieten sich geradezu im Wettbewerb um Verschärfung des Ausländerrechts).

    Damit muss man sich abfinden. Warum die erste Oppositionsrolle nicht durch die SPD ausgefüllt wird, wie sie dies kurz nach der Wahl fest versprochen hat, muss die Partei selbst beantworten.

    Warum in Deutschland panische Ängste vor einer Minderheitsregierung herrschen, verstehe wer will. Anderswo ist dies längst Realität, ebenso wie lange Zeiten der Regierungsbildung. (Und hat die geschäfstführende Regierung nicht geräuschlos gut gearbeitet ?)

    Wie in diesen anderen Ländern leider auch die Naziparteien Realität sind.

    Bleibt zu hoffen, dass der Hass abebbt und sich die AfD endlich entzaubert. Leider hat man den Eindruck, dass deren Protagonisten ungestraft jeden Mist verzapfen können.

    Und der Blick nach Österreich lehrt, dass selbst unglaublich schlechte Politik (der FPÖ im Bund und in Kärnten) nicht vor fröhlicher Wiederwahl schützt ...

  • "eine Reform des Rentensystems"

     

    Von Linkspartei und Grünen? Wem wollen die denn was wegnehmen? Reform des Rentensystems heißt Umverteilung. Überversorgte und beitragslose Leistungsbezieher müssten was abgeben.

     

    Eine Reform zu Lasten des hart arbeitenden unterbezahlten öffentlichen Dienstes zu Lasten der Witwen und Witwer, zu Lasten der Ärzte,Apotheker, Rechtsanwälte, das traut sich in d keine Partei. Es geht ja nur um den dummen Rest.

  • Nun ist also die SPD Regierungspartei. Klaus Wowereit würde ergänzen: „…und das ist gut so!“ und Franz Müntefehring würde das bekräftigen mit „Opposition ist Mist“.

     

    Aus meiner Sicht hätte es wirklich nur einen Grund gegeben, in die Opposition zu gehen: Nämlich die AfD daran zu hindern, Oppositionsführerin zu werden; mit den damit verbundenen erweiterten Rechten.

     

    Aber als Regierungspartei hat sie (die SPD) immer noch mehr Gestaltungsmöglichkeiten, als sie als Oppositionsführerin gehabt hätte. Sie muss es nur wollen und nicht hinterher Andere (=Merkel) für den eigenen Misserfolg verantwortlich machen!

    • @Pfanni:

      "mit den damit verbundenen erweiterten Rechten." Welche erweiterten Rechte denn?

  • IN DER TAT...

    das ist die wohl einzige wohltat der afd, dass sie die anderen fraktionen zwingt, ihr profil zu schärfen und aus dem tralala des parlamentarischen einheitsbreis wieder zu einer debatte zu finden, wer wir sind und was wir wollen. das ist auch verdammt nötig, denn die tranigkeit der etablierten parteien und dieser lahmen groko-regierung haben uns den aufstieg dieser partei doch erst beschert.

  • Der Begriff Oppositionsführerin suggeriert ja irgeneine Bedeutung, z.B. dass sie die bedeutendste Oppositionskraft wäre oder die anderen Parteien in der Opposition irgendwie mit vertritt. Dies ist nun mitnichten so, sondern lediglich eine mathematische Zuschreibung. In der Opposition sitzen vier, nur wenige Prozentpunkte auseinanderliegende Parteien, die auf je ihrer eigenen Weise Opposition sind und auch untereinander sich profilieren werden. Den Rechtaußen da eine quasi bedeutenden Führungsrolle zuzuweisen wäre Hohn. Vielleicht sollte man das Wort Oppositionsführerin einfach nicht mehr benutzen.

  • Frau Voss, was sind denn die "tatsächlichen Gründe der Unzufriedenheit"?