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Kommentar Österreich zu EU und TürkeiSchelte mit Hintergedanken

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Der österreichische Kanzler fordert den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Das tut er aus einem ganz bestimmten Grund.

Der Vorstoß des Kanzlers wird in Österreich als Rechtsruck gedeutet. Aber ist er das wirklich? Foto: reuters

W enn Österreichs Kanzler Christian Kern (SPÖ) den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fordert, dann spricht er lediglich aus, was in der EU viele denken: Mit einem autoritär-islamistischen Staat wird man schwerlich handelseinig werden. Noch ist die Aufnahme der jüngsten 13 Mitglieder nicht verdaut. Ein Koloss mit einem ethnischen Konflikt im wenig entwickelten Osten und Tendenzen zum islamischen Gottesstaat würde die Union in jeder Hinsicht überfordern.

Wenn der türkische Präsident Erdoğan nicht so wichtig für das Flüchtlingsmanagement wäre, würde auch Brüssel deutlicher auftreten. Doch die EU folgt den Regeln der Diplomatie. De facto liegen die Gespräche allerdings schon lange auf Eis. Die Türkei bewegt sich eher von Europa weg. Und Erdoğan macht den Eindruck, als wolle er sein Land nur in die EU führen, um diese zu zerstören.

Kerns provokante Ansage ist aber in erster Linie innenpolitisch motiviert. Der Kanzler, der aus der staatsnahen Wirtschaft kommt, ist zwar noch neu im politischen Geschäft. Doch weiß auch er, dass die EU nicht so einfach einen vor fünf Jahrzehnten eingeleiteten Prozess abwürgen kann. Die erwartbare Schelte aus Brüssel nimmt er aber gern in Kauf, wenn ihm zu Hause Applaus sicher ist. Auf die Frage der einflussreichen Kronen Zeitung, ob die Regierungslinie gegenüber der Türkei zu hart sei, haben in einer Online-Abstimmung 97,8 Prozent mit Nein geantwortet.

Am 2. Oktober wird in Österreich die Stichwahl um das Bundespräsidentenamt wiederholt. Die SPÖ ist zwar nicht mehr direkt beteiligt. Doch ob sich, wie in der vom Verfassungsgericht aufgehobenen Wahl vom 22. Mai, der Grüne Ale­xander Van der Bellen durchsetzt oder der damals knapp geschlagene Freiheitliche Norbert Hofer, ist für die Regierung alles andere als egal.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache protzt mit Umfragewerten um die 35 Prozent schon seit Monaten mit dem bevorstehenden Wahlsieg. Und Straches Mann in der Hofburg würde eine Machtübernahme der Rechten noch beschleunigen. Der Vorstoß des Kanzlers wird in Österreich als Rechtsruck gedeutet. Viel eher aber sollte man ihn als den Versuch verstehen, das heikle Thema der Abgrenzung zu Ankara nicht allein den Rechtspopulisten zu überlassen.

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Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
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4 Kommentare

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  • Die EU belügt sich selbst und betreibt Augenwischerei, wenn sie die Türkei nach wie vor als Beitrittskandidat bezeichnet. Erdogan baut im Eiltempo neue Barrieren für den Beitritt auf und es ist ein Bekenntnis für Demokratie und Menschenrechte dies nicht mehr zu ignorieren.

    Das ist also kein "den Rechten hinterherlaufen". Wer die türkischen Verhältnisse ignoriert überlässt vielmehr das Thema Demokratie und Rechtstaat den Rechten - und das wäre ein fatales Signal.

    Eine weitere Lüge insbesondere von Merkel aber auch der EU ist Flüchtlinge schützen zu wollen, aber die Türkei dafür zu bezahlen, dass die Flüchtlinge nicht in die EU kommen können. Dies gilt umso mehr als auch die vorgesehene Aufnahme einer begrenzten Anzahl von Flüchtlingen nicht funktioniert - die Türkei und auch die anderen EU-Länder erfüllen ihre Verpflichtungen nicht.

    Diese Scheinheiligkeit wird mit einer Billigung von Erdogans Staatsstreich erkauft.

    Einen tragfähigen Kompromiss in der Flüchtlingspolitik zu finden, ist nicht einfach. Die aktuelle deutsche und europäische Scheinheiligkeit fördert die Rechten aber weitaus mehr als die offene Diskussion über Flüchtlingsquoten und Grenzsicherungen. Das australische Modell darf kein Vorbild sein. Das Modell "Merkel" ist aber für die Flüchtlinge nicht besser, jedoch scheinheilig und verlogen. Verbunden mit einem Diskussionsverbot fördert dies den Zulauf bei den Rechten und der AfD, die immerhin ehrlich unmenschlich sind.

  • Den Rechten mit dummen Sprüchen hinterherzulaufen hat bisher auch nie geholfen. Da wird dann lieber das Original gewählt, als eine Billigkopie.

  • Die Türkei entwickelt sich zu einer islamisch-nationalistischen Diktatur und die Türken hier wie dort stehen mehrheitlich dazu. Das sollte Anlaß zum Denken & Handeln sein.

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    1. Sorry, aber der Teaser klingt nach Focus-Online.

    2. Eine Online-Umfrage (!) der Kronen-Zeitung (!)? Ernsthaft? Fragen Sie doch mal auf Welt-Online, wieviele Leute den jüngsten Aussagen eines gewissen Tübinger Oberbürgermeisters zustimmen. Traumergebnisse wie einst bei Honni, da verwette ich meinen Flüchtlingssoli drauf. Das als Argument anzuführen, ist Quatsch.