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Kommentar Neues griechisches SparpaketDer Patient ist fast tot

Jannis Papadimitriou
Kommentar von Jannis Papadimitriou

Bisher ist Ministerpräsident Tsipras der versprochene Schuldenerlass nicht gelungen. Trotzdem könnte er bald punkten – mit Hilfe der Geldgeber.

Waiting for Schuldenerlass: Alexis Tsipras Foto: reuters

E ins muss man Alexis Tsipras lassen: Er ist taktisch begabt wie kaum ein Linkspolitiker vor ihm in Hellas. Damit hat er immerhin das Kunststück fertiggebracht, ein loses Bündnis politischer Strömungen an die Macht zu führen und dort auch zu etablieren. Doch der große politische Wurf ist ihm bisher nicht gelungen. Ein im Wahlkampf versprochener Schuldenerlass lässt noch auf sich warten. Statt Rentenerhöhungen hagelt es Rentenkürzungen. Die noch im Juli 2015 für unmöglich erklärten Kapitalkontrollen erschweren den Alltag griechischer Kleinunternehmen.

Es bedarf schon sehr viel Wohlwollens, derartige Rückzieher für normal zu halten. In der Regel gelingt das nur, wenn man die grausame Untat von heute mit dem noblen Ziel für morgen rechtfertigt. Nach diesem Motto handelt die Athener Regierung, übrigens nicht zum ersten Mal: Ja, die neuen Sparmaßnahmen in Höhe von 4,9 Milliarden mussten wir mittragen – aber dafür winken auch milliardenschwere Wohltaten. Außerdem sei die seit Jahren erhoffte Schuldenregelung nur noch eine Frage der Zeit, heißt es in Athen.

Wer das alles für bare Münze nimmt, wird selig. Und trotzdem könnte ­Tsipras punkten, sollten die Geldgeber ihrerseits den großen Wurf wagen und eine wie auch immer geartete langfristige Schuldenregelung für Griechenland in Gang bringen. Die Zeit wäre reif.

Und egal, ob man Tsipras bejubeln oder bestrafen möchte: Derzeit gehört Griechenland zu den wenigen EU-Ländern, die einen Überschuss erwirtschaften, die Haushaltsdefizit-Grenze von 3 Prozent des BIP einhalten und ein bescheidenes Wachstum aufweisen. Die Operation ist fast gelungen. Aber der Patient ist auch schon fast tot: Deflation, mangelnde Nachfrage, Überbesteuerung, steigende Armut und die Abwanderung von Fachkräften drohen das zarte Pflänzchen der griechischen Wirtschaft zu ersticken.

Wer das sieht, sollte vielleicht seine Stimme erheben. Aber nur wenige tun dies so deutlich wie Emmanuel Macron, der noch Stunden vor dem zweiten und entscheidenden Wahlgang in Frankreich seine ausdrückliche Unterstützung für eine griechische Schuldenregelung erklärte. Was die Griechen wirklich beeindruckte: Dafür haben ihn die französischen Wähler gar nicht bestraft.

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Jannis Papadimitriou
Auslandskorrespondent Griechenland
Jahrgang 1969, berichtet aus Athen u.a. für die taz und die Deutsche Welle. Er studierte Jura in Bonn und war langjähriger freier Mitarbeiter des WDR und der Deutschen Welle. Auch in Griechenland hat er als Redakteur und Live-Moderator gearbeitet.
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10 Kommentare

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  • Tsipras wartet auf die Bundestagswahlen, danach hofft er auf ein Entgegenkommen Schäubles bei der Schuldenfrage - nachvollziehbar. Eine Regierung der Nea Demokrathia oder der Pasok könnte nicht anders handeln. Alle Wirtschaftsfachleute wissen, ohne einen faktischen Schuldenschnitt kommt Griechenland nicht aus der Krise - deshalb plädiert der IWF auch dafür. Aber erst muss 'Mutti' ihre erneute Kanzlerschaft feiern, dann kann es vielleicht dazu kommen.

    Fatal sind die innenpolitischen Folgen für Griechenland. Nach der jahrelangen Abwärtsentwicklung leben viele Griechen am oder unter dem Limit. Die Wohlhabenden werden kaum angetastet, wer für den Staat arbeitet, gehört in der Regel zu den besser Verdienenden - aber ist das eigentlich bei uns so anders?. Politisch sind viele Griechen demoralisiert und blicken fatalistisch in die Zukunft - mancher träumt von einem griechischen Erdoghan. Und Wir? Wir schauen weg, freuen uns, dass Flüchtlingsunterkünfte zu Studentenwohnheimen umgewidmet werden, lästern über die faulen Griechen und kriegen einen Abgang, wenn die neuen Zahlen des Außenhandelsüberschusses veröffentlicht werden...

    • @Philippe Ressing:

      Bisher hat sich die Wirtschaft Griechenlands doch genau so entwickelt, wie es zum Zeitpunkt des Beschlusses über das erste Rettungspaket für am wahrscheinlichsten gehalten werden musste. Außerordentliche Ereignisse sind nicht eingetreten.

       

      Wenn sich also ein Investment genau so entwickelt, wie es zum Zeitpunkt der Kreditvergabe zu erwarten war, gibt es keinen Grund, es voreilig abzuschreiben.

       

      Solange der IWF eine eigene Beteiligung am Schuldenschnitt ablehnt, ist die Forderung im Übrigen mehr als absurd und braucht nicht weiter diskutiert zu werden.

       

      Es wird allerdings Zeit, dass Griechenland endlich auch die Wohlhabenden mit in die Rettung des Landes einbezieht.

    • @Philippe Ressing:

      Der IWF könnte doch vorangehen und Griechenland die IWF-Schulden erlassen.

       

      Aber nein, der heilige IWF wäre ja der Einzige der ohne Verlust aus der Sache rauskommt.

  • In Griechenland geht es um Menschen, das ist den "Geldgebern" aber egal. Wenn es um Menschen geht, bin ich bereit zu zahlen. Aber wenn unser Geld in Drecksbanken gesteckt wird, die es eh wieder verzocken und Mist damit anstellen, ist das okay? Wie perfide, Deutschland.

     

    "Treib die Menschen in die Armut und lasse sie leiden, dann kriegst du Geld, Griechenland". Arrogant und menschenverachtend!

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Der Banker und wirtschaftsliberale Macron zeigt mehr Mitgefühl für die Griechen als für die von ganz Europa gebeutelten deutschen Steuerzahler, die ja eigentlich die bemitleidenswertesten Geschöpfe der EU sind. Aber das wird ihn Harpagon alias Wolfgang Schäuble schon noch austreiben.

  • Ich wüsste nicht, dass ich irgendwas verpasst hätte. Es gibt doch bereits eine "langfristige Schuldenregelung". Demnach sind die Schulden irgendwann in ferner Zukunft an die Gläubiger zurück zu zahlen.

     

    Selbstverständlich strafen französiche Wähler Herrn Macron nicht für dessen Unterstützung ab. Müssen Sie doch befürchten, irgendwann selbst möglicherweise von einer "griechischen Schuldenregelung" profitieren zu müssen, wenn sie ihre innenpolitischen Probleme nicht kurz- bis mittelfristig in den Griff bekommen.

     

    Griechenland erwirtschaftet einen Überschuss? Das wäre jedenfalls ganz neu.

  • es ist eigentlich komplett unverständlich, wieso die gr. Wirtschaft nicht stark wächst. Normalerweise müsste sehr viel ehemaliger "Schattenwirtschaft" - also Schwarzarbeit und Dienstleistungen ohne Quittung - durch die strengeren Kontrollen jetzt offiziell angeboten werden.

  • Fairerweise sollte man noch dazusagen:

    für jeden Euro Schuldennachlass haftet der deutsche Steuer-und Sozialabgabenzahler mit 29 %.

    • @naemberch:

      bisher verdient der deutsche Staat sogar an den griechischen Notkrediten.

      Mit der Austeritätspolitik ist Griechenland noch tiefer in die Misere gerutscht. Sparen, Wirtschaft abwürgen führt zu keinem Schuldenabbau, im Gegenteil.

      D durfte trotz seiner Vergangenheit den Marshallplan erfahren, Griechenlands Bevölkerung muß wegen falscher Haushaltspolitik gnadenlos büßen. Das perfide daran, gerade D in Person von Schäuble besteht auf der moralischen Schuld für die GR jetzt bezahlen muß.

      Makroökonomie funktioniert anders als die Haushaltskasse der schwäbischen Hausfrau. Da führt sparen in die Misere und Ausgaben können Geld sparen helfen, nur gilt die Mikroökonomik, ergo der sog. gesunde Menschenverstand in D als absolutes Maß auch da wo sie gar nicht anwendbar ist.

  • "Aber nur wenige tun dies so deutlich wie Emmanuel Macron, der noch Stunden vor dem zweiten und entscheidenden Wahlgang in Frankreich seine ausdrückliche Unterstützung für eine griechische Schuldenregelung erklärte. Was die Griechen wirklich beeindruckte: Dafür haben ihn die französischen Wähler gar nicht bestraft."

     

    Die Franzosen sitzen aber erfreulicherweise auch nicht so einem hohen Roß, wie es die Deutschen tun, wenn es um Griechenland geht.

    Es wäre wünschenswert, wenn dieses Eisen auch hier in D einmal angegangen wird, aber das Potential sich zu verbrennen ist dank der jahrelangen Propaganda deutscher Politiker und Medien sehr hoch. Leider!