Kommentar Neuer Staatssekretär Holm: Er muss liefern

Für die einen ist er die Personifizierung des DDR-Unrechtsstaats, für andere ein Heilsbringer: Was Andrej Holm jetzt leisten muss.

Ein Mann, Andrej Holm

Hat viel Arbeitb vor sich: Andrej Holm Foto: dpa

Andrej Holm muss liefern. Sichtschneisen in den Immobiliendschungel schlagen – Stasi hin, Stasi her. Am Dienstag wurde Andrej Holm in Berlin zum Staatssekretär für Wohnen ernannt. Die rot-rot-grüne Koalition des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) hat sich nicht durch das Geschrei der Opposition aus der Ruhe bringen lassen. Gut so.

Schließlich hat sogar Wolfgang Thierse, einst Bundestagspräsident der SPD, Holm das Recht auf eine Jugendsünde zugestanden. Ihm seine Stasi-Vergangenheit vorzuwerfen, sei „einigermaßen unanständig“ und unchristlich, sagte Thierse. „Was ein 18-Jähriger am Ende der DDR getan hat, sollte durch seine 26-jährige berufliche und politische Biografie im gemeinsamen Deutschland abgegolten und erledigt sein!“

An dieser „beruflichen und politischen Biografie“ muss sich Holm nun messen lassen. Denn mit ihm wird Deutschlands bekanntester Gentrifizierungskritiker quasi über Nacht zum politischen Gentrifizierungsverhinderer. Wie groß die Erwartungen an den 46-jährigen sind, zeigt eine Pressemitteilung des Mietenvolksentscheids in Berlin – das ist jene Truppe, die den rot-schwarzen Vorgängersenat gezwungen hat, das Mietenthema ernstzunehmen.

„Als langjähriger Kämpfer für bezahlbare Mieten und eine soziale Wohnraumversorgung ist er ein Garant für einen Richtungswechsel in der Wohnungs- und Mietenpolitik in Berlin“, heißt es da. Und weiter: „Er ist ein radikaler Streiter für die Rechte der Mieterinnen und Mieter, so haben wir ihn in den letzten Jahren kennen- und schätzen gelernt. Unsere Unterstützung – und wenn nötig unsere solidarische Kritik – sind ihm gewiss.“

Große Erwartungen

In der Haut von Andrej Holm möchte man gerade nicht stecken. Für die einen ist er die Personifizierung des DDR-Unrechtsstaats, für andere wiederum ein Heilsbringer. Um nur annähernd zu leisten, was von ihm erwartet wird (und was schwarz auf weiß im Koalitionsvertrag steht), muss sich Holm im Grunde neu erfinden. Als Stadtsoziologe musste er hartnäckig, klug und nachvollziehbar argumentieren. Das kann er.

Wo Ende der Neunziger in Berlin in Fachkreisen der Umstand einer Aufwertung und Verdrängung rundherum abgestritten wurde, ist Gentrifizierung heute längst zum Modewort geworden. Selbst die Immobilienhaie spielen in ihren Anzeigen mit dem Begriff. Als der für Neubau, Mietbegrenzung und die sechs Berliner Wohnungsbaugesellschaften zuständige Staatssekretär muss sich Holm aber noch ein paar weitere Eigenschaften antrainieren: Durchsetzungsfähigkeit, ein dickes Fell und vielleicht auch jenes Maß an Skrupellosigkeit, das man braucht, um im Berliner Immobiliendschungel Sichtschneisen zu schlagen.

Nach hundert Tagen – und wenn er durchhält nach fünf Jahren – wird man erste und weitere Bilanzen ziehen.

Nach hundert Tagen – und wenn er durchhält nach fünf Jahren – wird man erste und weitere Bilanzen ziehen. Deren Kriterien werden brutal sein: Holm muss beim Neubau noch mehr Fertigstellungen liefern, als sein Vorgänger, ein ausgefuchster Profi im Fach. Er muss es schaffen, die Wohnungsbaugesellschaften an die kurze Leine zu nehmen und auf die Gemeinwohlziele von Rot-Rot-Grün einzuschwören. Und er muss mietpolitisch alle Register ziehen, um die Mietenexplosion in Schach zu halten.

Schließlich braucht er, um auch die Romantiker unter seinen Fans zufriedenzustellen, ein Referenzprojekt, von dem er sagen kann, es sei der Einstieg in einen den Logiken des Marktes entzogenen Wohnungsbestand. Vielleicht kann man da nur scheitern. Aber um zu scheitern, muss man erst mal anfangen. Also: Auf die Plätze, fertig, los!

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Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.

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