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Kommentar Neue WillkommenskulturSchaffen wir das?

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Im europäischen Vergleich ist Merkel auf einmal flüchtlingspolitisch links außen. Wie wird sie mit dieser Rolle umgehen?

In München wurden die angekommenen Flüchtlinge herzlich begrüßt. Foto: dpa

G eschichte wird gemacht. 25 Jahre nach dem Mauerfall geht es wieder um offene Grenzen in Europa. Deutschland steht im Mittelpunkt des Interesses und weiß noch nicht genau, wie es damit umgehen soll. Die vergleichsweise offen formulierte Flüchtlingspolitik Angela Merkels (“Wir schaffen das“) ist von vielen, die sich derzeit auf der Flucht befinden, als Einladung verstanden worden – zumindest aber als Einverständnis zur Einreise nach Deutschland. Die Haltung Merkels ist höchst erfreulich. Doch wie kann sie, wie können wir diese hohen Erwartungen dauerhaft erfüllen?

Natürlich hat die Attraktivität Deutschlands als Fluchtziel nicht nur politische Gründe. Allein der Wohlstand und die hier vermuteten Arbeitsmöglichkeiten ziehen viele Menschen an. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass eine CDU-Kanzlerin inzwischen flüchtlingspolitisch europaweit links außen steht. Merkel ist damit ein großes Risiko eingegangen.

Vor ein paar Wochen wurde in Deutschland noch darüber räsoniert, ob wir ein neues Einwanderungsgesetz brauchen oder nicht. Die CDU war eher skeptisch bis ablehnend. Jetzt kommen Tausende. Täglich. In vollen Zügen oder schlicht zu Fuß. Obwohl sie das nach geltenden EU-Regeln eigentlich nicht dürften. Und was macht die CDU-Kanzlerin? Sie äußert sich unbürokratisch, menschlich.

Die Flüchtlinge werden derzeit von den Behörden durchgewunken und, endlich in Merkel-Land angekommen, von vielen Bürgern freundlich begrüßt, weil viele begriffen haben: Jetzt geht es nicht mehr um Einwanderung in der Theorie, sondern um Schutz und konkrete Hilfe für Flüchtlinge in Not. Doch gleichzeitig bröckelt die politische Hilfsbereitschaft. Die CSU hat sich bereits distanziert. Auch in der CDU wird es lautere Fragen geben: Was genau können wir schaffen?

Wer die aktuelle Aufnahmebereitschaft aufrechterhalten will, muss darauf Antworten finden: Wie erreichen wir mehr Solidarität in der Gesamt-EU? Und ja, auch das: Wie gehen wir mit Menschen um, die keinen Anspruch auf Asyl haben? Einfach offene Grenzen zu fordern wird nie mehrheitsfähig sein. Die Diskussionen über harte Seiten der Migrationspolitik müssen auch Linke führen. Sonst übernehmen die ganz Rechten die Debatte. Und einfach auf Merkel sollte man sich auch nicht verlassen. Dafür hat sie ihre Meinung, wie bei der Atompolitik, schon zu oft geändert.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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24 Kommentare

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  • Frau Merkel steht fürs Quandtsche Kapital und seine Verwertungs- und Profitinteressen. Ohne die Interessen des Finanz- und Monopolkapitals, keine Flüchtlingsaufnahme! Es liegt im Verwertungsinteresse des bundesdeutschen Kapitals, einen ökonomisch nützlichen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen!

     

    Wäre es nicht so, dann würde man sich auch ernsthaft um die Beseitigung des Mini-Mindestlohnes von nur 8,50 Euro-Std. bemühen!

    Dann würde man sich auch ernsthaft um die Überwindung der Armut in der bundesdeutschen Gesellschaft bemühen; derzeit nach der offiziellen Statistik rund 13 Millionen Menschen.

    Dann würde man sich auch ernsthaft um eine menschenwürdige und auskömmliche Erwerbstätigkeit und Bezahlung von rund 3,4 Millionen Arbeitslosen und Millionen Lohn-Aufstockern bemühen.

    Dann würde es auch kein Hartz-IV-Strafvollzug mehr geben, sondern die Wiedereinführung des (alt-neuen) ALG II.

    Dann hätten wir auch nicht mehr 4 Millionen Renter in der Armutsrente, unterhalb der geringen Grundsicherung!

     

    Bei den Flüchtlingen geht es der herrschenden Kapitalpolitik vor allem um deren Menschen- und Arbeitskraft- Verwertung! -- Um maximalen Profit und Quandtsche Dividende! -- und nicht um christliche 'Nächstenliebe', auch nicht um 'Humanismus'!

     

    Aufwachen, treubrave Michels! (?)

  • Die deutschen Think-Tanks haben das perfide durchdacht. Naiv, anzunehmen sie ließen sich von Emotionen leiten. gedacht wird meiner Ansicht nach, das diese Ersten die Besten sind von denen , die da kommen werden (das kommen steht fest, bzw.passiert gerade). Deutschland hat dann seinen Anteil geleistet und profitiert. Die Engländer holen die Alten, Kranken, Armen aus den syrischen Lagern. Das ist dann nicht der syrische, afghanische Mittelstand/Oberschicht. Utilarismus pur: "Nützliche" Zuwanderung + moralisch europäisches Vorbild. da steckt Kalkül hinter. Wenn dann die neue Agenda kommt+hohe Steuern, da liegt es am "guten Tun"-das muss jeder verstehen.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @loving the alien:

      "...+hohe Steuern..."

       

      Aber dann die MwSt, damit die Rentner, Arbeitslose und Geringverdiener auch ihren Beitrag leisten.

  • Schönes Foto. Sagt mehr als tausend Worte. Gibt es etwas wertvolleres, als Freude in einem Kindergesicht?

  • Und dann streichelt Frau Merkel ein weinendes Flüchtlingskind und schiebt es mit einem deutschen Stofftier made in China wieder ab;)

  • „Wir schaffen das.“, hat sie gesagt. „Ohne Steuererhöhung.“, hat sie gesagt. Also dürfte die Mehrwertsteuer bald auf 21 % angehoben werden.

  • Die Vorstellung, dass viel Migration ohne Vorbehalte gut wäre, ist in Deutschland bei den Linken deshalb verbreitet, weil sie denken, dass der Feind meines Feindes ein Freund sein muss. Wenn Nazis und Reaktionäre also gegen Einwanderer sind, muss automatisch der Migrant gut sein.

     

    Das ist ziemlicher Schwachsinn und bekommt in dieser Personifizierung schon äußerst unangenehme Züge.

     

    Mir fällt auch, dass sich besonders ein aufgestiegenes Kleinbürgertum aus dem grünen Spektrum freut, wenn nun Menschen ins Land strömen, die keinen Besitz haben, die ihnen ihre gut dotierten Lehrerbeamtenstellen nicht wegnehmen können und die sozial lange unter ihnen stehen werden.

    Es war auch gefährlich für diese abstiegsbedrohte Mittelschicht, wenn die Deutschen einfach weiter gemacht hätten und keine Kinder mehr bekommen hätten. Ohne Proletariat keine Bourgeoisie bzw. auch keine Mittelschicht (für den, dem die soziologische Unterteilung mehr liegt).

     

    Bislang hat keiner dieser hilfsbereiten Willkommensbürger was anderes getan wie das Kapital bei Öffnung der Grenzen im Ostblock. Es wurde damals den Mist los, den hier keine mehr kaufen wollte und die tollen Willkommensmenschen sparen sich den Spermüll, wenn die abgelegten Plüschtiere und Klamotten noch mit größer Geste an diese "armen Menschen" zur Hilfe gegeben werden, die niemand gefragt hat, was sie brauchen und ob sie die Hilfe überhaupt wollen (Von ipads, die den Flüchtlingen geschenkt werden oder Laptops oder sogar Flatrates, hört man selten, Auch Immobilien- oder Aktienanteile bleiben bei unseren Helfern sicher im Schrank.)

     

    Und wenn man schon nicht wie die Nazis auf Menschen einprügelt, die sich nicht wehren können, dann macht man es eben so rum, dass man den Menschen, die sich nicht wehren können, eine Hilfe gibt, nach der sie nicht gefragt haben.

    • @Age Krüger:

      Es werden ja auch neue Stellen geschaffen für Sozialarbeiter und Deutschlehrer.

      • @mrf:

        Mit der Einschätzung wäre ich aber mal vorsichtig, solange Frau Merkel nicht erklärt, woher das Geld dafür kommen soll.

        Bislang werden minderjährige Flüchtlinge, die natürlich traumatisiert sind, weil sie ziemlich heftiges durchgemacht haben in geschlossene Verwahranstalten gesteckt, z.B. von den rotgrünen Senaten in Hamburg und Bremen. Geld ist für diese Gruppe nicht vorhanden. Ich kenne das bei Jugendhilfemaßnahmen auch nur so: Lieber die Mama mit dem verwöhnten ADHS-Kind zufriedenstellen wie auch nur einen Cent zuviel für diejenigen ausgeben, die man dann vielleicht mit 18 sowieso per Abschiebung wieder los werden kann.

    • @Age Krüger:

      Ganz so streng sehe ich es nicht, will aber nicht vollständig widersprechen. Das Plüschtier als Gallionsfigur des aktuellen Willkommens-Theaters u.ä. ist aus meiner Sicht schon eine menschl. Regung, die aufgrund von über Medien transportierte Not der Flüchtlingskinder ausgelöst wird. Dabei spielen die Spiegelneuronen die größere Rolle, als eine strategischer Gedanke; jedenfalls beim Normalbürger. Das Willkommensgeschenk kann, eine Anfangsgeste sein, die in einer durchindividualisierten Gesellschaft eine Art empath. Ventil öffnet. Der Schlüssel für das Verhalten sind die mitgebrachten Kinder, die in diesem Land so rar geworden sind. Der Mensch ist von Gefühlen geleitet, eben auch von den guten, und das sollte man ihnen keinesfalls zur Last legen. Warum und was die da oben machen, ist ein anders Blatt.

  • "Linke" müssen keine Diskussionen führen, sie tun es, nicht erst seit heute. Das Problem; die Zensur durch parteiische und abhängige Medien, die Ignoranz anderer Parteien und parteiischer und abhängiger Medien. Kurzum: Zustände die man eher aus Diktaturen kennt, wo man entsprechend mit unbequemen Gegnern umgeht.

  • Herrlich! Ein deutscher, globalhumanistischer Akt von Willkommenskultur des Volkes gegenüber gemarterten Flüchtlingen!

    Die Rolle Frau Dr. Merkel´s darin? Eigentlich sekundär... sie drückt (vorsichtig), nur `Volkes Willen´ aus!

    Aber auch: Frau Dr. Merkel durchbricht ihre eigenen, "realpolitischen Grenzen" und forciert eine neue, globalhumanistische deutsche Haltung gegenüber notleidenden Flüchtlingen! Ein exemplarisches Exzempel für alle die zögerlichen EU Länder!

    Es bleibt zu hoffen, das die generelle, deutsche Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen aus dem religiös/islamisch chaotischem Mittleren Osten es schafft, eine Integration in die säkulär/moderne Aufklärungskultur der EU/BRD zu erschaffen! Ich meine, das eine `Islamisierung´ der BRD/EU unmöglich ist! Es wird so werden, das der Islam in der BRD/EU sich willig assimiliert, zu EU Doktrinen, und der säkulären FDGO! (Naja..)

    Sieht irgendwie so aus, als ob der, seit der Antike, "Holy Land" Charakter des Mittleren Ostens, sich gewandelt hat:

    USA/ISRAEL sind `out´ .. nun ist BRD/EU das " Holy Land" ....

  • Und wer definiert denn, dass eine flüchtlingsfreundliche Politik unbedingt 'links' sein muss ?

    • @DorianXck:

      Das ergibt sich logisch aus den weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Zusammenhängen.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Ich kann hier keine Logik erkennen. Denn eine flüchtlingsfreundliche Politik kann auch aus humanistischer oder christlicher Verantwortung praktiziert werden. Damit ist sie nicht automatisch links.

  • Merkel macht nur das, was ihr die Wirtschaft sagt. Sieht man ja auch schon in BaWü, der Mercedes Chef Zetsche lässt ja, soweit ich richtig gelesen habe, sehr bald in Asylheimen nach Lohnsklaven ähhh fähigen Angestellten suchen.

    • @Jan :

      hihi, kommt mir irgendwie bekannt vor, war da nicht was, vor 70, 80 Jahren? ; )

      • @Fotohochladen:

        Und dann auch noch Mercedes!!! Aber immerhin, die jetzt hier sind, kommen ja freiwillig oder besser gesagt, sind freiwillig in Deutschland

  • Man staunt in diesen Tagen immer wieder über die Naivität und Ignoranz vieler Menschen, die sich selbst mehr oder weniger politisch "links" verorten. Angela Merkel steht nicht "links außen", auch flüchtlingspolitisch nicht.

     

    Als waschechte, selbsterklärte Opportunistin ist sie vielleicht zu einem realistisch-pragmatischen Handeln in der Lage. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass ihr Umfeld ihr bereits einflüstert, welche politischen Chancen die Flüchtlingskrise bietet. Wenn de Maizière vom notwendigen "Aufbrechen verkrusteter gesellschaftlicher Strukturen" spricht, dürfte die nächste neoliberale Radikalkur (eine Agenda 2020) nicht mehr lange auf sich warten lassen. Schäuble wird uns dann mit großem Vergnügen dieselben "Hausaufgaben" machen lassen, die er den Griechen bereits aufgezwungen hat.

     

    Wenn die gesellschaftliche "Linke" (gibt es so etwas überhaupt noch?) irgendetwas vordringlich zu diskutieren hat, dann doch zwei Fragen:

     

    1) Wie sind die Ursachen der aktuellen Migrationsbewegungen zu beseitigen?

     

    2) Wer trägt die Kosten der Einwanderung nach Deutschland? Warum nicht eine 30%-ige Einmalabgabe auf alle Privatvermögen jenseits der 500.000 EUR?

  • Mutti kann das. Und nicht nur das, sondern linksrechts auch.

    • @tätig ist:

      ...strickt Frau Merkel jetzt Zelte für Vertriebene und Flüchtlinge?

    • @tätig ist:

      Mutti konnte auch Energiewende.

       

      Die Einmalentscheidung der Chefin bedeutet : sie verkündet die Botschaft, weiß aber schob, dass andere dafür sorgen, dass es nicht klappt.

       

      Viele AKWs laufen immer noch, Braunkohle frißt sich fröhlich weiter, über 20 Gaskraftwerke abgeschaltet.

      • @unSinn:

        Das brauchen wir auch unbedingt.

        Stellen sie sich mal vor irgend so ein Merkel-Kritiker kann seine Merkel-Kritik nicht loswerden weil er kein Strom hat (so nachts um 21:00 Uhr wenn sie Solarzellen nicht gerade mit Spitzenlast arbeiten)

        • @Thomas_Ba_Wü:

          Ja, oder so wie Sie während der Arbeitszeit.