Kommentar Nazi-Angriff in Leipzig: Ein Quasipogrom, kein Aufschrei
Die Ausschreitungen in Leipzig und auch die Hetzjagden auf Menschen in Köln werden mit Gleichmut hingenommen. Wie kann das sein?
S eit mehr als einer Woche debattiert die Republik nun über die massenhaften Übergriffe in der Silvesternacht, nicht ganz frei von hysterischen Untertönen. Es gibt ein „vor Köln“ und ein „nach Köln“, als hätte es dort einen Terroranschlag gegeben.
Im Vergleich dazu nimmt das Land die Ausschreitungen rechter Gruppen in Leipzig, die zum Legida-Jahrestag den „alternativen“ Stadtteil Connewitz überfallen und eine Schneise der Verwüstung gezogen haben, mit erstaunlichem Gleichmut hin. Leipzigs Bürgermeister spricht zwar von „Straßenterror“, und manche fühlen sich an die Dreißigerjahre erinnert. Doch das bundesweite Echo fällt lau aus. Kein Bundespolitiker fordert härtere Strafen und „null Toleranz“, und auf den „ARD-Brennpunkt“ zum Thema wird man wohl lange warten müssen.
Dabei wirft das Quasipogrom von Leipzig viele Fragen auf. Ist Leipzig-Connewitz ein rechtsfreier Raum, in dem organisierte Banden ungestraft wüten können? Hat die Polizei versagt, die Bewohner des Stadtteils zu schützen, weil sie die Gefahr unterschätzt hat? Oder hat sie die Ausschreitungen bewusst zugelassen? Denn es gab Hinweise, die den Überfall ankündigten, und ein Maulwurf bei der Polizei hat Interna an die NPD geliefert.
Aufgrund der Westzentriertheit der deutschen Leitmedien ist nicht zu erwarten, dass sie diesen Fragen ernsthaft nachgehen und sie beantworten werden. Das bleibt der Lokalpresse überlassen. Dabei haben sie bundesweite Relevanz. Denn auch anderswo veranstalten Pegida-Anhänger und rechtsradikale „Bürgerwehren“ inzwischen Hetzjagden auf Menschen, die in ihren Augen irgendwie ausländisch aussehen. Das geschieht inzwischen am helllichten Tage, etwa in Köln.
Man könnte deshalb auch fragen: Welche Rolle spielt die mitteleuropäische Herkunft der Täter? Oder: Gehört Gewalt gegen Andersdenkende und Andersaussehende so sehr zu „unserer Kultur“, dass sie von vielen nicht als Skandal empfunden wird? Denn der große Aufschrei blieb bislang aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid