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Kommentar Natomitgliedschaft der TürkeiDer schwierige Partner

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Die Nato hat die strategische Partnerschaft mit der Türkei schon immer über ihre Werte gestellt. Das dürfte auch weiterhin für Konfliktstoff sorgen.

Schwieriger Bündnispartner: Es liegt nicht nur an Erdogan Foto: dpa

W äre die Nato die „Wertegemeinschaft“, als die sie sich gerne bezeichnet, hätte die seit 1952 währende Mitgliedschaft der Türkei längst suspendiert werden müssen. Doch weder die seit 1974 anhaltende völkerrechtswidrige Besetzung Nordzyperns durch türkische Truppen noch die schweren Menschenrechtsverstöße der Anfang der 80er Jahre herrschenden Militärjunta oder die blutige Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung lösten kritische Reaktionen der anderen Nato-Mitglieder aus.

Bereits im Kalten Krieg galt die Türkei als Vorposten der Nato am Schwarzen Meer als unverzichtbarer „strategischer Partner“. In dieser Rolle ist die Türkei für den Westen seit Ende der Blockkonfrontation sogar noch wichtiger geworden.

Für ihre militärischen Interventionen im Nahen Osten seit dem Golfkrieg von 1991 waren und sind die USA und US-geführte Koalitionen auch weiterhin auf die Nutzung der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik angewiesen. Das politische Erpressungspotenzial Ankaras ist mit den eskalierenden Konflikten im Nahen Osten ebenso stetig gewachsen wie die Zahl und die Schärfe der Widersprüche zwischen den Partnern.

Das zeigen der menschen- und völkerrechtswidrige Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei ebenso wie das feige Schweigen in westlichen Hauptstädten zu den Repressionsmaßnahmen der Regierung Erdoğan nach dem gescheiterten Militärputsch. Aktuell zeigt es sich auch in der Billigung der militärischen Offensive Ankaras gegen die syrischen Kurden, die doch zugleich die bislang effektivsten Bodentruppen gegen den – angeblich – gemeinsamen Hauptfeind „Islamischer Staat“ stellten. Dass Ankara den IS bis zu dessen erstem Anschlag auf türkischem Boden im Herbst vergangenen Jahres massiv unterstützt hatte, wird in westlichen Hauptstädten ebenso totgeschwiegen wie das ähnliche Verhalten des „Verbündeten“ Saudi-Arabien.

Doch die wachsenden Widersprüche zwischen der Türkei und dem Westen werden kaum zu einer „strategischen Partnerschaft“ mit Russland führen. Was die Präsidenten Erdoğan und Putin bei ihrem kürzlichen Treffen vereinbart haben, ist kaum mehr als ein taktisches Zweckbündnis. Auch Moskau hat kein Interesse am Entstehen eines kurdischen Staates.

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Die potenziellen Bruchstellen dieses Zweckbündnisses zeigten sich bereits in der lediglich konditionierten Zustimmung der Regierung Putin zur türkischen Militäroffensive gegen die syrischen Kurden („Mit der syrischen Regierung abstimmen!“). Doch mit ähnlichen taktischen Bündnissen dürfte der türkische Präsident auch künftig überraschen. Ein Arrangement mit seinem syrischen Amtskollegen und ehemaligen Urlaubspartner Assad, den er im Sommer 2011 über Nacht zum Feind erklärte, deutete Erdoğan bereits an.

Die Konflikte mit und in der Türkei nur mit der Person Erdoğans und seiner persönlichen Machtgier zu erklären griffe zu kurz. Immerhin findet der Präsident zumindest für seine Außenpolitik und auch für sein Vorgehen gegen die Kurden bislang mehrheitliche Zustimmung in der Bevölkerung.

Widersprüche werden nicht verschwinden

Auch unter einem Nachfolger Erdoğans würden die Widersprüche zwischen der Türkei und ihren Nato-Partnern nicht verschwinden. Denn der seit 15 Jahren erfolglos geführte „Krieg gegen den Terrorismus“ ist militärisch auch gegen den IS nicht zu gewinnen. Selbst dann nicht, wenn alle Akteure in Washington, Moskau, Ankara, Riad, Damaskus und Teheran, die sich verbal diesem Krieg verschrieben haben, tatsächlich an einem Strang ziehen würden.

Und selbst wenn eine türkische Regierung zur ursprünglichen Verhandlungspolitik Erdoğans mit den Kurden zurückkehren würde, bliebe das kurdische Konfliktpotenzial, solange nicht auch für die Zukunft der Kurden in den zerfallen(d)en Nationalstaaten Syrien und Irak eine befriedigende Lösung gefunden wird. Bis dahin dürfte die Türkei ein sehr schwieriger „strategischer Partner“ bleiben.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich habe diesbezüglich schon vor einigen Wochen Petition 66315 an den Bundestag gerichtet. Leider wird sie nicht veröffentlicht. Angeblich passt sie nicht in die aktuelle Debatte...

  • Die Türkei hat gegenüber Griechenland immer eine gewisse Irrationalität an den Tag gelegt, das Gleiche kann man aber auch für Griechenland sagen. Was wirklich zum Problem wird, ist, dass die Türkei eine expansive Außenpolitik verfolgt: Erdogan wollte in Damaskus eine islamische Pseudo-Demokratie installieren - dann wollte er einen Teil Syriens zu einer Sicherheitszone umformen, dann sollten islamistische Kräfte Aleppo erobern, dann sollte der 'Islamische' Staat als Puffer gegen die Kurden funktionieren und gleichzeitig Assad begrenzen - alle diese Projekte passen nicht zur NATO, weil sie irrational, gefährlich und aus der Art geschlagen sind. Das Ergebnis ist ja auch das Scheitern der Türkei und der letzte Ausweg: Der Einmarsch in Syrien - Mitmachen im Krieg, dieses Mal aber um die Kurden anzugreifen und möglichst zu schalgen. Dieses Projekt ist so abwegig, dass man die Uhr danach stellen kann, wann es scheitern wird, außerdem geht die Türkei über eine internationale Grenze und erstmals seit dem ersten Weltkrieg wird bewusst im alten Einflussbereich der osmanischen Reiches Politik mit Krieg gemacht. Das ist ein Versuch, aber einer, der wirklich gefährlich ist und für die Türkei jahrelange Konsequenzen haben kann. Ich vermute mal, dass die Türkei auch dieses Mal scheitern wird.

    • @Andreas_2020:

      Was für eine Erkenntnis... Natürlich hat es konsequenzen wenn man irgendwo einmarschiert. Und beim ersten Weltkrieg war die Türkei eher nicht auf Expansion aus... man man man! Woher kommt diese bashing energie? Hat sich das etwa seit den 60ern aufgestaut?

      • @a2thek:

        Die Türkei gab es im ersten Weltkrieg nicht, sondern es war das Osmanische Reich und Erdogan behauptet, er würde deren Außenpolitik wieder ins Leben rufen. Die expansive Außenpolitik in Syrien ist aber eine Tatsache und die Konsequenzen daraus auch, es leben schon gut 600.000 syrische Flüchtlinge alleine hier in Deutschland, ein großer Teil aus Nord-Syrien, wo jetzt die Türkei mit voller Feuerkraft die Kurden jagt. Ich glaube, dass ist die Realität und die sieht für die Syrer so aus, dass neue Gräber geschauffelt werden. Das Ganze wird von den Menschen bezahlt, die in Syrien leben. Wenn sie in die Türkei flüchten wollen , schießen die Grenzsoldaten auf sie.

        • @Andreas_2020:

          Eine expansive Außenpolitik ist eher keine Tatsache. Jedenfalls weht in Dscharablus, der logischen Konsequenz jener Behauptung entgegen, keine türkische Flagge.

          Ein Land das von seinem Nachbarn aus angegriffen wird wohl mal kucken gehen woher die Schüsse kommen. :D Und in dem moment in dem Assad da etwas von seiner verletzten "Souverenität" erzählen wollte hat er der Türkei den Krieg erzählt. Entweder hat er IS und PKK unter kontrolle oder die Türkei marschiert da ein.

          Und Flüchtlinge gibt es allein in der Türkei drei Millionen. Mehr als in ganz Europa. Da musste die Politik vermutlich um der aufkeimenden Hetze gegen Flüchtlinge Herr zu werden die Grenze dicht machen.

          Und PYD/YPG repräsentieren nicht alle Kurden. Nicht mal in Nordsyrien. Nicht mal die Mehrheit. Es gibt mittlerweile viele kurdische Einheiten dort. Sogar in der Türkei sympathisieren relativ gesehen mehr Kurden mit der PKK als in Syrien mit der YPG.

  • Herr Zumach hat - wieder einmal - die Entwicklung sehr gut beschrieben, die Lage treffsicher dargestellt und treffend kommentiert! Vielen Dank dafür!

     

    Leider wird dies jedoch an den entscheidenden Stellen nicht wahrgenommen, dort wurstelt man lieber tagespolitisch weiter, weshalb immer und immer wieder die gleichen Fragen und Probleme entstehen, wenn auch in unterschiedlichem Gewand.