Kommentar NPD-Proteste in Schneeberg: Die Stunde der Demagogen
In Ländern, in denen bald gewählt wird, demonstriert die NPD gegen Flüchtlinge. Auch die Bewohner Schneebergs werden instrumentalisiert.
W enn irgendwo das „gesunde Volksempfinden“ gegen den Zustrom von Flüchtlingen grummelt oder gar ein Minarett wie in Leipzig droht, wittert die NPD ihre Chance. Es fällt auf, dass sie sich dabei auf Thüringen und Sachsen konzentriert, wo 2014 Landtagswahlen anstehen. Ob Schneeberg, Greiz oder Rötha, überall präsentieren sich Rechtsextremisten und freie Nationalisten als die Einzigen, die dem Volk wirklich aufs seit Luther sprichwörtliche Maul schauen.
Dass sie damit im erzkonservativen Erzgebirge auf eine zunächst erschreckende Resonanz stießen, überrascht nicht. Geschickt bedient NPD-Kreischef Stefan Hartung das Wir-Gefühl in der von bösen Ausländern bedrohten heimeligen Hutzenstube und verbreitet „Raachermannl“-Räucherkerzenduft. Angewidert aber wendet man sich als einer der 89er Demonstranten in der röchelnden DDR ab, wenn daraufhin zwanzigjährige kurzhaarige Kurzdenker auf dem Markt zu Schneeberg „Wir sind das Volk“-Rufe grölen.
Doch es gibt noch ein anderes Schneeberger Volk. Das darf man nach diesem Wochenende anerkennend feststellen. Immer mehr Einwohner begreifen, dass sie nur für einen Wahlkampf instrumentalisiert werden sollen, den die NPD mehr als ein Dreivierteljahr vor dem voraussichtlichen Wahltermin schon begonnen hat.
Alarmieren muss bei diesen von der NPD angeführten Kundgebungen und Märschen weniger die Zahl der mobilisierten Teilnehmer. Die organisierten Nazis wissen nur zu genau, dass es weit mehr Sympathisanten gibt, die sich nicht offen einer Demonstration anschließen wollen, aus der Distanz aber den „Klartext“ loben, den die Partei rede. Das sind potenzielle Wähler in der einsamen Wahlkabine. Um die müssen Demokraten ihrerseits wirklich kämpfen.
Oft genug hat man in Sachsen ein klares Wort der CDU, namentlich von ihren Kommunalpolitikern, gegen die rechten Rattenfänger vermisst. Durch Schneeberg scheint die Union nun alarmiert zu sein und verblüffte in ihrer erzgebirgischen Hochburg mit einer ungewohnten Präsenz und Deutlichkeit. Da treffen ehrliche Überzeugungen wie bei Innenminister Markus Ulbig und wahltaktische Überlegungen aufeinander. Die NPD hat auf ihre Weise der Union schon einen frühen Landtagswahlkampf aufgezwungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden