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Kommentar Mindestlohn für AzubisNotwendige Mindeststandards

Kommentar von Gunnar Hinck

Der Zentralverband des Handwerks wettert gegen die Mindestvergütung für Azubis. Dabei sollten sie froh darüber sein.

Mit einem Mindestlohn für Auszubildende soll die Werkbank wieder attraktiver werden Foto: dpa

D ie derzeitigen Jobprioritäten von Auszubildenden kann man ungefähr so auf den Punkt bringen: Sie wollen eher keine Schweinehälften mehr zerteilen oder um vier Uhr morgens Teig kneten, sondern lieber in einem Industriebetrieb oder im Büro arbeiten. Das hat auch mit der deutlich niedrigeren Bezahlung im Handwerk zu tun.

So ist es richtig, dass Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) per Gesetz eine Untergrenze von 515 Euro im ersten Ausbildungsjahr einziehen will. Weitere Erhöhungen sollen folgen. Damit werden die harten, aber schlecht bezahlten Ausbildungsberufe ein bisschen attraktiver. Bevor Karliczek als soziale Vorkämpferin gefeiert wird: Sie erfüllt lediglich den Koalitionsvertrag, in dem ein Azubi-Mindestlohn für diese Legislaturperiode angekündigt wird.

Der Zentralverband des Handwerks wettert routinemäßig, dass das Gesetz ein „schwerer Eingriff in die gelebte Betriebs- und Tarifautonomie“ sei. Das ist bloße Rhetorik. Die Tarifautonomie – der Staat hält sich heraus und überlässt Arbeitgebern und Gewerkschaften die Lohnabschlüsse – funktioniert immer weniger, weil die Tarifbindung in Deutschland kontinuierlich zurückgeht. Wenn die Tarifparteien nicht in der Lage sind, durch einigermaßen attraktive Azubi-Vergütungen die schmutzigen und harten Berufe – Berufe, die keiner machen will, nach deren Produkten aber die Gesellschaft verlangt – attraktiv zu halten, muss der Staat Mindeststandards setzen.

Die Handwerks-Lobbyisten sollten dem angedachten Gesetz dankbar sein: Wer glaubt, dass die so genannten geburtenschwachen Jahrgänge angesichts einer Vielzahl beruflicher Alternativen Berufsausbildungen für unter 500 Euro freiwillig wählen, darf sich nicht wundern, wenn Handwerksbetriebe mangels Nachwuchses schließen. Nur nebenbei: Die 515 Euro haben nicht Ministerialbeamte ausgewürfelt; auf diese Zahl haben sich Gewerkschaften und Arbeitgeber in Verhandlungen vorab geeinigt. Karliczek hat die Untergrenze nur übernommen.

Die Gelackmeierten aber sind die Auszubildenden, die auf der Basis von Tarifverträgen arbeiten, die unterhalb des jetzt angekündigten Niveaus liegen. Diese Tarifverträge sollen weiter gelten – das ist der Kompromiss mit den Arbeitgebern, um zu zeigen, dass die sakrosankte Tarifautonomie bei Azubis immer noch gilt, ein bisschen jedenfalls.

Im vergangenen Jahr hat die Gewerkschaft Verdi Tarifverträge für Friseur*innen ausgehandelt – in einigen ostdeutschen Bundesländern bekommen sie im ersten Ausbildungsjahr unter 400 Euro. In anderen Branchen in Ostdeutschland sieht es kaum besser aus. In diesem Jahr, dem 30. Jahrestag des Mauerfalls, wird es von der Bundesregierung viele salbungsvolle Reden zur deutschen Einheit geben. Wenn die Bundesregierung es ernst damit meint, sollte sie die Ausnahmeregeln dringend streichen.

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ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
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4 Kommentare

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  • Toll - die Jugend muss endlich mehr gefordert werden. Der verband hat sich auch endlich geäußert: verbandsbuero.de/p...h-von-der-politik/

  • 515 Euro entsprechen in etwa dem, was Auszubildende im Bauhandwerk schon in den siebziger Jahren auch ohne Mindestvergütung im ersten Lehrjahr in DM bekamen. Nur konnte man sich damals mehr dafür kaufen. Ein Glas Bier kostete beispielsweise nur 80 Pfennig.

  • Wenn der Staat Mindeststandards bei der Azubi-Vergütung haben will, dann braucht es halt auch Mindesthonorierung der Handwerksleistung. Wird es natürlich nicht geben, also steigen noch mehr Betriebe aus der Ausbildung aus.

    • @sb123:

      Dienstleistungen dieser Art kommen doch eh schon grösstenteils aus dem östlichen....