Kommentar Menschenrechte: Wer relativiert, schwächt
Die Erklärung der Menschenrechte jährt sich zum 70. Mal. Bei der Beurteilung von Verstößen sollten keine doppelten Standards angewendet werden.
M it der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, deren Verabschiedung durch die UNO-Generalversammlung sich am 10. Dezember zum 70. Mal jährt, wurden erstmals individuelle Menschenrechte definiert und international vereinbart. Diese Charta ist die wichtigste, weil einzig verlässliche Richtschnur für politisches Handeln in den internationalen Beziehungen und im innerstaatlichen Bereich – aber auch für das Verhalten jedes und jeder Einzelnen von uns gegenüber anderen Menschen.
Wer diese Normen und Bestimmungen selektiv anwendet und relativiert oder bei der Beurteilung von Verstößen doppelte Standards anwendet, unterminiert und schwächt sie. Scharfe westliche Kritik an dem Giftgasanschlag auf den russischen Ex-Agenten Skripal mit sofortiger Schuldzuweisung an die Regierung Putin, zugleich aber Zurückhaltung im Fall der grausamen Ermordung des saudischen Regimekritikers Khashoggi gegenüber dem mutmaßlichen Auftraggeber, Kronprinz bin Salman – das ist ein aktuelles Beispiel für doppelte Standards.
Auch wer Verstöße westlicher Staaten gegen Menschenrechts- und Völkerrechtsnormen in Ex-Jugoslawien, im Irak oder in Afghanistan völlig zu Recht scharf kritisiert, die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Krim durch Russland aber verharmlost, schwächt die universell gültigen Normen.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ heißt es in Artikel 1 des fünf Monate nach der UN-Menschenrechtscharta verabschiedeten Grundgesetzes. Er gilt für ausnahmslos alle Menschen, die in Deutschland leben, nicht nur für jene mit deutschem Pass. Doch der wichtigste Auftrag des Grundgesetzes ist für viele nur schöne Theorie. Am gravierendsten ist seine Missachtung gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen.
Nicht nur die gewählten Politiker, Kirchenvertreter oder andere Personen in öffentlicher Funktion, sondern wir alle im jeweils eigenen Lebensumfeld haben die Verantwortung, der Erosion der vor 70 Jahren vereinbarten Menschenrechts- und Völkerrechtsnormen durch ihre Verletzung, Missachtung, Relativierung oder selektive Anwendung entschieden entgegenzutreten.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott