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Kommentar Mazedonischer NamensstreitGegen die heilige Souveränität

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Nationalistische Töne auch in den südeuropäischen Ländern lassen den Zusammenhalt in der EU bröckeln. Das ist gefährlich.

Nicht einfach hat es der Premier Alexis Tsipras. Der Namensstreit erregt die Gemüter in Griechenland Foto: dpa

D a erregen sich Griechen über ein vermeintlich flammendes Unrecht. Am Sonntag wollen sie zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, um gegen ihren Premier zu protestieren. Handgreiflichkeiten sind zu befürchten, vielleicht gar Verletzte. Der Volkszorn kocht, die Seele der Nation ist getroffen.

Doch es geht nicht um Lohneinbußen, höhere Steuern oder Arbeitslosigkeit. Die Menschen sind empört, weil das nördliche Nachbarland den Namen Nord-Mazedonien tragen soll, ganz ähnlich der nördlichen Provinz Griechenlands, die Mazedonien heißt. Die sei ein Ausverkauf nationaler Interessen und es gefährde die eigene Grenze, vulgo die heilige Souveränität, heißt es.

Es ist der absolute Irrsinn. Und er funktioniert so, wie Nationalismus immer funktioniert: mit einem abgrundtief bösen und dazu fremden Gegner, Appellen an den eigenen Patriotismus in einer angeblich homogenen Gesellschaft – und mit Angst vor einer imaginären Bedrohung.

Die Aufwallung patriotischer Gefühle unter griechischen Nationalisten könnte uns einigermaßen kalt lassen, ginge es nur um Griechenland und Mazedonien. Doch die nationalistische Krankheit entwickelt sich überall auf dem Kontinent zu einer Seuche. Sie trennt Krim-Bewohner von Ukrainern, griechische von türkischen Zyprioten, Moldauer von Bewohnern Transnistriens, Katalanen von Spaniern und Flamen von Wallonen. Sie schafft in ihrer jeweiligen Blase mehr Solidarität als noch die schärfste Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich. Und sie droht, die EU von innen heraus zu zerfressen.

Es bleibt eine schwache Hoffnung

Denn Nationalismus kennt qua Definition nur die Interessen der postulierten eigenen Gemeinschaft. Er ist unfähig, auch die Nöte des Nachbarn zu sehen und einen Ausgleich zwischen Staaten zu schaffen – so wie es vor mehr als sechs Jahrzehnten mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beabsichtigt war. Natio­nalismus schafft zuerst Hass gegen die anderen, dann Krisen und, wenn es schlecht läuft, Krieg.

Für manche Politiker ist es reizvoll, auf die nationale Karte zu setzen, weil das so ertragreich ist. Die AfD reitet erfolgreich auf dieser Welle, so wie eine ganze Reihe ähnlich gewebter Parteien in Europa. Das Einzige, was dabei hoffen lässt, ist, dass diese Parteien niemals zu einem gemeinsamen Konsens finden werden.

Eine schwache Hoffnung in einem Meer des Irrationalen. Für alle aber, die sich dazu bekennen, links zu denken, gleicht das Setzen auf die nationale Karte einer Bankrotterklärung. Wer in nationalen Schablonen argumentiert und glaubt, Europa nicht so wichtig nehmen zu müssen, betreibt das Geschäft der Reaktion.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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7 Kommentare

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  • Bemerkenswert, dass in der taz ploetzlich der katalanische Nationalismus, nein, das heisst korrekt wahrscheinlich Autonomiestreben, in die Reihe mit den anderen Grueppchen gestell wird. Waren frueher doch immer die Guten, die katalanischen Separatisten.Die wollen nur spielen.



    Dahinter hat noch nie was anderes gesteckt als das ewige "us and them". Und wenn in Deutschland die Export-finanzierte Prosperitaet zur Neige geht, werden auch hier die Schotten dicht gemacht und die Schuldigen wieder im Osten oder Westen oder sonstwo gefunden werden.

  • Prinzipell finde ich Nationalismus auch scheiße (obgleich ich auch dem Party-Patriotismus bei EM/WM erliege). Ich hier sehe hier auch das Problem des Artikels: Es wird zu wenig differenziert. Ich würde mich zwar selbst nicht als Patriot bezeichnen (iiih, bah) und schon gar nicht als deutscher Nationalist (*kotz*). Dennoch sehe ich zwischen beidem noch einen Unterschied. Genauso beim Nationalismus: Ich sehe einen Unterschied zwischen Nationalismus und Unabhängigkeits-/Autonomiebestrebungen.

  • Ganz richtig . ohne den Mazedonier Alexander gäbe es kein Griechen-Land?



    Alexander der Große (altgriechisch Ἀλέξανδρος ὁ Μέγας Aléxandros ho Mégas) bzw. Alexander III. von Makedonien (* 20. Juli 356 v. Chr. in Pella; † 10. Juni 323 v. Chr. in Babylon) war von 336 v. Chr. bis zu seinem Tod König von Makedonien und Hegemon des Korinthischen Bundes.

    Alexander dehnte die Grenzen des Reiches, das sein Vater Philipp II. aus dem vormals eher unbedeutenden Kleinstaat Makedonien sowie mehreren griechischen Poleis errichtet hatte, durch den sogenannten Alexanderzug und die Eroberung des Achämenidenreichs bis an den indischen Subkontinent aus. Nach seinem Einmarsch in Ägypten wurde er dort als Pharao begrüßt. Nicht zuletzt aufgrund seiner großen militärischen Erfolge wurde das Leben Alexanders ein beliebtes Motiv in Literatur und Kunst, während Alexanders Beurteilung in der modernen Forschung, wie auch schon in der Antike, zwiespältig ausfällt.

    Mit seinem Regierungsantritt begann das Zeitalter des Hellenismus, in dem sich die griechische Kultur über weite Teile der damals bekannten Welt ausbreitete. Die kulturellen Prägungen durch die Hellenisierung überstanden den politischen Zusammenbruch des Alexanderreichs und seiner Nachfolgestaaten und wirkten noch jahrhundertelang in Rom und Byzanz fort.



    Es geht an das griechische Selbstbewusstsein! So etwas können wir über "Deutschland" nicht sagen? Wir sind aus dem Teutoburger- bzw. Bayerischen Wald? Wir sind Nachkommen aus den Wäldern und haben erst mit dem Handel mit dem Mittelmeer von deren Kulturen profitiert: Kelten in Baden Württemberg.

  • Geschichte hat einen sehr langen Atem. Diesmal reicht er bis zu Alexander genannt der der Grosse zurück. Ich denke, es ist an der Zeit wieder eine Teilung des Imperium ins West- und Ost-EU wie dunnemals beim Römischen Imperium. Die Teilungsgrenze zw. West- und Ost-Rom war auch damals schon auch eine kulturelle Grenze.

    • @Carine Salazar:

      Gute Idee, aber nicht genug: Die Erde wird wieder zur Scheibe erklärt, die Sonne kreist um die Erde und die Inquisition ersetzt das Verfassungsgericht.......

  • „ . . . und einen Ausgleich zwischen Staaten zu schaffen – so wie es vor mehr als sechs Jahrzehnten mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beabsichtigt war“



    Die schlimmsten Kriege, die es bisher gab, waren der Dreißigjährige Krieg, der WK 1 und der WK 2. Sie fanden hauptsächlich zwischen den europäischen Staaten statt. Wenn wir seit über 70 Jahren davon verschont blieben, war dies u. a. auch ein Verdienst der EU. Selbst wenn dies der einzige Erfolg des Projektes „Europäische Union“ gewesen wäre – es hätte sich allein dadurch gelohnt. Bräche die EU auseinander, wären die nächsten innereuropäischen Kriege vorprogrammiert.



    Dann gäbe es bald auch wieder Parolen, wie im Vorfeld des WK 1: „Jeder Schuss - ein Russ‘ / jeder Stoß – ein Franzos‘ / jeder Tritt – ein Brit‘“! Wer kann das wollen?

  • vollste Zustimmung. ähnliche Wahnvorstellungen von 'Gebietsverlusten' finden sich an zu vielen Orten; erinnert sei nur an Siebenbürgen/Transsilvanien und die Angst der Rumän*innen, vor 'Gebietsansprüchen' aus Ungarn. in der simpelsten Spielart ist es nur eine Ablenkung von tatsächlichen Problemen und Skandalen; im schlechtesten Falle glauben die ihr nationalistisches Gewäsch tatsächlich selbst. nur ein Hinweis, damit die auf taz.de herumgeisternden Nationalist*innen den guten Kommentar nicht an einer Kleinigkeit 'auseinandernehmen': die Republik Moldau (und demnach auch 'Transnistrien') gehören nicht zur EU, sind also eher schlechte Beispiele, auch wenn mich allein die Erwähnung freut.