Kommentar Massenproteste in Brasilien: Kurz vor dem Staatsstreich
Trotz des Skandals muss die PT-Regierung in Brasilien gegen einen Umsturzversuch verteidigt werden. Denn dieser stellt den Rechtsstaat infrage.
E s ist geradezu ein Ding der Unmöglichkeit geworden, die Regierung von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff und ihre amtierende Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) zu verteidigen. Beide stecken bis zum Hals in einem Korruptionsskandal. Gemeinsam mit korrupten Bauunternehmen haben sie Milliarden öffentlicher Gelder veruntreut und zum Kauf von politischen Gefälligkeiten von noch dubioseren Politikern verwendet, mit denen eine einst fortschrittliche Partei wie die PT niemals eine Allianz hätte eingehen dürfen.
Und dies ist schon der zweite Skandal dieser Art. Bereits im Jahr 2005 wandten sich viele Linke von der Partei ab, die sie gemeinsam in 20 Jahren Aktivismus nach der Militärdiktatur aufgebaut hatten. Hinzu kommt, dass Rousseff auf den Druck der konservativen Opposition mit Entgegenkommen beispielsweise in der Wirtschaftspolitik reagiert und damit auch noch die ihr verbliebene Basis gegen sich aufbringt.
Doch aktuell muss diese PT-Regierung, trotz ihres Fehlverhaltens, gegen einen Umsturzversuch verteidigt werden. Die konservative Opposition und undurchsichtige rechte Seilschaften blasen mit Unterstützung der Massenmedien zum Sturm auf eine demokratisch gewählte Regierung. Und sie stellen den Rechtsstaat infrage.
Das brasilianische Parlament hat am Donnerstag ein Amtsenthebungsverfahren für Präsidentin Dilma Rousseff auf den Weg gebracht, die um ihr politisches Überleben kämpft. Die Abgeordneten wählten eine Sonderkommission aus 65 Parlamentariern, die einen Bericht über die Verfolgung eines Amtsenthebungsverfahrens vorlegen soll. Rousseff steht unter Korruptionsvorwürfen, ein Großteil von ihnen ist mit den Geschäften des Ölkonzerns Petrobras verknüpft. (afp)
Der Korruptionsermittler veröffentlichte Stunden nach der umstrittenen Ernennung von Expräsident Lula da Silva zum Kabinettschef ein abgehörtes Telefonat zwischen ihm und Rousseff. Er wollte belegen, dass dieser vor Strafverfolgung geschützt werden solle. Das ist eine Provokation, die die aufgeheizte Stimmung im Land zum Überkochen bringen kann.
Der bislang friedliche Protest von Hunderttausenden gegen eine unbeliebte Regierung beginnt in handgreifliche Auseinandersetzungen umzuschlagen. Zu Recht warnen Juristen, Intellektuelle und Aktivisten davor, dass gerade die Stimmung für einen Staatsstreich geschaffen werde.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens
Trump, Putin und Europa
Dies ist unser Krieg
Jugend im Wahlkampf
Schluss mit dem Generationengelaber!
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt