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Kommentar Marco Bülows SPD-AustrittRichtiger Schritt zur falschen Zeit

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Der SPD-Linke Marco Bülow hat der Partei den Rücken gekehrt. Das mag nachvollziehbar sein, doch es schwächt den kraftlosen linken Flügel weiter.

Verabschiedet sich von der SPD: Marco Bülow Foto: dpa

D ie Liste der strategischen Fehler der SPD ist ziemlich lang. Es war nicht klug, Martin Schulz autoritär von seinem Vorgänger inthronisieren zu lassen und unvorbereitet in den Wahlkampf zu schicken. Es war nicht klug, in diesem Wahlkampf kein erkennbares Thema zu haben. Es war nicht klug, danach erst mit dröhnender Entschlossenheit die Große Koalition auszuschließen, und dann verdruckst eine Wende um 180 Grad zu vollziehen.

Die SPD regiert seit 1998 mit einer kurzen Unterbrechung – und hat an der Seite der Union dramatisch an Erkennbarkeit verloren. Die Große Koalition wirkt wie ein Wackerstein, der die SPD in Tiefe zieht. Ob die CDU der SPD den Gefallen tut, Friedrich Merz zu wählen und die Groko zu beenden, ist zweifelhaft. Nach den Wahldebakeln in Bayern und Hessen hielt es die SPD-Spitze für eine gute Idee, gemeinsam vor Kameras zu posieren anstatt sich selbst radikal in Frage zu stellen.

Die Liste lässt sich fortsetzen. Der SPD-Linke Marco Bülow hat der Partei nun den Rücken gekehrt. Ist das nicht logisch angesichts der Dickfälligkeit der SPD-Spitze, die scheinbar regungslos ihrem Untergang zuschaut? Anscheinend ja. Aber der Zeitpunkt ist seltsam. Warum jetzt und nicht nach dem Eintritt in die Große Koalition? Jetzt ist das Bild finster, aber nicht monochrom. Die SPD löst sich, ausgelöst durch die Wahldesaster, von Hartz IV und unterzieht die Agenda einer kritischen Revision. Wie viel Panik dabei im Spiel ist und wie viel Opportunismus, wie viel seriöse und schonungslose Selbstkritik, wie viel echter Wille, sich als Mitte-links-Partei neu zu erfinden, das ist offen.

Aber: Die Krise ist derartig heftig, dass die SPD zum ersten Mal seit Jahren in der Lage zu sein scheint, endlich mit der Agendapolitik zu brechen. Auch das wäre keine Garantie fürs Überleben, aber eine Chance. Die zu nutzen wird nur gelingen, wenn die SPD-Linke, ein weitgehend blutarmes Geschöpf, diesen Prozess vorantreibt. Bülows Austritt mag nachvollziehbar sein. Aber er kommt zur falschen Zeit. Er schwächt den Flügel, der das Gegenteil braucht: mehr Entschlossenheit und Stärke.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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13 Kommentare

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  • "Ihre Politik bevorteilt Reiche, Superreiche und Mächtige."



    Meine Rede.

    • @Frau Kirschgrün:

      War für



      @Andreas_2020, 27.11.2018, 23:54

  • Der taktische Fehler der SPD ist der, dass sie Keine Strategie hat. Zum Zeitpunkt des Austritts: Offensichtlich hat Marco Bülow versucht, mit seiner Plattform Impulse für einen Kurswechsel zu setzen und musste erkennen, dass die SPD eben nicht "zum ersten Mal seit Jahren in der Lage zu sein scheint, endlich mit der Agendapolitik zu brechen", sondern nur taktisch-verbale Spielereien betreibt. Nicht existierende Flügel kann man nicht schwächen.

  • 8G
    8545 (Profil gelöscht)

    "Alle Kritiker, die etwas andere Positionen haben als die Parteispitze, werden rausgedrängt und isoliert. Es ist total stromlinienförmig geworden, alles wird besetzt mit Leuten, die alles absegnen und abnicken, wenn sie überhaupt einmal um ihre Meinung gefragt werden. Will man mitbestimmen oder in der Partei Karriere machen, dann kann man das nur noch, wenn man dem huldigt, was die Parteispitze vorgibt."



    www.rubikon.news/artikel/der-ausstieg

  • Der Austritt ist richtig und der Zeitpunkt auch. Er unterstreicht die Dringlichkeit der Situation. Die Partei würde sonst einfach weitermachen wie bisher. Sie ist gegen Worte immun und nur durch solche Aktionen aufzuwecken, vielleicht.

  • "Warum jetzt und nicht nach dem Eintritt in die Große Koalition?"



    Anfang des Jahres hatte die SPD in der Koalitionsvereinbarung einiges erreicht, und mehr war auch nicht drin.

    Jetzt wird diese massiv gebrochen, z.B. mit der Nullnummer beim Beitrag zum Klimaschutzziel 2020 mit neuen Wind- und Solarparks, oder bzgl. Entwicklungshilfe. Gute Grende fuer einen Ausstieg.

  • Ich glaube nicht, dass die SPD mit der Agenda 2010 brechen wird. Es ist im Gegenteil interessant, zu sehen, wie stark das Gedankengut in der SPD inzwischen verankert ist.

    Die SPD-Sozialsenatorin in Hamburg hat genau die Ideenwelt von Clement, Schröder und Scholz kürzlich in einem Interview formuliert und dachte, das würde es mildern oder die Brücken bauen, die die SPD so dringend braucht.

    Hubertus Heil hat ein Plädoyer für Sanktionen gehalten, einen Unterschied zwischen Arbeitslose und Normalos aufgezeigt, direkt im Spiegel-Interview.

    Und dann der DGB - deren Vorsitzende hatte die gleichen Meinungen und ruderte dann plötzlich auf eine andere Meinung zu, als er für genau diese Ideen kritisiert wurde.

    Andrea Nahles hat schon mal gesagt, dass Hartz IV den Sozialstaat stabilisieren wird. Johannes Kahrs hat Hartz IV angestrebt, als es das noch nicht mal gab.

    Die SPD hat diese Einstellung zur Sozialpolitik nicht durch Schröder oder Clement einfach aufgedrückt bekommen, da steckt mehr da drinnen. Da steckt auch ein frühindustrieller Begriff von Arbeit und Arbeiterbewegung drinnen: Es ist besser sich organisiert tot zu arbeiten, als in die industrielle Reserve abgeschoben zu werden oder gar zum Lumpenproletariat abzusinken.

    Der Punkt ist aber, dass eit 1983 in West-Deutschland Massenarbeitslosigkeit herrscht. Seit 1990 und den 2000er Jahren gibt es eine Arbeitslosigkeit von über 2 Mio, inoffiziell wahrscheinlich über 3 Mio. Menschen.

    Und der Arbeitsmarkt hat sich vielleicht erholt, aber nach wie vor arbeiten viele Menschen zu Mindestlöhnen, Niedriglöhnen, als Aufstocker oder verarmen mit stagnierenden Löhnen. Die SPD sieht das zu optimistisch.

    Ob das nun Sinn macht, aus der SPD auszutreten, wenn man so lange da durchgehalten hat und den neoliberalen Kurs irgendwie mitgetragen hat? Letztlich ist die SPD seit 2003 eine bürgerliche Mitte-Rechts-Partei geworden. Ihre Politik bevorteilt Reiche, Superreiche und Mächtige.

  • Warum gerade jetzt?



    Auf den ersten Blick eine gute Frage. Ich war 6 Jahre mit einer Frau zusammen, von der ich mich 2012 getrennt habe. Warum erst 2012 und nicht schon 2008? Warum bin ich 2006 überhaupt mit ihr zusammen gekommen?



    Vielleicht ist Herr Bülow jetzt an einem Punkt, an dem er sagt:"Ich will nicht mehr Mitglied dieser Partei sein. Was sie tut, kann und ich will ich nicht mehr mittragen!"



    Hätte er es wie Frauke Petry machen sollen und NACH der nächsten Bundestagswahl austreten sollen wenn er nochmal (bzw. sehr wahrscheinlich) als Direktkandidat für die SPD für weitere 4 Jahre in Bundestag kommt?

    Ich respektiere die Entscheidung von Herrn Bülow der nicht in Nibelungentreue blind den falschen Weg mitläuft.

  • Ich bin nicht der Ansicht, daß der Austritt zur falschen Zeit stattfand.

    Der SPD ist lediglich eines ihrer Aushängeschilder davongelaufen, wodurch der übliche Etikettenschwindel um ein winziges Stück verringert wird.

  • ich wünsche allen hartz-parteien den politischen tod.



    aber nur bei der spd kann dieser wunsch in erfüllung gehen,denn nur sie hat mit ihrer hartzistischen politik ihre eigenen wähler verraten.die anderen hartz parteien haben einfach nur die interessen von menschen die sie nicht wählen den interessen ihrer wähler geopfert.



    der hartzismus hat den standort deutschland auf kosten und zum schaden aller armen flott gemacht.



    die mehrheit der deutschen befürwortet eine derartige sozialdarwinistische politik der entwürdiguung der entrechtung und der knechtung von menschen .und kriecht den globalisierungsgewinnern die immer brutaler und arroganter geworden sind in den arsch.dafür hasse ich sie.



    in deutschland wiederholt sich in anderer jeweils zeitgemässer form immer wieder das selbe reaktionär-konservative paradigma dass den staat schon seit seiner gründung dominiert -nur die zerstörung des deutschen staates durch eine soziale revolution oder von aussen kann davon erlösen.tod der brd.

  • Über die Motive des Herrn Bülow lässt sich wohl nicht spekulieren, über den Zeitpunkt schon. Er hat es so bestimmt und er wird sich das überlegt haben.

    Es ist sehr schwer für einen langjährigen "jeiebten"(Kurt Tucholski, auf hochdeutsch: geübten) Sozialdemokraten diese Partei zu verlassen. In meiner Familie hat das Jahre gedauert. Schließlich war schon die Urgroßmutter Sozialdemokratin. Diese Partei hat etwas sektenhaftes für ihre Mitglieder. Man wird ständig auf ein Paradies vertröstet, welches am Ende nie eintreten wird. Aber im Gegenzug wird eiserne Disziplin verlangt. Man lebt sein Leben lang mit dem "kleineren Übel". "Genosse, du musst einsehen..." So wird jegliche Kritik abgewürgt. Wer ernsthaft aufmuckt, wird rausgeschmissen. So wie damals die Abteilung 5 in Berlin-Steglitz komplett aus der SPD ausgeschlossen werden sollte, weil die geistig betonierten Bonzen vom Typ Klaus Riebschläger die Studenten in jener Abteilung hasste.

    Ein Sarrazin oder Konsorten haben allerdings nichts zu befürchten, denn sie liegen immer auf der Parteilinie, die für sie sogar verbreitert wird.

    Wenn man Heinrich Mann "Der Untertan" liest, dann kommt dort ein skrupelloser Sozi drin vor. Ein Typus, der in dieser Partei seit ihrer Gründung anzutreffen ist.

    Seit der Ära der Schmidt'schen Arroganz haben sich die Intellektuellen abgewendet und die Krämerseelen, Karrieristen und Kleingeistigen blieben übrig.

    Auch Masochismus hat seine Grenzen.

  • Die SPD ist schon lange keine politische Heimat für Linke. Wenn diese Partei als Ganze nach außen in den letzten Jahren linke Positionen vertreten hat, dann meist aus Opportunismus, und immer nur halbherzig. Für jemanden, der oder die sich als links versteht, ist ein Austritt nur konsequent - besser spät als nie. Die Hoffnung irgendein linker Flügel könnte die Gesamtausrichtung dieser Partei substantiell beeinflussen ist eigentlich seit knapp 100 Jahren illusorisch.

  • "dass die SPD zum ersten Mal seit Jahren in der Lage zu sein scheint, endlich mit der Agendapolitik zu brechen."

    Die SPD möchtebloß den Namen "Hartz IV" und die Erinnerung an sozialdemokratische Handschrift (wobei die Hand von Bertelsmännern geführt wurde ;) austilgen. Im Prinzip das Gleiche neu verpackt und vielleicht noch großkoalitionär (oder sogar ganz großkoalitioner = + Grüne + FDP) absegenen und dann ist man aus dem Schneider.



    Die Phrasendrescherei und Heuchelei trieft doch aus jedem Interview zum Thema:



    www.spiegel.de/pol...lig-a-1239778.html