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Kommentar Macrons SozialpläneErziehung zur Genügsamkeit

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Frankreichs Präsident Macron twittert, dass er das Sozialsystem gründlich entrümpeln will. Zynisch ist dabei sein Blick auf Arme und Bedürftige.

Will mittellose Mitbürger zu Genügsamkeit erziehen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Foto: reuters

D onald Trump ist nicht der einzige Staatschef, der Twitter als Propagandainstrument einsetzt, um das Volk über seine Absichten oder Launen in Kenntnis zu setzen. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist „connected“.

Vor einer Rede vor Versicherungsgenossenschaften über seine Pläne in der Sozialpolitik ließ er als Vorinformation der Medien auf Twitter ein Video publizieren, in dem er sich sehr kritisch über das System der Beihilfen und Existenzminima äußert. Diese „kosten irre Summen, und trotzdem kommen die Leute nicht über die Runden“.

Dankbarkeit hatte er von den Bedürftigen wohl ohnehin nicht erwartet, aber er möchte, dass sie sich wenigstens „anstrengen“: „Die Armen bleiben arm, und wer arm wird, bleibt es. Wir müssen etwas finden, was es den Armen erlaubt, aus der Armut herauszukommen. Mit Erziehung …“, überlegt Macron vor der Smartphonekamera. Er sagt nicht, wie er diese mittellosen MitbürgerInnen zu mehr Genügsamkeit erziehen will, aber er ist ungehalten wegen der seiner Meinung nach astro­nomischen, aber völlig ineffizienten Ausgaben. Präsident Macron will, dass sich Investitionen wie überall lohnen. Heute sind sie für ihn als Buchhalter der Nation bloß ein ärgerlicher Kostenfaktor.

Kulinarisch betrachtet, hält der Präsident das jetzige System der Sozialbeihilfen für ungenießbar, denn es sei wie „Lasagne mit Fetakäse und Paella“.

Macrons eigenes Rezept dagegen dürfte gesalzen ausfallen. Man weiß, dass er bis 2022 die Staatsausgaben um 60 Milliarden Euro und 120.000 öffentliche Stellen kürzen will, oben auf der Liste stehen auch die diversen Sozialleistungen und Beihilfen.

Was an Macrons Äußerungen aber schockiert, ist der Zynismus seiner Betrachtungsweise. Er fordert von den unterstützten Opfern der sozialen Ungerechtigkeit mehr „Verantwortungsbewusstsein bei der Prävention“. Er hält sie offenbar für selber schuld an ihrer Situation und der Schwierigkeit, aus ihrer kostspieligen Armut herauszukommen.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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15 Kommentare

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  • Ein Liberaler mit Vergangenheit an den Fleischtöpfen des Investmentbankings macht eben neoliberale Politik. Und die verachtet immer die Armen (und ist dabei intellektuell, politisch und ethisch selbst höchst ärmlich). Cheerleader Peter Unfried: bitte übernehmen Sie!

  • 6G
    64662 (Profil gelöscht)

    Huch? Wurde der neoliberale Herr M. nicht auch in der TAZ als "sozialliberal" bezeichnet?

     

    Dass dieser Herr scheitern wird, ist in meinen Augen sicher. Aber bis zur Abwahl hat er ja noch Zeit, das Leben vieler Franzosen schlechter zu machen.

  • Der Artikel enthält mehrere böswillige Entstellungen der Äußerungen Macrons, die die Absicht des Autors entlarven. Offensichtlich geht es ihmm darum, Person und Politik zu diffamieren und eine inhaltliche Auseinandersetzung zu vermeiden.



    1. Macron hat keineswegs "Genügsamkeit" eingefordert, sondern lediglich gesagt, was jeder Beobachter auch selbst erkennen kann: Das Sozialsystem schafft es trotz seiner enormen Kosten nicht, die Leute aus der Armut zu holen. Sich in einer solchen Situation Gedanken über Alternativen zu machen, gebietet nicht nur die buchhalterische Logik, sondern der gesunde Menschenverstand und das wohlverstandene Interesse der Betroffenen - es sei denn man unterstellte ihnen, dass sie es sich in staatlich alimentierter Armut ganz gut eingerichtet haben.



    2. Das Zitat von den "Lasagne mit Fetakäse und Paella" bezog sich nicht auf das System der Sozialbeihilfen, sondern auf den von seinen Mitarbeitern vorbereiteten entwurf für seine Rede, in dem er eine klare Botschaft vermisste.

     

    [...]

    Kommentar bearbeitet. Bitte acht Sie auf Ihren Tonfall.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @pl46:

      Es wird aber bei uns in Frankreich laut darüber nachgedacht, wo man am besten kürzen kann. Die Methode ist immer die gleiche, es wird etwas als unwirksam dargestellt, was man abschaffen will. Es müssen 60 Milliarden eingespart werden. Bei Steuergeschenken in zweistelligen Milliardenhöhe für die Upperclass muss das Geld irgendwie reinkommen und da reicht das Wirtschaftswachstum nicht aus.

      Ziel ist es die Masse der Sozialhilfeempfänger in Workingpoor umzuwandeln wie in Deutschland, deshalb wurde erst das Arbeiterecht kaputt gemacht und jetzt geht es an die Sozialleistungen.

      Und das Motto, lieber einen miesen Job als gar keinen, wird jetzt überall gebetsmühlenartig wiederholt, wie in Deutschland.

      Flattaxe für die Reichen und flatwages für die Armen, ist doch gerecht oder?

      • @82236 (Profil gelöscht):

        Es geht mir hier nicht darum, Herrn Macrons Politik zu verteidigen. Ich verlange aber von Journalisten und Zeitungen, die Anspruch auf Serosität erheben, dass sie auch die Äußerungen derjenigen Politiker unverfälscht wiedergeben, deren Politik ihnen nicht in den Kram passt. Hier wurde offensichtlich die Grenze zwischen Berichterstattung und Stimmungsmache überschritten.

        • 6G
          60440 (Profil gelöscht)
          @pl46:

          Drum wurden Sie ja auch gekürzt.

        • 8G
          82236 (Profil gelöscht)
          @pl46:

          Warten wir ab, was Macrons Regierung, vor allem seine beiden ultraliberalen Wirschafts-und Finanzminister Bruno Lemaire und Gérald Darmanin daraus machen, wie die Gesetzesvorlage aussehen wird, wie viel Geld wofür ausgegeben wird und wo gespart werden soll. Das wird spannend....

  • Macron hat die Vermögensteuer abgeschafft, sofort er ins Amt gekommen ist, also den reichsten wenigstens 3,2 Milliarden geschenkt. Der lesenswerte französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty (u. a. Ökonomie der Ungleichheit : Eine Einführung, C. H. Beck, 2016) konnte damals von einem "historischem Fehler" erzählen.Gemäß einer ultraliberale thatcherische trumpische These die heisst, Reichen sind reich, weil sie es verdienen, Arme sind arm, weil sie es so wollen, meint er jetzt, dass die Armen, arbeitslosen und andere minderwertige Mitbürger zu teuer sind, und sowieso muss man irgendwo sparen. Er wird zunehmend als "Président des riches" (Präsident der Reichen) bezeichnet.

  • Wenn Macron - wie hier berichtet - sagt: '„Die Armen bleiben arm, und wer arm wird, bleibt es. Wir müssen etwas finden, was es den Armen erlaubt, aus der Armut herauszukommen. Mit Erziehung …“,' - dann kann ich hierin nur Empathie, aber keineswegs Zynismus erkennen.

    Natürlich, das Wort 'Erziehung' hat es in sich, man könnte es mit Disziplinierung übersetzen oder auch mit Bildung, mit Kompetenz, dem Erwerb von Fähigkeiten, aus der Armut herauszukommen ...

    • @Christoph :

      Ja, Empathie geheuchelt.

  • Ja nun, das was ich hier rauslese ist vor allem, dass Herr Balmer mit der Politik und insbesondere der Person Macron nicht zufrieden scheint.

    Die Zitate sind meiner Meinung nach weniger aggressiv als die Interpretation bzw. das im letzten Absatz zitierte Rezept (ist das Fakt oder eine Spekulation des Autors?) .

     

    Ruhe bewahren bei allem was in Kurznachrichten kolportiert wird ist mein Hinweis.

  • Macron ist nun mal ein lupenreiner Neoliberaler. Deshalb himmeln ihn z. B. die Grünen so an.

    Ein soziales Europa kommt in seinen Überlegungen nicht vor. SPD und Grüne haben mit der Agenda 2010 vorgemacht, wie „erfolgreich“ Lohndumping und Sozialabbau sein kann. Er ist deren Musterschüler.

  • Der Mann und seine Gönner haben echt Glück (?), dass sie damals in 2. Runde die le Pen bekommen haben. Die Franzosen weniger.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    In der Sozialpolitik steht Macron auf der Position von Christian Lindner, ultraliberal ohne Komplexe, endlich macht er sein Coming Out.

    Es kommen harte Zeiten auf Sozialhilfeempfänger, Kleinrentner, Arbeitslose und Asylbewerber zu( siehe Affäre um die Aquarius)

    Er ist Präsident mithilfe der Wähler der linken Bourgeoisie geworden, die glaubten, er wäre einer von Ihnen, er will es bleiben mithilfe der Wähler der konservativen und wirtschaftsliberalen Rechten. Es gehen immer mehr Signale in diese Richtung. Seine Rede über die schmerzliche Abwesenheit eines Königs( Action Française), jetzt über die Sozialschmarotzer( Arbeitgeberverbände).

    Er will die Republik privatisieren (Eisenbahn, Pariser Grossflughäfen usw...Verstärkung des privaten Erziehungssektors)

    Kurz er nähert sich immer mehr den Positionen von....Marion Maréchal.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Marketing statt Politik. Zum Ko***n! Was ist in einem solchen Hirn und vor allem: Herz drin? Vive Macron, vive la france!