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Kommentar Macrons ReformWieder nur Symptome behandelt

Harriet Wolff
Kommentar von Harriet Wolff

Gewerkschaften reagieren wütend bis resigniert auf Macrons Reformpläne. Protest steht an – viel bringen werden die Reformen eh nicht.

Nein, es ist keine Heilung in Sicht Foto: reuters

w ww.chemie-sozialpartner.de: So heißt ein gemeinsamer Netzauftritt der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und der Chemie-ArbeitgeberInnen. Ein Konzept, das in Frankreich noch undenkbar ist. Das deutsche Modell der „Sozialpartnerschaft“ ist sicher nicht des Friedens letzter Schluss. Doch sind unsere französischen Nachbarn in Bezug auf den Arbeitsmarkt und seine Ausgestaltung selbst von einer „Konfliktpartnerschaft“ weit entfernt.

Das zeigte sich am Donnerstag etwa in ersten hoch emotionalen, wütenden bis resignierten Reaktionen vieler Gewerkschaftsverbände auf die von Ministerpräsident Edouard Philippe in Paris vorgestellten Reformpläne. Sie sehen einen flexibleren Arbeitsmarkt vor und geben zum Beispiel ArbeitgeberInnen in kleinen und mittelständischen Betrieben bedenklich weitreichende Macht zur Themensetzung – ohne organisierte Vertreter der Beschäftigten einzubeziehen.

Dabei hatten sich im Vorfeld der Regierungsreformpläne endlich mal PolitikerInnen und GewerkschaftlerInnen zu Diskussionen getroffen. Die französischen Gewerkschaften organisieren sich nach Gesinnung und nicht unbedingt nach Berufsgruppen. Doch auch dieses Mal wird es im Herbst fürs Erste heißen: rien ne va plus, wenn die als radikal geltende CGT zu Großprotesten am 12. September aufruft. Dabei geht unter, dass die gemäßigtere CFDT erst mal nicht demonstrieren will.

Knapp 10 Prozent Erwerbslosigkeit und ein von ArbeitnehmerInnen hoch geschätztes Recht, das aber von ArbeitgeberInnen und Investoren als Aufschwung blockierendes Korsett gesehen wird: Auch die 36 Maßnahmen, die Macron und Philippe jetzt bis Jahresende mittels Erlassen durchsetzen wollen, werden höchstwahrscheinlich wieder nur eine Symptombehandlung sein – und keine „Heilung“, wie sie nun Philippe verkündete. Die würde sowieso weitgehend auf dem Krankenschein der Beschäftigten abgerechnet werden.

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Harriet Wolff
Wahrheit-Redakteurin
Seit 2013 bei der taz-Wahrheit, zeitweise auch Themenchefin in der Regie und Redaktionsrätin. Außerdem Autorin mit Schwerpunkt Frankreich-Themen
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7 Kommentare

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  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Frankreich ist das Land in Europa, wo die meisten Dividenden ausgeschütet werden und Macron verstärkt die Tendenz, indem er die Reichensteuer auf Kapitalanlagen abschafft. Frankreich ist auch das Land der Grosskonzerne, die trotz grösserer Flexibiltät keine oder kaum Arbeitsplätze schaffen werden. Die kleinen und mittleren Unternehmen geniessen kaum staatliche Unterstützung und exportieren so gut wie nichts und daran ändert auch das neue Arbeitsrecht nichts. Es geht vielmehr um eine Umstrukturierung der französischen Industrie, die von Prestigeprojekten zu einer innovativen, beweglichen, intelligenten Industrie in kleinen reaktiven Einheiten umgebaut werden muss und das geht nicht ohne staatliche Investitionsprogramme wie z.b. Stopp der Kerenergie und hin zur wiedererneuerbaren Energie. Macron muss seinen Wählern noch verraten, wie er sein 60Milliarden Investionsprogramm finanzieren will, wenn er mit Steuergeschenken für diesem Reichen die Staatskassen leert. Vielleich durch weitere Senkungen der Sozialleistungen wie die Senkung des Wohngeldes.

    Eins ist klar: Für die Reichen haben die Armen immer noch zu viel, und für die Unternehmer arbeiten die Leute zu wenig für zu hohe Löhne und sind gesetzlich zu stark geschützt und das gilt genauso für Frankreich und für Deutschland wie für Bangladesh und Vietnam.

  • Wenn man sich die Zusammenfassung der OECD für Frankreich 2018 (http://www.oecd.org/economy/france-economic-forecast-summary.htm) durchliest, fällt einem sofort auf, dass es nicht die Arbeitnehmerrechte sind, die wirklich die Integration in den Arbeitsmarkt behindern, sondern vielfach schlecht gestaltete Schulen, fehlende Inhalte, Investitionen in Bildungseinrichtungen in Problemgebieten und dass das BIP auch ohne solche Pseudoreformen anziehen wird, aber wohl nicht ausreichend, um einen Boom auf dem Arbeitsmarkt auszulösen.

     

    Was Macron wirklich macht, ist indes relativ simpel: Er geht in den Nahkampf mit der kommunisitischen CGT und versucht sein Glück.

     

    Das Ganze wird zur Tarnung als eine Reform dargestellt, von der dann Arbeitslose oder schlecht-bezahlte unterbeschäftigte Arbeitnehmer profitieren sollen.

     

    Aber das wird nicht eintreten, sondern es wird erstmal sehr schwer werden, sich gegen die Gewerkschaften durchzusetzen, zumal die anderen Gewerkschaften bald unter Druck kommen werden, doch die CGT in ihrer Haltung zu unterstützen.

     

    Durch das Aushölen von Arbeitnehmerrechten wird sowieso gar nichts anders sein, als es nicht ohne so eine Verschlechterung wäre, aber für einzelne Arbeitnehmer wird das sehr eng, zumal Kündigung einfacher werden, d.h. ältere Arbeitnehmer könnten jetzt schneller gekündigt und rausgeworfen werden.

     

    Das bedeute aber noch lange nicht, dass die Stellen nachbesetzt werden und dass jüngere Menschen diese Stellen zu den gleichen Konditionen erhalten werden.

     

    Für mich ist das nur ein weiterer Beleg, dass Macron genauso flau und neoliberal ist wie Sarkozy und teilweise Hollande - es gibt keine echte Linie, sondern mächtige Kreise können ihre Ideen einer Gesellschaft gegen die Mehrheiten durchsetzen - bei einer echten Wahl würde kein einziger Arbeitnehmer für diese 'Reformen' stimmen, deswegen waren sie ja auch vorher nicht bekannt.

  • Die Kehrseite des Macron-Regimes

     

    Bernard Arnault und Liliane Bettancourt gehören mit 40 Mrd. € Netto-Vermögen zu den TOP-20 der Welt. Sie und ihresgleichen profitieren gleich dreifach von Macrons generösen Steuergeschenken an die Fat Cats. Durch den Wegfall der Vermögenssteuer auf Immobilienbesitz, die Steuerpauschalierung auf Kapitalerträge und eine drastische Senkung der Körperschaftssteuer entgehen dem Fiskus künftig Einahmen in Höhe von 18 Mrd. €. Davon profitieren die 3000 reichsten Haushalte Frankreichs im Durchschnitt mit jeweils mindestens 1 Mio € pro Jahr Steuerersparnis. Für die Noblesse financière ist das Macron-Regime nichts als ein gigantisches Casino mit garantiertem Jackpot.

  • Die grundsätzliche Meinung der Gewerkschaften, dass dem Kapital entgegetreten werden muss um seinem eigenen Klientel was zuzuschustern aber keinesfalls gesamtgesellschaftlich zu denken ist evident.

     

    Auf der anderen Seite die Unternehmer, die es leid sind gepamperte Konzerfuzzis und Low-Performer mit möglichst hohen Abfindungen in den Vorruhestand zu schicken um dann per Zeitverträgen mit geringeren Personalkosten bei den Aktionären zu glänzen.

     

    Diese organisierte Verantwortunglosigkeit/Egoismus wird die Solidarität zwischen Arm und Reich, arbeitslos/in Arbeit sowie Alt und Jung weiter erschüttern.

     

    Frau LePen, Trump, Melanchon und andere Rattenfänger werden sich freuen.

  • Macron will das Feuer mit Benzin löschen

     

    Mit den angekündigten Eingriffen, die per Ordre de Mufti ohne Parlamentsdebatte dekretiert werden sollen, gehen die Elitisten an der Seine einen weiteren Schritt auf dem Wege, den bislang immer noch relativ gut geschützten französischen Arbeitskräftemarkt in einen Hire-and-Fire-Tummelplatz der Unternehmerwillkür zu verwandeln. Daß damit Arbeitsplätze geschaffen werden, wird genau so ein frommer Wunsch bleiben wie bei allen bisherigen Versuchen. Unter der Präsidentschaft Hollandes wurden dem Patronat und Aktionariat 40 Mrd. € in Gestalt von Steuergeschenken in den Rachen geworfen in der Erwartung, die Unternehmer mögen doch, bitte, bitte, mit diesem Geld neue Leute einstellen. Die haben der Regierung was gehustet und getreu der alten Rentier-Mentalität jenseits des Rheins das Geld erwartungsgemäß lieber in das globale Finanzkasino injiziert. Der „arbeitsmarktpolitische“ Effekt könnte diesmal vielen Beobachtern in Paris zufolge nicht nur wieder keine neuen Jobs kreieren, sondern sogar alte noch zerstören, denn sie liefen letztlich auf eine weitere Absenkung der Arbeitskosten, vulgo der Lohnmasse hinaus, was die Binnennachfrage weiter dämpft. Die kleinen und mittleren Betriebe (PME), denen in erster Linie die Verordnungen zugute kommen sollen, sind aber vorrangig binnenwirtschaftlich und nicht exportorientiert aufgestellt wie die CAC-40-Konzerne. Die Folge könnte demnach fatalerweise gerade ein umgekehrter Effekt sein, also Arbeitsplätze kosten und die Arbeitslosenzahl gar noch erhöhen. Die Macron-Reformen ähneln dem Versuch, das Feuer mit Benzin zu löschen.

  • In Frankreich gibts jetzt nicht wenige, die sich ärgern, nicht dann doch die Front National gewählt zu haben, weil die Medien systematisch dahin gearbeitet haben, daß es in Frankreich einzig nur noch diese beiden Möglichkeiten gab:

    Macron oder Le Pen - Pest oder Cholera

     

    Und sofort sich zeigt sich wieder, man ist ihnen dafür keinen einzigen Millimeter entgegenkommen.

    Es sollte mich sehr wundern, wenn es bei den nächsten Parlamentswahlen in F nicht ungleich schwerer wird, die (wieder) verarschten Wähler davon abzubringen, dann den Dachstuhl doch anzünden zu wollen - wenn das die einzige Alternative ist.

     

    Der Presse und dem Fernsehen kommt das doch noch nur zu Gute.

    Denn wer schafft Quote und erhält daher die mediale Aufmerksamkeit?

    Die wirklich brauchbaren Alternativen - die es tatsächlich gibt - nicht.

     

    Obwohl die Wähler mitlerweile so weit sind, daß sie einen Trump wählen, nur damit sich überhaupt mal etwas ändert, liest und sieht man von brauchbaren Alternativen allerhöchstens etwas in homöpathischen Dosen (Dem Presseauftrag wurde genüge getan.)

    Denn als noch nicht Etablierte dürfen sie weder beim politschen DSDS, noch im

    medialen Dschungelcamp mitspielen, was die Medien als Politiksimulation zelebrieren. Und als Sinnvolle und Vernünftige hauen sie eben keinen Dünnschiß lautstark auf die Pauke, was ihnen den sofortigen Medienfokus mit Einladungen zu Fernsehschows garantieren würde.

     

    Ich sag es seit über acht Jahren:

    Wenn die Vierte Gewalt im Staat so weitermacht, ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch wir hier unseren deutschen Trump kriegen.

  • Musste ich 2x lesen, um zu verstehen, wie die Autorin zu den geplanten Reformen eigentlich steht. Ist mir leider nicht gelungen, so habe ich dann mir die bisherigen Artikel (= Panegyrika) angeschaut, die die Autorin über den Jupiter von der Seine geschrieben hat.

     

    Also, geht er jetzt nicht weit genug und weiteres (FR-Agenda2025) muss folgen?

     

    BTW, IG-BCE als Beispiel für gelungene soziale Partnerschaft zu bringen - das ist echt stark. Höchst arbeitgeberfreundliche, weil gut versorgte Belegschaften repräsentierende Gewerkschaft, die für sich eine gewichtige Stimme im gesamtgesellschaftlichen Diskurs beansprucht (s. Agenda 2010) und ein Paradebeispiel für das Scheitern des Modells der sozialen Partnerschaft ist.