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Kommentar Lidls neue KundenkarteBig Brother im Einkaufswagen

Tanja Tricarico
Kommentar von Tanja Tricarico

Gegen digitale Helfer im Alltag ist nichts einzuwenden. Gegen die neue Kundenkarte des Discounters Lidl aber schon.

Wünscht sich gläserne KundInnen: der Discounter Lidl Foto: imago-images/Future Images

G ib mir deine Daten, und ich schenke dir einen Rabatt. Der Discounter Lidl will künftig alles über seine Kundschaft wissen und lockt Verbraucher*innen mit Niedrigpreisen – zugeschnitten auf das persönliche Einkaufsverhalten. Wer kann da schon Nein sagen? Sparen will ja schließlich jeder und jede.

Doch der Preis, den die Kundschaft in Kauf nimmt, ist hoch. Lieber Rotwein oder Bier? Für die Kinder Käse aufs Pausenbrot oder doch Schokocreme? Klopapier recycelt oder mit Duftstoff? Der Billigsupermarkt nutzt dieses Wissen gnadenlos aus. Aber weniger im Sinne der Kundschaft, sondern viel mehr zugunsten des Unternehmens. Wer Rotwein, Schokocreme oder Duftklopapier kauft, soll davon noch mehr kaufen und den Firmengewinn steigern.

Nur wer seine persönlichen Daten absaugen lässt, ist beim Preiskarussell dabei. Wer sich weigert, muss mehr Geld bezahlen. Wenn es die Lieblingsprodukte zum Spottpreis gibt, wird sich wohl so manch einer unbedarft in den Einkaufswagen schauen lassen. Dabei sind die datenschutzrechtlichen Bedenken enorm. Ohne Personalisierung sind die Informationen für die Rabatte nicht zu bekommen. Das ist ein klarer Eingriff in die Privatsphäre der Kund*innen.

Hinzu kommt die Ortungsfunktion. Wie praktisch, mag so manch einer denken. Wenn ich im Urlaub an der Ostsee die nächste Lidl-Filiale sofort angezeigt bekomme und wie selbstverständlich auch dort mit Preisnachlässen rechnen kann, ist das doch mehr als sinnvoll. Aber was geht es einen Discounter eigentlich an, wo ich meine Sommerferien verbringe? Gar nichts. Genau.

Gegen digitale Helfer im Alltag ist nichts einzuwenden. Sie verschaffen uns Zeit, leiten uns durch den Wust von Informationen, dem wir täglich ausgesetzt sind. Aber die Entscheidung, zum gläsernen Kunden zu werden, geht weit darüber hinaus. Was passiert mit den Daten? Wer hat Zugriff? Klare Antworten darauf gibt es nicht. Sicher ist, dass sich an dem Datenschatz nicht nur der Supermarkt bedienen wird, sondern auch die vielen Zulieferer, die mit dem Discounter zusammenarbeiten.

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Tanja Tricarico
wochentaz
Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Leitet derzeit das Politik-Team der wochentaz. Privat im Einsatz für www.geschichte-hat-zukunft.org
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4 Kommentare

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  • Zitat: „Sicher ist, dass sich an dem Datenschatz nicht nur der Supermarkt bedienen wird, sondern auch die vielen Zulieferer, die mit dem Discounter zusammenarbeiten.“

    Wenn es nur das wäre! Aber Informationen, die einmal erhoben worden sind, eignet sich immer der an, der davon am meisten profitiert – und über genügend Macht verfügt. In diesem Fall ist es also durchaus wahrscheinlich, dass der Bundestag, unbedarft wie er mitunter ist, einer Gesetzesvorlage zustimmt, in der geschrieben steht, dass Lidl seinen Wissensschatz nicht nur mit Zulieferern teilen muss, sondern vor allem mit dem Innenminister und den diversen Krankenkassen. Nur unter anderem.

    Was daran schlimm wäre? Tja. Das wird vermutlich jeder herausfinden, der Kinder hat und zu viel Schokolade kauft. Dem wird seine Krankenkasse nämlich auch ohne Blick in den weltweit vernetzten Kühlschrank unterstellen, dass er seine Kids ungesund ernährt. Mit etwas Pech bekommt ein solcher Lidl-Kunde dann nicht nur einen mahnenden Brief von seiner Krankenkasse, sondern auch eine (angeblich) verhaltensbedingte Beitragsanpassung . Er zahlt dann mehr als, sagen wir, einer, der immer nur Karotten kauft bei Lidl. Natürlich alles zugunsten der Solidargemeinschaft. Und wer zu oft in Osteuropa oder in Italien Urlaub macht und da bei Lidl einkauft, der wird womöglich bald als Orban-, PIS- oder Salvini-Sympathisant geführt vom „seinem“ Innenminister, auch wenn er nur Verwandte hat in Polen, Ungarn oder am Stiefelabsatz. Klar, nur zur Vorbeugung. Man soll ja schließlich Risiken minimieren als Innenminister.

  • "Sie (digitale Helfer) verschaffen uns Zeit, leiten uns durch den Wust von Informationen, dem wir täglich ausgesetzt sind."

    Verschaffen Zeit? Klingt irgendwie naiv, oder nach Mangel an Information darüber, wie Algorithmen Informationen steuern und Informationen nach Vorlieben der Nutzerinnen filtern. Mit einer Geschwindigkeit die kaum Zeit lässt, Informationen zu bedenken. Ist ja auch nicht nötig, wenn nur das angezeigt wird, was der/die UserIn und ihre FreundInnen MÖGEN. Vielleicht wurden auch nur die durchaus vorhandenen Informationen ausgeblendet, in denen die Konsequenzen der Zeit"Verdichtung" publiziert wurden.

    Aus "Habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" ist offenbar "Befreie dich vom Verstand, vertraue den Algorithmen" geworden. Ist bequemer, man hat ja nichts zu verbergen und das nicht nur beim shopping.

    Übrigens: der Strom für die Digitalisierung kommt aus der Steckdose! Die Serverparks in Deutschland verbrauchen heute schon so viel Strom, wie die Stadt Berlin, oder anderes gesagt: die Gesamtmenge an Strom, die Offshore erzeugt wird. Bei so viel Vorteilen für die Bequemlichkeit, darf die Digitalisierung im Kontext mit Energieverbrauch und Klimawandel nicht hinterfragt werden. Schon gar nicht bei G5!

  • Gegen die Missbrauchsmöglichkeiten beim Bezahlen mit EC- oder Kreditkarte erscheinen mir die hier aufgezählten Gefahren für die Privatsphäre durch eine Kundenkarte geradezu lächerlich!



    Wenn ich mit Karte bezahle, dann sind z.B. meine Ernährungsgewohnheiten klar auswertbar. Dass diese Daten in der Supermarktkasse bleiben, dürfte nahezu ausgeschlossen sein. Schon vor einigen Jahren hatte die AOK zur Einführung personalisierter Kassenbeiträge vorsichtig die Fühler nach solchen Daten ausgestreckt. Offiziell bekommt sie zwar (noch) keiner, aber "allein, mir fehlt der Gaube"...

  • Wie blöd muss man sein um seine persönlichen Daten für 30 Silberlinge in Form eines Rabatts beim ohnehin schon im unteren Qualitäts- & Preissegment angesiedelten Discounter zu verhökern? Wer das tut hat gewiss auch eine Amazon-Wanze zu Hause, die ihm dann auf der Couch erzählt, dass seine Lieblingskartoffelchips bei Lidl "nur noch heute abend" für €1,99 zu haben sind. Aber wenigstens hat der Konsument die Wahl seine Daten preiszugeben oder nicht. In den Filialen der Deutschen Post AG ist das leider nicht der Fall, denn dort werden die aufgenommenen Kamerabilder auf Alter, Geschlecht und Gemütszustand analysiert.