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Kommentar LandtagswahlenDas Österreich-Szenario

Kommentar von Martin Reeh

Deutschland droht zu einem Staat zu werden, in dem nur noch Große Koalitionen möglich sind. Von einem Land ohne Regierungswechsel profitiert der rechte Rand.

GroKo forever? Bild: dpa

V or den beiden Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg hat sich fast alles darum gedreht, ob mit Bodo Ramelow erstmals ein Vertreter der Linkspartei Ministerpräsident eines Bundeslandes wird. Eine Entscheidung mit bundesweiter Bedeutung war diese Frage jedoch nicht – anders als 2009, als der Abgrenzungsbeschluss der Bundes-SPD zur Linkspartei noch galt.

Derzeit ist das entscheidende Hindernis für eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene nicht die SPD, sondern die Linkspartei. Solange die Linke außenpolitisch weder willens noch in der Lage ist, für komplexe Probleme komplexe Antworten zu suchen, kann es keine Zusammenarbeit der drei Parteien in Berlin geben. Ein Ministerpräsident Bodo Ramelow könnte daran nichts ändern.

Das aus bundespolitischer Sicht wichtigere Signal von Erfurt und Potsdam ist daher das erneute gute Abschneiden der AfD. Es wird auf absehbare Zeit auf Bundesebene auch Schwarz-Grün und damit die zweite Alternative zur Großen Koalition unmöglich machen. Nichts würde ein weiteres Abwandern der Unionsanhängerschaft zur AfD so beschleunigen wie eine Zusammenarbeit mit den Grünen, die für viele Konservative wegen ihren gesellschaftspolitischen Positionen geradezu ein Feindbild darstellen.

Die Grünen selbst werden ihrer Basis eine Koalition mit einer Union, die angesichts der AfD-Erfolge wieder nach rechts rücken wird, kaum verkaufen können. Deutschland droht damit, zu einem zweiten Fall Österreich zu werden: einem Staat, in dem nur noch Große Koalitionen möglich sind. Von einem Land ohne Regierungswechsel profitiert aber der rechte Rand am meisten.

Darauf, dass die AfD sich in kurzer Zeit zerlegen wird, sollten sich SPD, Grüne und Linke nicht verlassen. Natürlich bietet die Partei angesichts der entgegengesetzten Positionen von Liberalen und Nationalkonservativen genügend Potenzial, sich zu zerstreiten. Aber ihre Führung ist erfahrener, als es etwa die der Piraten war – und bereit, die schlimmsten Querulanten auszuschließen.

Zwangsläufig ist das Österreich-Szenario nicht: Die SPD könnte frühzeitig darüber nachdenken, ob sie nicht doch einen Kanzlerkandidaten hat, der die Partei aus dem 25-Prozent-Ghetto hinausführen kann. Und in der Linkspartei müssten diejenigen, die außenpolitisch einen differenzierteren Kurs wollen, ihn endlich deutlich artikulieren.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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11 Kommentare

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  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    "Komplexe Antworten" ist der schönste Neologismus, den ich für "mehr Verantwortung", d.h. VERFLUCHTNOCHMAL KRIEG jemals lesen durfte. Danke dafür, lieber Martin Reeh.

  • welche der etablierten Parteien hat denn schon komplexe Antworten auf komplexe Probleme. hier wird die Komplexität unserer Probleme ja noch nicht einmal erkannt. man versucht mit einfachen, uralten Sichtweisen hochkomplexe Probleme zu lösen.

    das hat in der Vergangenheit nur schlecht funktioniert, sonst hätten wir ja viele der heutigen Probleme nicht, und wird in Zukunft auch nicht besser funktionieren, im Gegenteil, es wird dazu führen, daß die Probleme noch komplexer werden.

  • Wie soll er denn aussehen, der differenziertere Kurs, die komplexen Antworten auf komplexe Fragen? Soll die Linke zur Kriegspartei werden?

    Nein Danke, sag ich dazu. Solche Parteien gibt es schon genug.

  • wieder wird in Politik gemacht-die Wahlbeteiligung von c 50% wird nicht beachtet, naja, einer sagte, den Menschen im Lande geht es so gut, dass sie vollkommen zufrieden sind und auf eine Wahl verzichten-also die Parteien sind fast unter sich und man hat halt nur einen Störenfried, aber Unbequeme und Kritiker stören nur wenig !

  • "Solange die Linke außenpolitisch weder willens noch in der Lage ist, für komplexe Probleme komplexe Antworten zu suchen"

    Dieses idiotische Axiom geistert immer wieder durch die Köpfe von Journalisten und Politikern. Tatsächlich sind die Fragen gar nicht so komplex, und die richtigen Antworten auch nicht. So zum Beispiel:

    - Waffenlieferungen in Krisengebiete: nein

    - Russlandsanktionen ohne Grund/Sinn/Ziel: nein

    - Bundeswehreinsätze nur mit Parlamentzustimmung: ja

    - TTIP/CETA: nein, keinesfalls

    - Volksabstimmungen: ja

    - Bankenrettung auf Staatskosten: nein

    - ...usw

    Komischerweise werden diese einfachen Antworten auf die einfachen Fragen eben nur von den Linken und der AfD gegeben. Die anderen Parteien geben, wahrscheinlich aufgrund von Lobby-Einflüssen, genau die entgegengesetzte Antwort.

    • @XXX:

      Meine Zustimmung.

       

      Die Linkspartei ist die einzige in den Parlamenten vertretene Partei, die ernsthaft Dinge wie soziale Gerechtigkeit und friedlichere Außenpolitik angeht. Solche "Querulanten" sollen eben von Politik und Medien diskreditiert werden.

  • "Solange die Linke außenpolitisch weder willens noch in der Lage ist, für komplexe Probleme komplexe Antworten zu suchen..."

    Komisch, mich kotzt es immer an, dass die "großen" Parteien alle immer sehr einfache Antworten auf Komplexe Fragen haben.

    Wer selbste keine Antworten hat, aber von anderen welche verlangt, sogar "komplexe", der hat einen an der Schüssel und dürfte gar nicht gewählt werden..

    Anstelle simple "pro-Amerika" Politik, ohne zu hinterfragen, würde uns eine Aussenpolitik der Linken schon mal wirklich gut tun...

  • Die Altparteien bekommen immer weniger Stimmen, weil die Menschen immer mehr erkennen, dass immer mehr Wachstum keine Lösung ist und nur immer mehr Verlierer produziert. Leider haben die alten Parteien aber keine überzeugenden Antworten auf die aktuellen Fragen in der Welt, also wählen immer mehr Menschen die Parteien mit den einfachen Antworten. Und das ist im Moment hauptsächlich die AfD. Alternativen mit überzeugenden Antworten sind selten und außerdem unbequem. Ich sehe da auf lange Zeit keinen Ausweg :-(

  • Ich frage mich welche super komplexen außenpolitischen Antworten die Altparteien denn anbieten, die die Linke jetzt bringen soll?

    Bisher sehe ich nur blindes Folgen der US Position.

    Da werden neue Sanktionen gegen Russland beschlossen trotz einer Waffenruhe.

    Es werden Waffen an Terroristen im Irak geliefert um andere Terroristen zu bekämpfen, die nur existieren aufgrund eines Krieges aus dem uns Schröder heraus gehalten hat.

    Über 10 Jahre wird ein Krieg in Afghanistan geführt mit einem Ergebnis das im besten Fall Null beträgt.

    etc, etc

    Auf diese Art der "Komplexität" kann ich verzichten.

  • Die SPD kommt aus dem 20%-Ghetto nur raus, wenn sie die Agenda 2010 zurücknimmt und sich bei der Bevölkerung entschuldigt. Leider gibt es dort weit und breit niemanden, vermutlich sind die aufrechten Sozialdemokraten ohnehin längst ausgetreten.

  • "Es wird auf absehbare Zeit auf Bundesebene auch Schwarz-Grün und damit die zweite Alternative zur Großen Koalition unmöglich machen."

     

    Das ist eine These. Ich bin mir nicht sicher, ob sie stimmt. Das Problem ist doch, dass die Union in Städten bes. Großstädten nicht gut zurecht kommt. Ihr fehlt hier ein Konzept. Das liefert ihr aber keine Koalition mit der SPD, Siehe Berlin, sondern sie muss nach neuen Kulturen, neuen Erklärungsmustern und Ansätzen suchen. Schwarz-Grün wäre eben dies. Auf dem platten Land wäre das nur in kleinen Gemeinden möglich.

     

    Insgesamt glaube ich, dass die Einigkeit von SPD und Union das Land zu einer Ruine macht. Es gibt in Wahrheit kaum noch einen Wettbewerb für Konzepte und Ansätze. Eigentlich erhalten wir schon seit langer Zeit immer die gleiche Regierung mit den gleichen Stärken und Schwächen. Gerade in Sachsen, Thürigen und Brandenburg scheint es regelrecht egal zu sein, ob ein Bürger überhaupt nicht wählt. Gut ein Drittel der abgegebenen Stimmen reicht, bei ca. 45 bis 55 Prozent Wahlbeteiligung. Da stimmt wohl nur noch eine Minderheit ab.