Kommentar Labour Party nach dem Brexit: Ein fundamentales Missverständnis
Die Labour Party hat die Tuchfühlung zu den Prekarisierten fahrlässig eingebüßt. Parteichefs wie Corbyn verkörpern nichts als ein Missverständnis.
D ie Arbeiterklasse Großbritanniens wird mutmaßlich am stärksten unter dem Brexit zu leiden haben. Das wusste – eventuell – auch die Labour-Führung um Jeremy Corbyn. Und die thematisierte zwar die strukturellen Probleme der Europäischen Union, war aber nicht willens, darauf zu verweisen, dass die Einsparungen im Gesundheits- und Bildungsbereich wesentlich mit den Konservativen zu tun haben, nicht jedoch mit der EU.
Corbyn und seine Hipster-Freunde – welche seinetwegen kürzlich massenhaft in die Partei der britischen Arbeiterbewegung eintraten – entschieden sich gegen die proeuropäische Mobilisierung. Es ist dies ein neuerlicher Beweis, dass diese Partei Kontakt und Tuchfühlung zu den Prekarisierten fahrlässig eingebüßt hat.
Labour, das ist – wie so viele Sozialdemokratien in Europa – eine Partei geworden, die sich mehr um Islamfragen, Kritik an Israel, Postkoloniales, LGBTI*-Themen oder kulturelle Geschmacksfragen kümmert, als es für ihren politischen Erfolg auch in den White-&-Colored-Trash-Gegenden, den Zentren der englischen Industrie, nötig wäre.
Es sind Themen, die die Kulturlinke stark interessieren, aber eben nicht den Widerhall in jenen Regionen finden, in denen sozusagen die Abgehängten der digitalen Revolutionen leben. Unter den Brexisten sind viele dieser Prekarisierten – ihr Urteil zur EU hat wesentlich mit dem Hass auf diese ewigen Schlaumeier der besseren linken Kreise zu tun.
Nur begrenzt grün werden
Sozialdemokraten büßen dort stark an Einfluss ein, wo sie sich auf ideologischen Feldern tummeln, die originär nicht die Ihrigen sind. Und auf die sie sich auch nicht – nicht einmal gefühlt – konzentrieren sollten. Sozis sind dafür da, jene, die man früher zur Arbeiterklasse zählte und heute zum (nicht nur weißen) „Prekariat“ summiert, nicht den Nationalisten zu überlassen und bessere Lebensbedingungen für sie und mit ihnen zu erkämpfen.
Demokratische Arbeiterparteien dürfen inhaltlich nur begrenzt grün werden, vor allem sollten sie die eigene Kundschaft immer im Blick behalten.
Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht haben die richtige Fährte aufgenommen. Wie im Übrigen auch die schottlandpatriotische und nichtrassistische SNP unter Nicola Sturgeon. Parteichefs wie Corbyn verkörpern nichts als ein Missverständnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader