Kommentar Kopftuchverbot für Mädchen: Mädchen stark machen
Statt einem Verbot: Mehr Förderung für Mädchen, die zu Hause gegängelt werden. Das wäre die angemessene Antwort auf das Kopftuchproblem.
M ädchen stark machen. Das ist die Spitze der Emanzipation und Konsens in der deutschen Gesellschaft. Und es schmerzt jedes Mal, wenn man ein Mädchen sieht, dem der Ausdruck von Stärke und Freiheit verwehrt wird. Bei strenggläubigen Religiösen herrscht immer noch ein patriarchaler Gott, der Gehorsam verlangt, insbesondere von Frauen. Das ist bei allen religiösen Fundamentalisten so, im Islam fällt es wegen ihrer großen Zahl nur besonders auf.
Das alles ist ungut, insbesondere wenn bereits Mädchen im Grundschulalter in dieses Fahrwasser geraten, erzwungen oder nicht. Dass es Bestrebungen gibt, das Kopftuch für Grundschülerinnen zu verbieten, ist deshalb nachvollziehbar. Doch die alten Probleme, die auch schon für die Debatte über Lehrerinnen mit Kopftuch galten, tauchen auch hier wieder auf: Ein solches Verbot greift in Grundrechte ein. Da ist zum einen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes, denn, ja, es wird auch Mädchen geben, die gern wie ihre große Schwester ein Kopftuch tragen wollen, so wie andere mit sieben bereits Nagellack tragen wollen. Dann das Erziehungsrecht der Eltern. Gefährdet der Kopftuchzwang das Kindeswohl? Und warum gefährdet dann die Körperverletzung bei einer Beschneidung von Jungs das Kindeswohl nicht?
Und dann gibt es noch die Religionsfreiheit. Sogar wenn man, um der Gleichbehandlung Genüge zu tun, wieder Schuluniformen einführen würde, zusammen mit einem Verbot von Kopfbedeckungen, könnte es knapp werden, weil die Religionsfreiheit hierzulande traditionell hoch bewertet wird.
Nebenbei hat man mal wieder den Islam insgesamt diffamiert und dazu noch alle Frauen, die sich freiwillig für ein Kopftuch entscheiden. Ist es das alles wert? Geht es Mädchen, denen das Kopftuch in der Schule verboten wird, überhaupt um einen Deut besser, wenn sie es außerhalb tragen müssen und weiter einer fundamentalistischen Erziehung ausgesetzt sind? Unterm Strich bleibt ein Minus. Mehr Förderung für Mädchen, die zu Hause gegängelt werden, das ist die angemessenere Antwort auf das Kopftuchproblem: Mädchen stark machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos