Kommentar Kirche und Staat: Nehmt den Kirchen ihre Pfründen!
Die Privilegien von Katholiken und Protestanten gehen an der Realität vorbei. Nur Linke und Piraten fordern den Abbau der kirchlichen Vorrechte.
W as sind schon 460 Millionen Euro? Ein Klacks. 0,14 Prozent des Bundeshaushalts. Andererseits auch eine ganze Menge: zum Beispiel das Zwanzigfache dessen, was das Familienministerium für Projekte gegen Rechtsextremismus zur Verfügung stellt.
460 Millionen Euro – in dieser Größenordnung bewegt sich die Summe, die Katholiken und Protestanten Jahr für Jahr aus Steuermitteln einstreichen. Nicht von der Kirchensteuer ist die Rede, sondern von den „altrechtlichen Staatsleistungen“. Das sind Ausgleichszahlungen für die Enteignung von Besitztümern im Zuge der Säkularisierung. Gut 200 Jahre ist das her.
Eigentlich hatte schon die Weimarer Verfassung die Staatsleistungen zu einem Zopf erklärt, der abgeschnitten gehöre. Aber 50 Jahre später schrieb das Grundgesetz das unerfüllte Versprechen fort. Und da steht es noch heute. Als die Linke dieses Jahr den Entwurf eines Staatsleistungsablösegesetzes in den Bundestag einbrachte, war das der allererste Versuch, den über 90 Jahre alten Verfassungsauftrag umzusetzen.
Jahrgang 1969, war als Kind Ministrant. Nach mehreren Jahren auf einer Jesuitenschule schied die Option Theologie klar aus – er studierte Politikwissenschaft an der FU Berlin. Seit dem Jahr 2000 arbeitet er bei der taz, inzwischen als Chef vom Dienst der Berliner Lokalredaktion. Im Lokalteil erscheint seit einem Jahr seine religionskritische Kolumne „Halleluja“.
Der Entwurf wurde von allen übrigen Fraktionen abgelehnt. Dass darüber hinaus nur die Grünen sich für die Idee einer Anhörung zum Thema erwärmen konnten, fand der Linken-Abgeordnete Raju Sharma „armselig“. Zu Recht.
Politik sucht kirchliche Nähe
Denn so sieht die gesellschaftliche Realität aus: Wie Schnee nach einem langen Winter schmelzen die Bindungen der Deutschen zu den Großkirchen ab. Weniger als 60 Prozent gehören einer von beiden an, nach dem Krieg waren es noch 95 Prozent. Und die demografische Entwicklung der kommenden Jahrzehnte wird die Erosion weiter vorantreiben. Statt diesem Bedeutungsverlust Rechnung zu tragen, sucht die Politik aber weiter die Nähe zu Soutane und Talar und schmettert fürsorglich Angriffe ab.
Neben der Linken sind die Piraten die einzige Partei mit halbwegs reeller Chance auf den Einzug in den Bundestag, die den Abbau kirchlicher Vorrechte fordern. Wobei es nicht nur um Staatsleistungen geht. Es geht um enorme steuerliche Privilegien, um die höchst umstrittenen Sonderrechte der Kirchen als Arbeitgeber, um ihre Präsenz an öffentlichen Schulen, Sitze in den Rundfunkräten usw.
Dass CDU und CSU den Kirchen ihre Pfründen nicht streitig machen, wundert nicht. Bei den Sozialdemokraten wiederum ist die Furcht vor dem Ruch der „gottlosen Gesellen“ so groß, dass Katholik und Schönsprecher Wolfgang Thierse zum Parteigewissen geadelt wird, während das Grüppchen bekennender Laizisten nicht mal einen Arbeitskreis bilden darf. Und bei den Grünen sind die personellen Überlappungen, etwa in Gestalt der EKD-Funktionärin Katrin Göring-Eckardt, nicht zu übersehen.
Große Missverständnisse
Dabei wabert immer noch ein großes Missverständnis durch die Köpfe: dass eine starke Stellung der Kirchen nötig sei, weil diese eine ethische Orientierung bieten, die die republikanische Vernunft herzustellen nicht in der Lage ist. Nichts falscher als das. Auf viele moralische Fragen haben die Kirchen keine klare Antwort (Militäreinsätze), sie schlingern herum (Kapitalismuskritik) oder haben einfach säkulare Ideale übernommen (Menschenrechte).
Und da, wo zumindest die Katholiken klare Kante zeigen (PID, Sterbehilfe usw.) trauen sie sich noch nicht einmal, ihre Haltung konsequent religiös zu begründen, und verstecken sich hinter naturrechtlichen Argumentationen.
Grund genug, Joseph Ratzingers berühmt gewordener Forderung nach „Entweltlichung“ der Kirche nachzugeben. Ergebnisse liegen da noch in weiter Ferne. Immerhin ist halbwegs klar, von wem man sie beim besten Willen nicht erwarten darf.
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