Kommentar Kämpfe in der Ukraine: Nicht mehr als Sanktiönchen
Staatschef Poroschenko hofft offensichtlich auf stärkere Rückendeckung aus Brüssel. Doch das könnte sich als Trugschluss erweisen.
E in baldiges Ende der Kämpfe im Osten der Ukraine? Von wegen. Nach wie vor ist die Situation so verfahren wie unübersichtlich. Ein Teil der prorussischen Separatisten ignoriert nicht nur die Waffenruhe, sondern schießt gleich noch einen weiteren Armeehubschrauber ab. Der Chef der Separatisten in Donezk, Pawel Gubarew, ruft nach russischen Friedenstruppen, um dem „Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung“ ein Ende zu machen.
Russland Präsident Wladimir Putin demonstriert publikumswirksam guten Willen und lässt seine Ermächtigung zu einem Militäreinsatz in der Ukraine durch das Parlament widerrufen – ein Schritt, der sofort wieder rückgängig gemacht werden kann. Gleichzeitig unternimmt der Kremlchef wenig bis gar nichts, um Waffenlieferungen an die Separatisten im Osten der Ukraine zu unterbinden.
Der fortdauernde Konflikt bringt den ukrainischen Staatschef Petro Poroschenko in eine überaus missliche Lage. Immerhin war er bei den Wahlen mit dem Versprechen angetreten, die östlichen Regionen des Landes so schnell wie möglich zu befrieden. Derzeit sieht es eher so aus, als würde er mit seinem Friedensplan scheitern.
Nicht zuletzt dieses Szenario ist es wohl auch, dass Poroschenko bei der Unterzeichnung des noch ausstehenden Teils des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union so auf die Tube drücken lässt. Offensichtlich erhofft sich die ukrainische Führung dadurch eine stärkere Rückendeckung Brüssels bei der Auseinandersetzung mit Russland.
Diese Hoffnungen könnten sich als Trugschluss erweisen. Die Sanktiönchen und Drohgebärden können nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele EU-Staaten an weiteren Strafmaßnahmen gegenüber Russland absolut nicht interessiert sind. Das sollte Kiew wissen. Moskau weiß es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Umwälzungen in Syrien
Aufstieg und Fall der Familie Assad
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“