piwik no script img

Kommentar Jamaika und die GrünenEine neue Kultur der Kooperation

Kommentar von Claus Leggewie

Eine Jamaika-Koalition könnte Deutschland Chancen eröffnen. Wir könnten zum Beispiel Trendsetter einer grünen Außenpolitik werden.

Grüne Akzente setzen Foto: dpa

W as die Grünen in einem Kabinett verantwortungsbewusster Bürgerlichkeit tun können? Die natürliche Wahl ist das Umwelt- und Bauministerium, am besten ergänzt um Bereiche der Verkehrs- und Verbraucherpolitik, die die Energiewende voranbringen und der Stadtplanung eine sozialpolitische Komponente verleihen. Denn Wohnungsfrage und Wiederbelebung ländlich-dörflicher Regionen sind die soziale Frage von heute.

Des Weiteren streben die Grünen das Auswärtige Amt an, wo Joschka Fischer nach dem Fall der Mauer Akzente setzen konnte. Diese Ära ist definitiv vorüber. Ins Zentrum rückt so ein in seiner Bedeutung gegenüber dem bisherigen Zuschnitt des Entwicklungsministeriums erheblich aufgewertetes „Ministerium für globale Entwicklung“ (Dirk Messner), das im Blick auf eine gerechtere Globalisierung und globale Solidarität Beiträge leisten kann: mit einer veritablen Afrika-Initiative und einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren Osten, die Iran, Saudi-Arabien und die Golfstaaten unter europäischer Vermittlung zur Kooperation bewegt – und im Übrigen gemeinsam mit Frankreich und den südeuropäischen EU-Staaten die mediterrane Welt in den Fokus rückt.

So könnte deutsche Außenpolitik Trendsetter eines erneuerten Multilateralismus in der Weltinnenpolitik sein. Die meisten Agenden sozialökologischer Politik, darunter nicht zuletzt die Landwirtschaft, müssen neu gebündelt werden in einem Ansatz globaler Entwicklung, der die Veränderungen seit dem Ende des Kalten Krieges aufnimmt und die spätkolonialen Reste der „Entwicklungshilfe“ beseitigt.

Zur „Dritten Welt“ gehören heute die wichtigsten Player der G20 genauso wie die ärmsten Regionen der Welt. Der Wandel des internationalen Systems und des globalen Regierens erfordert eine Reorganisation des Ressortprinzips und eine neue Kultur der Kooperation. Das ist kein „Projekt“ à la Rot-Grün, aber weit mehr als eine enge Interessengemeinschaft wie Schwarz-Gelb – und, das wäre zu hoffen, eine zeitgemäße Form von „Maß und Mitte“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • gehn wir mal davon aus, jamaika sei unauweichlich.

    zwei fragen zu den ressortzuteilungen:

    in welchen ministerien können grüne themen ausschließlich von grünen wirksam umgesetzt werden?

    in welchen ministerien kann die agenda der anderen schlecht umgesetzt werden und/oder ist die position der anderen nicht so weit von den grünen entfernt, so dass man nicht darauf bestehen müsste?

     

    ein liberaler außenminister, der unter der reisekanzlerin nix zu sagen hat und im außenministerium mit seiner neoliberalen agenda dort wenig kaputt machen kann. bitte ja.

     

    ein liberaler im justiz- oder innenministerium. in beiden bereichen sind sich liberale und grüne nicht so spinnefeind, wie in anderen, also um himmels willen, lasst auch das der fdp, das wären schon zwei ministerien, in denen die wenig rumpfuschen können bzw werden.

     

    dann noch der obligatorische liberale wirtschaftsminister, geschenkt.

     

    so schön eine vorstellung eines finanzministers paus, schick oder kindler auch wäre, in der koalition und unter der kanzlerin wäre der preis für dieses ministerium viel zu hoch.

     

    die grünen müssten sich in dieser biedermeier-wahlperiode auf drei ihrer kernthemen konzentrieren: umwelt, landwirtschaft, verkehr, familie und entwicklungshilfe.

    da könnten grüne minister was bewirken.

    wenn özdemir aber zu tingeltangel-cem aus dem tingelministerium wird, wäre das mehr als bezeichnend, die eigene karriere über die interessen der eigenen wähler und der partei zu stellen.

  • 2G
    25726 (Profil gelöscht)

    Wo bin ich hier? Cicero? FAZ? Süddeutsche? Spiegel, oder gar Focus...?

     

    Die AfD mit Dosenpfand als Retter deutscher Bürgerlichkeit?

     

    Das muss ein Alptraum sein...Ich hab' mich verlaufen..... Ulrike, Rudi,...wo seid Ihr...helft mir hier raus....

  • Hier wird ja wirklich aus vollen Rohren geschossen, um Appetit auf Jamaika zu machen… Zu einer „verantwortungsbewusste[n] Bürgerlichkeit“ können die noch verbliebenen Reste von linken Grünen kaum Nein sagen, oder doch? „[G]erechtere Globalisierung und globale Solidarität“. „Afrika-Initiative“ und „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im mittleren Osten“ klingen natürlich viel schöner als „Kosovo-Krieg“ und „US-Intervention in Afghanistan“, schließen Letzteres aber nicht aus. Das sieht mir ziemlich wolkig und wenig konkret aus. Von Verbesserungen im sozialen Bereich (Hartz IV, Massenarbeitslosigkeit, Niedriglöhne, Umverteilung durch höhere Steuern auf Vermögen…) ist überhaupt keine Rede, Privatisierungen (Autobahnen, Ceta, TTIP…) sollen nicht verhindert werden und die Obergrenze für Flüchtlinge müßten die Grünen auch schlucken – das alles dafür, daß sie sich praktisch folgenlos im Entwicklungsministerium austoben dürften, während Schwarz-Gelb die knallharte neoliberale Politik zulasten der Bevölkerungsmehrheit weiter verschärft. Quelle Nachdenkseiten

  • Das zeigt wieder wo die „linke“ taz steht. Einerseits werden diffamierende Artikel über Oscar Lafontaine publiziert weil er es wagt die Flüchtlingspolitik kritisch zuhinterfragen, anderseits wird eine neoliberale Jamaika-Koalition hochgeschrieben. Quelle Nachdenkseiten

  • Was haben Deutschland allen voran die USA und seine Verbündeten, in anderen Ländern zu suchen? Lt. Völkerrecht sind Kriege, Putschs, Drohnen Einsätze Bombenabwürfe, alle illegal also Völkerrechtswidrig? Wieso wird das so gut wie in keinem westlichen Medium mehr erwähnt, ganz zu schweigen angeprangert? Verantwortliche müssten verhaftet werden, und in Den Haag als Kriegsverbrecher angeklagt werden? Warum wird das vom westlichen Medien und Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft nicht täglich eingefordert? Warum schreibt, und berichtet man im Westen darüber, dass der Westen mit seinen gerade einmal 10% der Weltbevölkerung als weiße Herrenrasse sich regelmäßig über das Völkerrecht stellt, und den Rest der Welt in Chaos stürzt?

  • Mit der möglichen jamaika koalition ist ein weiter-so verbunden. Für die soziale Basis der Grünen ist alles, was das Bürgertum fordert, machbar. Denn die lebensweise des grünen kleinbürgertums muss sich nicht um die toten im mittelmeer kümmern, auch die mieten sind (noch) bezahlbar, von Prekarisierung und Hartz4 höchstens die kinder betroffen. Der Realo-Kurs ist real gescheitert, die BRD nicht demokratischer, kaum ökologischer und nicht sozialer als in den 80ern. Leggewie tut so, als sei die Vernunft die Einsicht in die kommende Notwendigkeit, dabei wäre Vernunft die Einsicht in das reale Scheitern aller sozialliberalen projekte. Borniert auch die Vorstellung das merkelsche weiter-so ließe sich grün aufhübschen.

  • "...und einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren Osten, die Iran, Saudi-Arabien und die Golfstaaten unter europäischer Vermittlung zur Kooperation bewegt..."

     

    So nötig eine solche Konferenz wäre. Die Zeiten in denen die Europäer dort als Vermittler auftreten konnten, sind vorbei. Die Staaten regeln so etwas jetzt untereinander.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Es ist typsisch naiv anzunehmen, dass Interesse an so etwas besteht, im Nahen Osten gibt es eine junge Bevölkerung und viele arbeitslose junge Männer. Warum verhandeln wenn man hoffen kann auf dem Schlachtfeld ein besseres Ergebnis zu erreichen. Sowieso wird im Nahen Osten nur Stärke respektiert und das heißt nicht Soft-Power sondern Panzerdivisionen und davon haben wir nicht mehr sehr viele.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Selbst wenn wir die Divisionen hätten. Die Leute wollen sich nicht mehr reinreden lassen...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Oder etwas drastischer ausgedrückt: Im Mittleren Osten würde heute kein Hund mehr einen Knochen von den Europäern nehmen.

      Nicht zuletzt das Ergebnis der Arbeit von "Thinktanks" wie DGAP oder SWP, die offensichtlich Ihre Aufgabe immer noch darin sehen, die Strategiepapiere neokonservativer US-Denkfabriken zu übersetzen und weiterzureichen.

  • 3G
    36387 (Profil gelöscht)

    Das Außenministerium kann gerne ein CSUler haben, lernt der wenigstens mal richtig Deutsch und Englisch ;-)

     

    Die Grünen müssen das Finanzministerium fordern.

     

    Daneben gerne noch Umwelt- einschließlich Verkehrspolitik.

     

    Die FDP muss zwingend das Innenministerium fordern.

     

    Daneben noch gerne Kultur und Sachen wo sie nicht noch mehr Schaden anrichten können.

     

    Die CDU muss dann bei den Frauen Akzente setzen ...

  • Ja, in der Theorie liest Jamaika sehr gut, wenn man die Wünsche so umsetzen könnte, dann wäre es wirklich ein Fest, das wäre vielleicht weit über dem, was Gerd Schröder anbieten wollte, aber die Realität ist, dass eine grüne Beteiligung, eine weitere Beteiligung an einer Agenda-2010-Politik wäre: Im Kern also Verarmung, Ausbeutung, gespaltene Belegschaften, Abbau von Gewerkschaftseinfluss auf die Lohnerhöhung, Ausgrenzung von armen, alten, migrantischen oder sonstwie auffälligen Menschen, Armutsrenten und Exportüberschüsse, die die EU immer weiter untersülen, bis sie zu einem 'Kern-Europa' zusammenklappt, derweil wird dann auch diese Koaltion die Nachbarstaaten geknechtet habe und es wird immer mehr Billignahrungsmittel gegeben haben, an denen die Menschen sich vergiften und an denen ein Teil sich gleich verfettet, während eine grüne Elite durch die leeren Biomärkte mit Apothekenpreisen bugsiert - im EInkaufswagen Joshka Fischers Diätrezept.

     

    Nein, das wäre wohl leider die Realität und bei den nächsten Urnengang würden sich gar nicht so viele darüber ärgern oder sich fragen, warum sie kaum echte Verbraucherrechte haben, warum ihre Kinder studiert sie um Geld angehen und warum sie selber Allergien und Asusschläge bekommen, warum Immobilienpreise durch die Decke gehen und die Mieten eben auch.

     

    Ja, diese Fragen werden sich viele Wähler gar nicht stellen, weil sie aufgegeben haben und weil sie sowieso nichts erwarten. Können die Grünen denn darauf bauen?

     

    Ich glaube nicht, die Grünen müssen damit rechnen, dass ihnen die Wähler abhanden kommen und dass einige die Linken wählen und ihnen damit vor Augen führen, dass eine 5-Prozent-Hürde durchaus wirksam sein kann oder werden kann.

     

    Schade ist es schon, denn eine grüne-mitgeprägte Regierung hätte was, fragt sich nur, was denn genau und kommt wirklich hier bei mir oder wenigstens bei meinen arbeitslosen Nachbarn was an?

     

    Wenn die Grünen bei 1 + 1 = 3 rausbekommen, werden sie das machen, sonst besser nicht!

  • "Kabinett verantwortungsbewusster Bürgerlichkeit"

     

    Da muss man erstmal drauf kommen.

    Ein Kabinett von Hartz-Parteien ist das!

    Also ein Kabinett bürgerlicher Verantwortungslosigkeit. So stimmt's...

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    "...im Blick auf eine gerechtere Globalisierung und globale Solidarität..."

    "...müssen neu gebündelt werden in einem Ansatz globaler Entwicklung..."

    "...der die Veränderungen seit dem Ende des Kalten Krieges aufnimmt..."

     

    usw. ect. pp.

     

    Alle Achtung, eine so erkleckliche Anzahl hohler wohlklingender Phrasen auf so knappem Raum.

    Das können Politiker beileibe nicht besser

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Stimmt auffallend!

  • Notlösung

     

    "Jamaika" ist nur eine Notlösung auf Zeit angesichts des Wahlergebnisses (starker Anstieg der AfD, SPD will in die Opposition) - mehr nicht! Andere Möglichkeiten sind versperrt. Ansonsten könnte gar keine Regierung gebildet werden. Perspektiven gibt es da nicht, nur Posten und Geld für die Beteiligten. Neuwahlen bringen nur der AfD was.

  • "Wir könnten zum Beispiel Trendsetter einer grünen Außenpolitik werden."

     

    Yo, welches Land wollt ihr diesmal den völkischen Bomben hingeben?

    • @Anarchie-Jetzt:

      Wo sperren sich den aktuell wieder Linke gegen ein militärisches Eingreifen bei einem Genozid?

      • @Rudolf Fissner:

        Weltverbesserung durch ständige Militäreinsätze - schöne "grüne" Aussenpolitik...

        Da wird sich die Rüstungsindustrie auch freuen.

  • "Kabinett verantwortungsbewusster Bürgerlichkeit"

     

    V.a. verstanden als Verantwortung für sich selber.

    "Grüne Akzente" hat so einen Alibi-Beigeschmack, dass man ungewollt den Mund verzieht.

    • @agerwiese:

      "Kabinett verantwortungsbewusster Bürgerlichkeit" ist ein schöner Euphemismus für eine neoliberale Koalition der drei Parteien mit den einkommens- und vermögensstärksten Wählern.

       

      Nebenbei: Wenn die FDP in den 90ern von "Eigenverantwortung" im Zusammenhang mit sozialen Sicherungssystemen sprach, meinte sie "selber zahlen".

  • Wenn Jamaika klappen sollte, werden vier Parteien an der Regierung beteiligt sein. Vier Parteien also, die alle berücksichtigt werden wollen und entsprechend wichtige Posten anstreben. Wie Leggewie schon aufzählt, sind die, aus meiner Sicht, wichtigen Ministerien, die unbedingt grün gesteuert werden sollten, Landwirtschaft, Verkehr und Umwelt.

    Özdemir, oder wer auch immer Außenminister werden könnte, mag vielleicht hier und da 'grüne' Akzente in der Außenpolitik setzen können, aber er wird wohl in erster Linie für eine gewisse transatlantische Kontinuität stehen.

    Bei den Nachdenkseiten ist in den letzten Tagen hierzu ein interessanter Artikel erschienen, der für einen genauso möglichen FDP-liberalen Außenminister in etwa die gleiche Perspektive bietet. http://www.nachdenkseiten.de/?p=40429