Kommentar Holocaust-Gedenktag: Warum wir heute gedenken
Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten bleibt notwendig. So versichert man sich, wo man selbst steht.
Eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, forderte der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke vor Kurzem. Er klagte, wir Deutschen seien „das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“. Das Holocaustmahnmal ist in der Tat ein „Denkmal der Schande“: Die Vernichtung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland ist eine ewige Schande. Sie wird nicht vergessen werden, ganz unabhängig davon, ob man in Deutschland Mahnmale errichtet oder nicht.
Was kritische Aufmerksamkeit verdient, ist Höckes Forderung einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“, weil „die deutsche Geschichte mies und lächerlich gemacht“ werde und weil „wir“ bis heute nicht in der Lage seien, „unsere eigenen Opfer zu betrauern“.
Man kann solche Sätze nur formulieren, wenn man all jene deutschen Juden, Christen, Sozialdemokraten und Kommunisten, all jene deutschen Sinti und Roma, Homosexuellen, Menschen mit Behinderungen und Arbeitslosen, die in Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden, nicht für Deutsche hält.
Der deutsche Sozialdemokrat, der vom Nachbarn denunziert, von der Gestapo gefoltert und ins Lager gebracht wurde, gehört demnach nicht zu „uns“. Der Nazi, der von einer britischen Bombe in Dresden getötet wurde, aber schon? Das ist offensichtlicher Unsinn, der so profanen wie durchsichtigen propagandistischen Zwecken der Gegenwart dient.
Man kann den Apologeten des „Schlussstrichs“ nur immer wieder dasselbe entgegnen: Jede Familie und jede Gesellschaft lebt in und mit Traditionen und Überlieferungen. Wer seine Geschichte nicht kennt, weiß nicht, wer er ist, und hat also auch keine Zukunft.
Warum gedenken wir am 27. Januar der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee, der jüdischen Opfer der NS-Diktatur und ihres Vorhabens der „Endlösung der Judenfrage“? Weil wir uns als Deutsche, in deren Namen dieses Verbrechen begangen wurde, dazu verpflichtet fühlen, Verantwortung zu übernehmen dafür, dass die Opfer wenigstens nicht vergessen werden. Weil die Auseinandersetzung mit der Hitler’schen Zustimmungsdiktatur und den Verbrechen der Nationalsozialisten notwendig ist, um sich zu versichern, wo man steht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee