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Kommentar Grüne in DeutschlandDie Beilagen-Partei

Georg Löwisch
Kommentar von Georg Löwisch

Wer die Grünen sind, ist mit der Entscheidung für Göring-Eckardt und Özdemir geklärt. Doch was die Partei anzubieten hat, ist völlig unklar​.

Ein Selfie geht immer: Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt Foto: dpa

I mmerhin weiß man jetzt, wer die Grünen sind. Deren Mitglieder haben zwei realogrüne Politprofis zu Spitzenkandidaten gewählt. Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir sind überdies zwei, die sich in Regierungsverantwortung auch mal schmutzig machen würden. Die Basis wusste das. Die Basis wollte das. Die Basis war Boss. Auf diese Weise charakterisiert die Urwahl auch die Mehrheit der Mitglieder: Bürgerlich, kompromisslerisch und dickfellig.

Die Republik ist gerade ein Reizraum voll schriller Klingeltöne. Da haben die Grünen – keine Ironie, wir kommen noch zu den Problemen – zwei starke Leute im Angebot.

Göring-Eckardt und Özdemir. Eine Ostdeutsche und der Sohn einer Einwandererfamilie. Dies ist ein besonderer Umstand in einer Zeit, in der Ostdeutschland aufgerührt und Integration ein Riesenthema ist. Die Besonderheit besteht auch darin, dass bei den Grünen Einwanderer und Ostdeutsche kaum eine Rolle spielen. Umso erstaunlicher, dass diese beiden sich durchgesetzt haben. Göring-Eckardt, die kühle Neunundachzigerin und Cem Özdemir, den die Partei selbst immer wieder zum Außenseiter gemacht hatte. Es spricht für die Grünen zwischen Tübingen und Göttingen, dass sie zwei wählen, die aus anderen Milieus kommen als sie selbst.

Allein: Was die Grünen anzubieten haben, ist unklarer denn je. Wofür stehen sie? Was setzen sie auf die Agenda? Was wollen sie überhaupt? Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün – als Neun-Prozent-Partei ohne Thema können sie beides vergessen. Woche für Woche geht es in nervtötender Weise darum, ob die Grünen dieses begrüßen oder jenes verurteilen. Bisweilen sind sie – Höchststrafe – auch offen für Gespräche. Sie sind zu Deutschlands Was-sagen-die-dazu?-Partei geworden. Wenn man sich eine politische Debatte als Tellergericht vorstellt, dann sind die Grünen bestenfalls die Beilage.

Es war mal anders. Waldsterben, Abrüstung, Atomausstieg. Die Grünen machten Themen groß. Die anderen mussten sich dazu verhalten. Selbst in der Regierung etablierten die Grünen ein neues Thema, an dem niemand vorbeikam: Renate Künasts Agrarwende.

Anämische Rolle

Heute regieren die Grünen auch. In elf Bundesländern. Hängen bleibt, dass sie im Bundesrat mal etwas mitmachen und – seltener – mal etwas blockieren. Regierung oder Opposition – die Rolle bleibt anämisch: Was sagen die dazu?

Die Linksgrünen, die gern behaupten die Inhalte zu haben, mit denen alles gut wird, haben keine Mehrheit. Und keine Angebote, die Wähler_innen ziehen.

taz.am wochenende

Tablets im Klassenzimmer, aber marode Klos. Die Deutschen, Hygieneweltmeister und Erfinder aller Sekundärtugenden, lassen die Toiletten ihrer Kinder verrotten. Was Schüler, Eltern, Urologen, Putzfrauen dazu sagen: der große Schulklo-Report in der taz.am wochenende vom 21./22. Januar 2016. Außerdem: Ein Besuch bei den Nazijägern in der Zentralen Stelle in Ludwigsburg. Und: Eine Nachbetrachtung der Urwahl bei den Grünen. Das alles und noch viel mehr – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Es stimmt ja: Reiche gehören härter besteuert in Deutschland. Die Ungerechtigkeit stinkt. Aber die Grünen sind in Fragen der Steuergerechtigkeit eben eine Zwischengröße, irgendwo zwischen SPD und Linkspartei. Und strategisch betrachtet ist Umverteilung nicht das Thema, das das große grüne Wählerpotenzial der Bio-Bohemiens bindet. Eher schwappt ihnen vor Schreck der Barolo über.

Und die Agrarwende? Ist nötig und wichtig. Sie berührt den Alltag. Aber das Thema, das die Grünen in den vergangen Jahren durchaus gepflegt haben, hat keine Konjunktur. Es wird verdrängt vom Streit um Flüchtlinge, der Debatte um den Antiterrorkampf und der Sorge um die demokratiefeindlichen Bewegungen.

Gefahr des Stillstands

Vielleicht könnte das einzigartige Angebot der Grünen in der Synthese von Energie- und Außenpolitik bestehen: Weg vom Öl, das die Kriegstreiber stark macht und den Klimaschutz schwach. Robert Habeck, bei der Urwahl der Zweitplatzierte knapp hinter Özdemir, hat das erkannt. Er könnte Nachhilfe geben. Öl ist ein großes Thema. Oder Migration. Vielleicht ist Özdemir auch der Mann, der beantwortet, wie die Geschichte der Flüchtlinge jetzt weitergeht. Denn die Integrationspolitik verliert sich gerade irgendwo zwischen Residenzpflicht und Billigpraktika.

Aber die Gefahr besteht, dass die Grünen trotz der Urwahl gefangen bleiben. Dass sie sich auf ewig vertagen in innerparteilichen Koalitionsverhandlungen. Auch eine Minderheit werden Göring-Eckardt und Özdemir einbinden müssen, und die Linksgrünen werden empfindlich sein wie nie. Gerade weil sie so dramatisch verloren haben. Doch wer ist da überhaupt noch? Anton Hofreiter steht nach seiner Niederlage bei der Urwahl niedrig im Kurs. Mit Simone Peter plant niemand mehr. Dafür sprengt die Aktie Trittin die Charts. Er wäre gern Teil der Antwort auf die Wer-Frage.

Aber die Was-Frage beantwortet auch Jürgen Trittin nicht. Neulich erschien im Spiegel ein Porträt über ihn. In Gegenwart des Journalisten regte er sich auf, wie die Grünen den Präsidentschaftskandidaten Steinmeier kommentieren. Als ob Politik aus Presserklärungen bestünde. Aus Sprachregelungen. Aus einem ewigen Was-sagen-die-dazu. Good night and good luck.

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Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
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33 Kommentare

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  • Die GRÜNEN müssen erst einmal reif werden. Solange ich die strickenden Tanten sehe, habe ich keinen Respekt vor den GRÜNEN.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Querdenker:

      Aus welchem trüben Gewässer haben Sie Ihren 1985er-Kommentar gefischt?

      • @571 (Profil gelöscht):

        Einfach mal die Glotze einschalten! Da werden sie geholfen!

        • 2G
          25726 (Profil gelöscht)
          @Querdenker:

          Sie demonstrieren treffend, das Ihr politisches Verständnis dem Unterschichten_TV abgerungen ist.

          Glückwunsch, Salonfascho.

    • @Querdenker:

      Sie scheinen grundsätzlich ein Problem mit Frauen in der Politik zu haben.

      • @Rudolf Fissner:

        Danke für ihre Aufmerksamkeit! Ich habe nie Probleme mit Frauen gehabt, nur mit Weibern, kreischenden Weibern!

  • "Die Linksgrünen, die gern behaupten die Inhalte zu haben, mit denen alles gut wird, haben keine Mehrheit. Und keine Angebote, die Wähler_innen ziehen."

     

    Nun ja, den Rechtsgrünen fällt deutlich mehr ein: Sie wollen 'Nordafrikaner' schnell abschieben in ihre sichere Heimat (z.B. Algerien, eine verquaste Militärdiktatur), in Hamburg schiebt die Stadt schon jetzt Afghanen ins sichere Afghanistan ab und und ... die Grünen veräußer für meine Begriffe ihre Überzeugungen ein wenig zu schnell.

     

    Und Hartz-IV ist von den Grünen mitgetragen worden - dafür braucht man eine industrielle Landwirtschaft und vor allem asoziale Discounter. Diese Dynamik gab's schon unter Kohl, ja, aber die Grünen haben gar nicht dagegen gemacht.

     

    Ob nun Rechts oder Links - die Grünen müssen aufpassen, dass sie sich nicht selbst wegregieren und die abgedudelten und vielfach gescheiterten Ideen von SPD und Union übernehmen.

     

    Und soziale Frage sind immer im Kern des Geschehens, sie sind immer das Fundament von Politik, wenn die Grünen sich eine Wellness-Oase von Wähler schaffen wollen, die nichts zu fürchten haben, dann geben sie auf und zwar auf ganzer LInie.

  • Na Servus! Downstairs ala Green - Geiiell!

     

    Kellner ~> Formfleischschnitzel ~> Beilage - an …" ¿ ff… ¿

    Egal - "Hauptsache - Viel Grünes!" O-Ton K G-E.

    kurz - Schon grüne Erbsen warnten!

    "Achtung/eh - eine Treppe peppeppepé!;)"

    Hauptsache.

     

    (ps - Upstairs - allenfalls mit Senioren-Treppenlift -

    Wer Steigbügelhalter? - Ausmal ich mir lieber nicht!;((

  • Die Grünen sind wie Syriza. Wenns der Sache, dem Guten dient geht man halt auch mal mit ner Sau ne Koalition ein anstatt sich in der eigenen Rechthaberei zu suhlen.

    • 8G
      87233 (Profil gelöscht)
      @Rudolf Fissner:

      Ich meine Sie verwechseln etwas. Wovon Sie schreiben ist Sahra Wagenknecht und die Linken die hinter ihr stehen.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Nicht Beilage - Barolo!

  • Robert Habeck war der Wahlgewinner bei dieser Urwahl.

    Hätte Özdemir Mut, dann wäre er mit Habeck in eine Stichwahl gegangen.

    Ich bin sicher, die Stimmen für den abgewählten Hofreiter wären mehrheitlich bei Habeck gelandet.

    Hätte, hätte ...

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Pink:

      ... Fahrradkette.

       

      Hofreiter ist nicht abgewählt, sondern eben nur Dritter geworden.

      Seine Zeit kommt noch, das hat Özdemir erkannt. Aber erst, wenn der nicht mehr antreten will. Als Fraktionschef macht Hofreiter jedenfalls einen guten Job.

      Habecks Ergebnis ist sehr beachtlich für einen, der eher an der Peripherie der Partei beheimatet ist, bzw. war.

      • @571 (Profil gelöscht):

        Schwarz-Grün tickt in BaWü.

        Schlage gestern meinen Cicero "die 500 wichtigsten Intellektuellen" auf, erwische S.44 und wer guckt mich an, der neu frisierte Schwiegersohn, der einem schwergewichtigen Förderer im Ländle gerecht werden will.

        BaWü, der 2. Testfall in diesem unserem Lande.

      • @571 (Profil gelöscht):

        Klar doch! Abgewählt war er nicht.

        Er kam nur nicht in die engere Wahl:-) Hofreiters Fraktionsführung überzeugt (mich) nicht. Welches Prinzip wird Ende Nov. gelten: Das Prinzip Özdemir/KGE oder Habeck?

        • 5G
          571 (Profil gelöscht)
          @Pink:

          Özdemir/KGE werden als Opposition kaum wahrgenommen, weil sie der Union zu nahe stehen. Eigentlich sind die schon weg vom Fenster.

           

          Zwangsläufig werden sich also die Grünen irgendwann in naher Zukunft auf Habeck/Hofreiter einigen müssen, wenn wieder so etwas wie ein grünes Profil erkennbar werden soll.

          Der Wahlkampf könnte spannend werden.

          • @571 (Profil gelöscht):

            Zustimmung!

  • 3G
    36855 (Profil gelöscht)

    DANKE für diesen Kommentar, Herr Löwisch!

    Alles gesagt, alles aufgeführt, besser ginge eine Analyse nicht!

    Das Duo, eine Ostdeutsche und der Sohn einer Einwanderfamilie, setzen keine Zeichen mehr. Denn ihnen schwappt schon lange der Barolo aus dem Glas bei manchen Themen.

  • Der Vater/Mutter der GRÜNEN war die konservative CDU, gegen die man als Heranwachsender protestieren musste. Aber jetzt ist man eben erwachsen und freut sich, das man sich mit Mutti/Vati eben doch die gleichen Werte teilt. Aber eben moderner.

    Die GRÜNEN sind heimgekehrt zur CDU. Kretschmann und Özdemir sind geradezu die Verkörperung einer liberal-konservativen Mitte.

     

    Aber links, sozial, revolutionär ... das ist vorbei.

     

    Sehr schade, denn links von der Mitte gibt's nun niemand mehr.

    Für die SPD hat Schröder die Grube gegraben, in der sie nun von Gabriel beerdigt wird.

    Und die LINKEN träumen leben in ihrer eigenen Welt, voller unrealistischer Utopien. Aber von diesem Standpunkt aus kann man eben auch gut kritisieren, ohne in Gefahr zu laufen, an den eigenen Taten gemessen zu werden. Im übrigen, das gleiche Rezept hat die AFD.

  • Mir scheint das Bild, das die GRÜNEN darstellen klarer zu sein, als der Autor schreibt. Die GRÜNEN haben einen Kernpunkt - Machtpolitik - der Drang zum Mitregieren - und Mitglieder, die dort angekommen sind, wogegen sie früher einmal gekämpft haben, beim Konservativen - die letzten Reste der Erinnerung werden soeben ausgetilgt, das sind die sogenannten Linksgrünen, besser: Retrogrünen. Jetzt ist das eine CDU-lite, die von den Krümeln der CDU lebt und die sich in ihren Zielen wohl auch daran orientieren wird - die Mitte adressieren als Strategie zur Macht zu kommen - gesichtsloser kann es kaum noch gehen.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Georg Marder:

      Nehmen wir mal Grünschwarz in Ba-Wü.

      Kretschmann führt sein ganz persönliches Projekt fort und lässt neben sich den CDU-Mann Strobl gewähren, auch wenn der momentan zu einer rabenschwarzen Form aufläuft.

      Das verdankt er der Terror- und Überwachungsdiskussion, die er offensichtlich gerne am Köcheln hält.

      Ebbt die ab, kommen wieder andere, grüne Themen auf die Agenda, zu denen Strobl und seine Fraktion eher Minimalbeiträge leisten können.

      Das könnte eine Blaupause für ähnliche Koalitionen werden, die aber eines gemein haben: Die Partner werden es schwer haben, dort ihre Ideale 1:1 umzusetzen.

  • Totgesagte leben länger....

     

    Die Glaubwürdigkeit dieses Kommentars kulminiert in folgendem Satz:

     

    "Die Ungerechtigkeit stinkt."

     

    Steht da irgendwo, völlig ohne Zusammenhang und lässt einen sprachlos zurück.