Kommentar Griechischer Generalstreik: Für und gegen die Regierung
Führende Linkspolitiker rufen zum Generalstreik auf, um die linke Regierung unter Druck zu setzen. Nun ist die Verwirrung groß.
E s war ein Novum in der Streikgeschichte Griechenlands: Ausgerechnet die linke Regierungspartei Syriza appellierte an die Menschen, am Generalstreik gegen die Sparpolitik der – jetzt kommt’s – Syriza-Regierung teilzunehmen und das öffentliche Leben lahmzulegen.
Führende Linkspolitiker sehen darin keinen Widerspruch, sondern geradezu eine Chance für Regierungschef Alexis Tsipras, der den Druck der Straße als Verhandlungswaffe gegenüber den Geldgebern einsetzen könne – als ob ähnliche Argumente der bürgerlichen Vorgängerregierung genützt hätten.
Andere wiederum erklären die Partei zum „linken Gewissen“ und Korrektiv einer Regierung, die gezwungen würde, die Erfüllung zentraler Wahlversprechen über Bord zu werfen oder in die Zukunft zu verlegen. Gewiss: Im Sinne eines realpolitischen Systems von Checks and Balances ist es vernünftig, wenn sich die Regierung von der Partei emanzipiert.
Doch vielen Bürgern, zumal Linkswählern, ist die stärker werdende innerparteiliche Opposition unheimlich, wenn nicht sogar suspekt. Wer streikt, ist für die Regierung, und wer nicht streikt, ist erst recht für die Regierung? So läuft das doch nicht.
Partei und Regierung müssen noch zueinanderfinden. Denn „sie wohnen zusammen, aber schlafen getrennt“, wie ein griechischer Kommentator bemerkte. Aber dies kann nur dann funktionieren, wenn beide Lager wissen, worauf sie sich einlassen.
Dafür müsste Tsipras aber neben der Kürzungspolitik ein Alternativprogramm auflegen, das schmerzhafte Forderungen sozial abfedert und Grausamkeiten gerecht verteilt.
Das ist möglich, sofern ausreichender politischer Wille vorhanden ist. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wer in Krisenzeiten 600 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um die Rentenkasse des staatlichen Energieriesen DEH zu subventionieren, der müsste auch eine Möglichkeit finden, um Sozialkürzungen für Menschen mit Behinderungen rückgängig zu machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört