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Kommentar Gesetz gegen „Kinderehen“Regelfall „Ehe-Alptraum“

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

„Kinderehen“ sind fachlich sehr komplex und deshalb kein gutes Wahlkampfthema. Der Gesetzentwurf des Justizministers wird dem nicht gerecht.

Würde in Deutschland wohl wieder aufgelöst: Die Ehe zwischen einer 16-Jährigen und einem 26-jährigen in Indonesien Foto: dpa

N atürlich können Minderjährige noch kaum die Tragweite einer Eheschließung verstehen. Bei Mädchen kommt das erhöhte Risiko einer Jugendschwangerschaft hinzu. Ein gewisser Teil der Minderjährigen-Ehen dürften sogar Zwangsehen auf Druck der Familien sein. Hier muss der Staat sicher deutliche Angebote zum Ausstieg machen.

Allerdings ist die Vorstellung naiv, man müsse minderjährige Ehepartner, sobald sie als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, generell aus einem „Ehe-Alptraum“ befreien. Nach gemeinsam überstandener Flucht und der Ankunft in einem sehr fremden Land wäre eine Zwangstrennung vom Ehegatten für die meisten Betroffenen eher ein Schock. Es wäre deshalb fatal, wenn der deutsche Staat stets, das heißt ohne Betrachtung des Einzelfalls, diesen Weg beschreiten würde.

Justizminister Maas hat nun aber einen Gesetzentwurf vorgelegt, der leider stark in diese Richtung geht. Ehen sollen generell als nicht-existent behandelt werden, wenn einer der Partner zum Zeitpunkt der Heirat jünger als 16 war. Und wenn einer der Partner bei der Heirat zwischen 16 und 18 Jahre alt war, soll die Ehe in der Regel vom Familiengericht aufgehoben werden.

Positiv ist immerhin, dass Maas sich auf diejenigen konzentriert, die heute minderjährig verheiratet sind. Wer vor Jahren oder Jahrzehnten mit 15 oder 17 geheiratet hat und heute immer noch verheiratet ist, muss keine Unwirksamkeit oder Aufhebung seiner Ehe befürchten. Eigentlich ist so etwas selbstverständlich, aber auch darüber wurde schon diskutiert.

Schwarz-weiße Wohlfühlklientel

Bedauerlich ist aber, dass es bei Ehen, die unter 16 geschlossen wurden, gar keine Härtefallklausel gibt. Und bei Heiraten, die zwischen 16 und 18 erfolgten, ist die Härtefallklausel viel zu streng. Maas will die erforderliche Flexibilität nur in Extremfällen erlauben. So könne eine Minderjährigen-Ehe laut Gesetzesbegründung etwa dann bestehen bleiben, wenn der minderjährige Partner „lebensbedrohlich“ krank ist oder an einer „krankheitsbedingten Suizidabsicht“ leidet.

Damit verfehlt Maas den einzigen Maßstab, der wirklich naheliegt: das Wohlergehen der betroffenen Jugendlichen. Fast alle Fachverbände sind für eine Einzelfallprüfung mit Blick auf das „Kindeswohl“. Doch die Politik ignoriert die Stimmen der Fachleute. Ihr geht es eben nicht ums Kindeswohl, sondern um schwarz-weiße Wohlfühlpolitik für die eigene Klientel.

Wer für eine (fast) automatische Annulierung und Aufhebung von Minderjährigen-Ehen ist, macht Wahlkampf auf dem Rücken derjenigen, die er eigentlich schützen will. Minister Maas ist hier keineswegs der Schlimmste. Er ist auch nur ein Getriebener der Abgeordneten, und zwar nicht nur solcher der CDU/CSU.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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9 Kommentare

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  • In der Sache - Danke für die hier mal erfreulich klaren Worte. - but -

    "…Minister Maas ist hier keineswegs der Schlimmste. Er ist auch nur ein Getriebener der Abgeordneten, und zwar nicht nur solcher der CDU/CSU." - Ist wahr - Greift dennoch zu kurz.

    Auch hier gilt nämlich -

    " & noch schlimmer geht halt immer!"

    Denn. Nach Neufassung § 114 StGB auch hier nichts Neues zu einem Justizminister als Witzfigur & Milchreisbubi.

    All das - Nur ein weiterer Dreh einer unheilvollen Entwicklung.

    Zur Erinnerung - Selten klug hat mal das Verfassungsgericht NRW dargelegt - Daß & vor allem - Warum! Justiz&Innenministerium

    Nicht in Personalunion - vulgo in einer Hand liegen - geführt werden dürfen.

    kurz - Wenn der JuMi Aftermieter des

    IMi - ist etwas mehr als faul im Staate & Zwar gewaltig!

    Denn. Daß aufgrund dieses geradezu kollusiven Zusammenspiels dieser siamesischen staatlichen Gefährder - Staatliche/Öffentliche Gewalt aus dem Ruder läuft - ist tagtägliche Realität -

    In dieser Republik!

    Und zwar zunehmend.

  • Ein guter Kommentar. Der ordre public - die gerade als besonders wichtig empfundenen eigenen Werte - sind wichtiger als das Wohlergehen der Kinder.

    Das ist allerdings nichts Neues. Leihmütterschaft wird grundweg abgelehnt. Mit diesem Argument wurde selbst die Anerkennung der Vaterschaft(!) der leiblichen Väter verweigert. Die so gezeugten Kinder waren dadurch rechtlich staatenlose Waisen. Das ist Ideologie auf Kosten der Kinder. Inzwischen hat da der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Wertungen ein wenig zurecht gerückt - das Bundesverfassungsgericht war da mal wieder nicht in der Lage dazu.

    Es gibt viele Fallkonstellationen. Bei Kinderehe stellen sich die meisten Leute 40-50 jährige Männer vor, die 12-jährige Mädchen heiraten. Die Fälle sind jedoch deutlich breiter gestreut und brauchen daher auch eine deutlich differenziertere Behandlung. Flüchten eine 14-jährige und ein 16-jähriger zusammen und ohne ihre Eltern, dann ist es - verheiratet oder nicht - nicht besonders menschlich, die beiden zwangsweise zu trennen. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass die Flüchtlinge teilweise aus Ländern kommen, in denen die Kinderehe erlaubt aber das nicht eheliche Zusammenleben unter Strafe steht. Es kann daher durchaus im Interesse der Kinder sein, die Ehe nicht anzuerkennen aber die Paare gleichzeitig NICHT zu trennen.

  • „Kinderehen“ sind fachlich sehr komplex und deshalb kein gutes Wahlkampfthema. Der Gesetzentwurf des Justizministers wird dem nicht gerecht.

     

    Ah ja! Kann mir mal jemand verraten -

    Wer so einen Müll zusammenschustert?

  • Wir vergessen immer wieder, das Indokulturation prinzip... WIr finden abscheulich Hunde zu essen, aber dafür essen wir Rind, etwas was in Indien z.B. schrecklich wäre... das selbe gilt mit der ROmantik... Wir leben im Westen mit der Idee das man sich durch Liebe heiraten muss.. klingt auch alles schön, aber ist es aus mit der Liebe nach 4 jahren, und die Scheidung kommt wenn man keine gemeinsamen nenner hat.

    Mit der ... "Zwangs" ehe, geht es eher um die Kultur und Tradition in sachen familie. Wie gesagt, Familie ist bei jeder Kultur anders, in Nepal eine Frau heiratet z.B. 5 Männer (nicht wegen das was man denken kann) sondern wegen der Arbeitsumteilung Kalorien konsumpro Kopf. Wir müssen endlich aufhören mit "unserer Kultur" anderer zu beleidigen oder beschimpfen.

    Es ist klar, das es Falsch ist wenn sich Minderjährige mit ältere verheiraten, aber das findet man eigentlich nur in einigen Sippen aus Afghanistan, die anderen Heiraten findet man vor allem in Indonesien, und das sind beide vor Pubertär. Eltern schliessen sich zusammen, und der halt der Familie ist so gewaltig...

    Man sollte, wenn man argumentiert gegen andere Kulturen, auch versuchen zu "verstehen" wieso das alles existiert!

    Wir sind weder besser, noch schlechter, ich meine wir haben doch selber gesetze wo man mit 14 schon geschlechtsverkehr haben kann mit ältere, ja heute die homosexualität ist ebenfalls normale sache, vor 30 Jahren wäre das undenkbar.

    Der Mensch funktoniert im zusammenhang mit dem jeweilligen Zeitgeist, man sollte deshalb NIEMALS andere Kulturen beschimpfen. England 19ten Jahrhundert, der Vater durfte immer die TOchter heiraten wenn die Mutter starb... Inzest.. das ist schrecklich, aber war damals normal!!!

    LG

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Tino Trivino:

      Ihre Gedanken sind nicht völlig von der Hand zu weisen und zu ihrer Vertiefung wäre eine längere philosophische Diskussion angebracht.

       

      Ich möchte Sie vorab dennoch vor einer Haltung des uneingeschränkten Kulturrelativismus warnen.

      Es hat schon seine Gründe, warum wir heute nicht mehr am Samstagnachmittag zu den Gladiatoren-Kämpfen sondern zu einem Fußballspiel ins Stadion gehen.

       

      Fragen Sie sich, was Sie für ein Menschenbild haben.

      Wie entwickelt sich der individuelle Mensch (kulturunabhängig) und welche Vorraussetzungen sind für eine freie und gesunde Entwicklung notwendig.

      Wenn Sie erste Antworten haben, diskutieren wir weiter.

      • @61321 (Profil gelöscht):

        Ein Mensch kann sich NIEMALS kulturunabhängig entwickeln es wird ständig damit konfrontiert und dessen Identität gefördert, sei es positiv oder negativ.

        Mein Menschenbild? Das jeder gleich ist, man ist nicht besser als andere, wären wir in anderen Kulturen würden wir so wie "die" denken, und umgekehrt.

        Die Sozialle unterschiede, darauf kommts in wirklichkeit an, aber auch die werden sehr viel von der Indokulturation motiviert.

        Mein Menschenbild, gegen genau das alles was die AfD dagegen ist :) Damit man den Satz versteht, ich bin die antithese der AfD hahahaha LG

  • Ob für die meisten minderjährigen Ehepartner eine "Zwangstrennung" nun - wie vom Autor beschrieben - ein Schock darstellt, oder eine Erleichterung, weil sie ja gleichzeitig hier als Minderjährige gut betreut werden, bleibt Spekulation.

     

    Richtig ist diese Rigorosität der angestrebten gesetzlichen Regelung dennoch. Es ist nicht realistisch, dass ein Jugendamt oder eine andere Behörde beurteilen kann, ob das Kind oder der Jugendliche nun wirklich der Ehe aus freien Stücken zugestimmt hat.

    Schon die Sprachbarriere stellt ein großes Hindernis dar. Ich möchte an die Schlagzeilen vor rund zwei Jahren erinnern, als zu lesen war, dass Dolmetscher Druck auf Flüchtlinge aus Eritrea ausgeübt und nicht richtig übersetzt haben. Um die Zwischentöne, um die gerade in so einem Gespräch gehen wird, zu übersetzen, muss der Dolmetscher von dem Anliegen selbst überzeugt sein. Ansonsten wird er formal korrekt übersetzen, aber entscheidende Stellen trotzdem weglassen. Außerdem ist von einem Druck der Familie und der Schwiegerfamilie auszugehen. Die Einzelfallprüfung wird nur in den seltensten Fällen eine Aufhebung der Ehe zur Folge haben. Deshalb ist es zum Wohle der Minderjährigen nur richtig, das Pferd andersherum aufzuzäumen.

     

    Die Fachverbände würden ggf. an der Einzelfallprüfung durch Stellungnahmen auch gut verdienen. So ganz ohne eigenes Interesse wird also nicht jeder Fachmann sein.

     

    Deshalb begrüße ich diesen Vorstoß. Alles andere wird ineffektiv sein. Wie rigoros er letztlich umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Es ist juristisches Neuland, deshalb werden Gerichtsurteile nachträglich noch einiges ändern. Das Thema ist aber hochaktuell.

    Man kann anderer Meinung sein, aber hier von Wahlkampf zu sprechen, Herr Rath, ist in meinen Augen billige Polemik.

    • 3G
      36855 (Profil gelöscht)
      @rero:

      Ob Wahlkampf hin oder her ist unwichtig.

      Ein Verbot von Kinderehen war längst überfällig. Ob es aber in dieser Form etwas bringt, ist fraglich.

      Betroffen von dieser Regelung sind vpr allem junge Mädchen. Was geschieht mit ihnen? Aufgrund der Kultur vermute ich mal, dass kein anderer Mann sie heiraten möchte und sie die Ehre der Familie verletzt hat, sprich auch von dort keine Hilfe zu erwarten hat.

      • @36855 (Profil gelöscht):

        Wir bekommen Klischees vermitteln, die sie als selbstverständlich nehmen. Kinderehen betreffen Mädchen und Jungen. Ein Viertel der betroffenen Kinder sind Jungen. Bei Kinderehen muss der Altersunterschied also nicht unbedingt gross sein. Daher nur an eine Fallgruppe zu denken und darauf basierend eine Regelung zu fordern, die für andere Fallgruppen nicht passt, ist typisch für diese von Stereotypen geprägten Diskussion.

        Die Ehe muss aufgehoben werden aber die Paare müssen - wenn die Paare jugendlich sind - nicht getrennt werden. Mit 18 Jahren können sie dann legal heiraten - wenn sie das dann noch wollen.

        Was anderes gilt bei Kindern (unter 14 Jahren) oder bei Ehen mit sehr grossem Altersunterschied. Hier kann eine Trennung geboten sein.