Kommentar Gabriels Ukraine-Besuch: Sigi in Kiew auf Schmuse-Kurs
Gabriel stellt in Kiew realitätsfremde Forderungen. Vertreter der Zivilgesellschaft traf er nicht. Damit hat er eine wichtige Chance vertan.
S chön, dass wir wieder mal darüber gesprochen haben. So lautete offensichtlich das Motto für den Besuch des geschäftsführenden SPD-Außenministers Sigmar Gabriel diese Woche in der Ukraine. Aber worüber eigentlich? Dass das Minsker Abkommen umgesetzt werden müsse, um den Krieg im Osten mit inzwischen über 10.000 Toten zu beenden?
Das ist, gelinde gesagt, ein frommer Wunsch. Zwar war der Austausch von Gefangenen zwischen der Regierung in Kiew und den prorussischen Kämpfern im Dezember ein hoffnungsvolles Zeichen. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass bis jetzt noch jede vereinbarte Waffenruhe im Donbass gebrochen wurde, die Kampfhandlungen weitergehen und das Sterben nicht aufhört.
Auch Gabriels Forderung nach Blauhelmen mit einem robusten Mandat ist realitätsfremd. Denn im Moment gibt es keine Anzeichen dafür, dass Russland sich darauf einlassen würde, einer UN-Mission zuzustimmen, die Zugang zum gesamten umkämpften Gebiet bekommt. Stattdessen sollen die Truppen nur an der Frontlinie patrouillieren dürfen. Aus Moskauer Sicht ist das logisch: Wer möchte sich schon gerne beim Schleusen von Waffen über die russisch-ukrainische Grenze beobachten lassen?
Doch Diplomatengeplänkel beiseite. Es ist schon bemerkenswert, dass Gabriel es nicht für nötig befand, sich auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft zu treffen. Da hätte er einiges erfahren können. Denn die Reformfreudigkeit und Verbundenheit mit demokratischen Werten, die die Kiewer Regierung so gerne zur Schau stellt, ist häufig nicht viel mehr als eine schöne Fassade.
Wie sonst wäre der rüde Umgang mit kritischen Medien zu erklären, von der Blockade bestimmter Internetseiten bis hin zu tätlichen Übergriffen auf Journalisten oder deren Inhaftierung. Ein Signal der Unterstützung und Solidarität aus Berlin, das die ukrainische Zivilgesellschaft so dringend bräuchte, ist ausgeblieben. Damit hat Gabriel leider eine wichtige Chance vertan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung