Kommentar Gabriels Energiewende: Der Wunscherfüller der Industrie
Die SPD hat versprochen, erneuerbare Energien zu fördern und die Kosten gerecht zu verteilen. Freuen können sich aber nur die Kohle- und Atomindustrie.
I m Wahlkampf hatte sich die SPD durchaus noch fortschrittlich präsentiert: Den Ausbau von umweltfreundlichem Strom aus Wind und Sonne wollten die Sozialdemokraten weiter beschleunigen. Und die Verbraucher sollten entlastet werden, indem die Kosten der Energiewende endlich gerechter verteilt werden. Denn bisher zahlen private Stromkunden, Gewerbetreibende und kleine Unternehmen übermäßig viel, weil energieintensive Unternehmen sich kaum an den Kosten beteiligen müssen.
Doch nach der Wahl hat sich die SPD nicht nur von diesen Versprechen verabschiedet, sondern sie macht das Gegenteil dessen, was sie angekündigt hatte. Die Energiewende soll nicht schneller, sondern langsamer werden. Das bringt den Verbrauchern nichts, weil der Strom aus neuen Windrädern und Solaranlagen kaum mehr teurer ist als aus neuen konventionellen Kraftwerken; freuen können sich allein die Betreiber von Kohle- und Atomkraftwerken, dass ihre Konkurrenz etwas langsamer wächst.
Besonders krass ist der Umschwung der SPD bei den Privilegien der Industrie. Hier waren zwar schon die Ankündigungen im Wahlkampf nicht besonders ambitioniert – doch immerhin ein bisschen mehr Gerechtigkeit war schon geplant. Durch massiven Druck auf die EU, die die Subventionen sehr kritisch sieht, hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nun aber offenbar erreicht, dass die Wirtschaft künftig nicht mehr, sondern noch weniger für die Energiewende bezahlen muss.
Begründet wird dies stets mit der angeblich bedrohten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Für die kann die Regierung allerdings keinerlei konkrete Belege vorweisen – was kaum verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass der deutsche Exportüberschuss in immer neuen Höhen steigt.
Dass sich gegen diese einseitige Industriepolitik zu Lasten von Verbrauchern und Umwelt nun Protest auf der Straße regt, ist erfreulich. Doch allein davon wird sich Gabriel kaum beeindrucken lassen. Aufhalten können ihn vor allem die SPD-regierten Länder im Bundesrat. Und vielleicht wäre es auch an der Zeit, dass sich Umweltministerin Barbara Hendricks und Verbraucherschutzminister Heiko Maas mal in die Debatte einschalten und ihren Parteichef daran erinnern, dass die SPD nicht allein als Wunsch-Erfüllerin für einen kleinen Teil der alten Industrie angetreten ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht