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Kommentar Freiheitsentzug & JugendhilfeFesseln auf Antrag

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

In der Jugendhilfe soll Freiheitsentzug in einigen Fällen verrechtlicht werden. Heimskandale werde es dann nicht mehr geben. Aber so einfach ist es nicht.

Bald legale pädagogische Praxis? Foto: dpa

D ie Koalition will etwas für den Kinderschutz tun. Dafür soll das Gesetz geändert werden. Aber diese Änderung führt geradewegs in ein Dilemma. Im medizinischen Bereich und in der Behindertenhilfe mag es die Notwendigkeit von freiheitsentziehenden Maßnahmen geben. Hier kann es ein Fortschritt sein, wenn streng geguckt wird, wie, warum und wie lange Menschen an Betten gefesselt oder in Schutzanzüge gesteckt werden. Die regelmäßige Anrufung der Gerichte kann für Transparenz sorgen und zur Vermeidung überflüssiger Maßnahmen beitragen.

In der Jugendhilfe dagegen droht durch Verrechtlichung eine Verschlechterung. Es gibt nur etwa 390 Plätze in geschlossenen Heimen. Nun sollen freiheitsentziehende Maßnahmen theoretisch auch in den rund 60.000 Plätzen in offenen Heimen möglich sein, wenn es die Familiengerichte auf Antrag der Eltern erlauben.

Bisher geschah dies in einem Graubereich. Der wird nun geregelt. Wenn jugendliche Bewohner sich beschweren über solche Behandlung, wird es keine „Heimskandale“ mehr geben: Die Träger haben ja die Genehmigungen. Da kann die schärfste Heimaufsicht nichts monieren.

Zugegeben, hier wird vielleicht der Teufel an die Wand gemalt. Aber alle Konsequenzen durchzuspielen ist bei einer solchen Gesetzesänderung nötig. Problematisch ist, dass der gleiche Paragraf 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der Kindern das Recht auf gewaltfreie Erziehung sichert, zwei Absätze später Freiheitsentzug durch „mechanische Vorrichtungen“ und andere Weise aufführen soll.

Was hat das in der Pädagogik zu suchen? Das macht dieser Gesetzentwurf nicht klar genug, spricht gar von verschiedenen „Haltungen“ und „Erziehungskonzepten“. Die Richter sollen nun klären, was dem „Kindeswohl“ entspricht. Sie sind jedoch kein objektives Korrektiv, sondern auch auf die Informationen von Heimträger, Arzt und Jugendamt angewiesen. Auch ist „Kindeswohl“ ein dehnbarer Begriff. Über all das muss man reden. Nicht gut, dass dieses Gesetz so leise verabschiedet werden soll.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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2 Kommentare

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  • Ich hoffe, in den Gesetzen wird festgelegt, dass bei Begrenzungen der räumlichen Freiheit ein Richter dem nur zustimmen darf, wenn sofort auch ein Hilfeplangespräch erfolgt, dass klärt, wie das zukünftig zu vermeiden ist.

     

    Es sollte am besten gesetzlich festgeschrieben werden, dass Kinder und Jugendliche, die gegen ihren Willen fixiert werden müssen, sofort in andere Maßnahmen gebracht werden müssen.

    Ich habe in den Zeiten, in denen ich in individualpädagogischen Maßnahmen tätig war, nie eine Fixierung anwenden müssen. Wenn mal ein Angriff auf einen erfolgt, dann muss man sich sowieso wehren können und bei entsprechenden pädagogischem Vorgehen wie mit der Bindungstheorie kann man auch mit den Betroffenen oder freiheitsentziehenden Maßnahmen klarkommen.

     

    Ich befürchte nur, dass die Fixierungen viel preiswerter wie Einzelmaßnahmen sind und deshalb so eingeführt werden sollen.

  • Das finde ich auch, dass es "nicht gut" ist, wenn dieses Gesetz "leise" verabschiedet wird. Es geht hier immerhin um ein wichtiges Menschenrecht. Eins, das auch und gerade für Kinder gelten muss, die sich entwickeln wollen. Zumal in einem Umfeld, das sich auf die Freiheitsrechte was zugute hält.

     

    Wenn ein Gesetz wie dieses ohne größere Debatte verabschiedet wird, gibt es einen Begriff dafür. Klammheimlich nennt man so etwas. Das Wörterbuch übersetzt das wie folgent: "Auf ganz heimliche, geschickt-unauffällige Weise [...], sodass niemand weiß, wie es zugegangen ist". Damit ist offenbar ein Kern getroffen.

     

    Hier sollen die Verantwortlichkeiten verschleiert werden. Und zwar in einer Art und Weise, die anderen Möchtegern-Betrügern Respekt abnötigt. Wieso? Tja, vermutlich wegen des (offenbar recht unbegründeten) Führungsanspruches der Verantwortlichen.

     

    Es ist a) ein Zeichen dafür, dass in der Vergangenheit schwere Fehler gemacht wurden, wenn Erziehungsberechtigte Kinder wochenlang ans Bett schnallen müssen, und es ist b) ein Zeichen für große Angst und akute Überforderung.

     

    Solche Zeichen schaden dem Prestige von Machthabern. Erwachsene, die ebenfalls nicht einverstanden sind mit all den „Ansagen“, auf die sie hören sollen, sagen sich ja vielleicht: 'Wenn die sich schon vor ihren (eignen) Kindern fürchten, dann setze ich mich vielleicht locker durch, wenn ich es schaffe, noch mehr Ängste auszulösen.

     

    So was gefährdet die Stabilität. Auch die der Privilegien. Deswegen die Klammheimlichkeit. Dumm nur, dass die gefährlich ist. Das Stichwort ist Eskalation. Restriktiver geht ja schließlich immer, wenn sich die Machthaber nur einig sind in ihrer Angst. Was also heute noch dem Kinderschutz zu dienen scheint, kann morgen schon dem Schutz der Herrscher selber dienen – die offenbar auch nur zu groß geratene Kinder sind, die ihren Mund zu voll genommen haben.

     

    Etwas ist faul im Staate mit dem D am Anfang. Und das sind nur sehr indirekt die Kinder. Frau Kutter - übernehmen Sie!