Kommentar Flüchtlingsunterkünfte: Entschließt euch, Genossen!
Die Nutzung von leer stehenden Wohnungen für Flüchtlinge darf kein Einzelfall bleiben. Angekommen ist das bei den Sozialdemokraten noch nicht.
E s gehört zu einem der beliebtesten Tricks Konservativer, das Bestehende als unabänderlich hinzustellen. „Alternativlos“ wählte eine unabhängige Jury zum Unwort des Jahres 2010. Die Begründung: Das Wort suggeriere sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe.
Die Hamburger Sozialbehörde hat das offenbar begriffen, wenn sie jetzt nicht nach vorne prescht und die neuen Pläne, Flüchtlinge in leer stehenden Wohnungen unterzubringen, als großen Wurf verkauft.
Denn dieser Fall zeigt: Es geht also doch. Und mehr noch: Das Vorgehen müsste in Zukunft beispielhaft sein. Bislang wurde viel zu wenig über die mangelnde Qualität der bestehenden Unterkünfte gesprochen. Auch wenn die Behörde beteuert, sich seit Ende 2012 bemüht zu haben, leer stehende Wohnungen für Flüchtlinge anzumieten, abnehmen kann man ihr das eigentlich nicht.
Sicher ist es nicht leicht, die Schieflage auf dem Wohnungsmarkt und die damit verbundenen politischen Versäumnisse – so schnell wie es nötig wäre – wieder gerade zu biegen. Doch statt die Gründe zu diskutieren, die zum Mangel an Unterkünften geführt haben, und aus den Fehlern zu lernen, macht die Stadt immer noch den „starken Zustrom von Flüchtlingen“ für den Missstand verantwortlich – und dieser ist, weil Sache des Bundes, von Hamburg aus nicht zu ändern.
Für die Sozialdemokraten scheint Zuwanderung immer noch eine Abweichung vom Normalzustand zu sein. Dabei wäre es mehr als angebracht, wenn sich die SPD mal an die eigene Nase fasst. Da wäre zum Beispiel die Saga, die viel weniger als es nötig wäre auf dem Wohnungsmarkt für einen sozialen Ausgleich sorgt. Nur ein Fünftel der Wohnungen vergibt sie an dringliche Fälle. Bei einem Unternehmen, das der Stadt gehört, kann man durchaus mehr erwarten.
Ob hier oder in der Umnutzung von Leerstand: Der SPD-Senat lässt immer noch die Entschlossenheit vermissen, Grundlegendes zu verändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten