Kommentar Flüchtlingspolitik Grüne Berlin: Am eigenen Anspruch gescheitert
Ohne Unterlass betonen die Grünen ihre Unterstützung für die Ziele der Flüchtlinge. Letztlich fehlt ihnen aber der Mut, die Konsequenzen daraus zu ziehen.
S o wie die Union von der Haltung lebt, dass ein Staat sich nicht erpressen lassen dürfe, leben die Grünen von der Behauptung, für die Verwirklichung von Ökologie und Menschenrechten zu stehen. Dies mit dem Wunsch nach Macht in Einklang bringen zu müssen ist die Grundspannung, unter der die Partei von jeher steht. Diese Spannung hat die Grünen in Kreuzberg jetzt zerrissen. Das Vorgehen in der von Flüchtlingen besetzten Schule in der Ohlauer Straße ist ein Desaster für die Partei.
Am Tag nachdem Bundespräsident Joachim Gauck erneut eine Kehrtwende in der deutschen Flüchtlingspolitik fordert, setzen Grüne Tausende Polizisten in Bewegung, um 40 Asylsuchende, die ein Aufenthaltsrecht wollen, aus einem verlassenen öffentlichen Gebäude zu entfernen. Dabei konnten sie nicht wissen, ob die Flüchtlinge, die aus Angst vor Abschiebung mit Suizid drohten, ihre Ankündigung wahr machen.
Ohne Unterlass betonten die Grünen ihre Unterstützung für die Ziele der Flüchtlinge. Letztlich fehlte ihnen aber der Mut, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Sie duldeten zwar, dass Flüchtlinge ein Haus besetzen und damit die Residenzpflicht umgehen. Das wäre anderswo im Land kaum denkbar. Gleichzeitig haben die Grünen aber zugesehen, wie die Zustände dort immer unzumutbarer wurden.
Die komplette Vernachlässigung der Schule spielte jenen in die Hände, denen die Protestlager ein Dorn im Auge waren. Etwa dem konservativen Innensenator Frank Henkel, der die Grünen seit Monaten vor sich hertrieb. Der Bezirk stand dabei vor dem Dilemma, zwar für die Schule, nicht aber für Aufenthaltsfragen verantwortlich zu sein.
Gezwungen zu räumen war er aber nicht. Dennoch schickten die Grünen den Flüchtlingen erst die Polizei, um dann so lange zu lavieren, bis es dem Berliner Polizeipräsidenten zu bunt wurde und er dem Bezirk ein Ultimatum setzte: Wenn ihr euch nicht zur Räumung entscheidet, sichern wir das Gebäude nicht weiter – ein beispielloser Vorgang.
Hätten die Grünen der besetzten Schule eine echte Perspektive gegeben und dafür den Konflikt mit dem Senat weiter ausgehalten, wären sie dem eigenen politischen Anspruch gerecht geworden. Doch der Wunsch zu beweisen, dass man auch zu Ordnungspolitik konservativer Prägung in der Lage ist, und sich so in der Hauptstadt für höhere Aufgaben zu empfehlen, war größer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“