Kommentar Flüchtlinge in Europa: Tsipras und Merkel in einer Front
Griechenland und Deutschland argumentieren gemeinsam für eine Verteilung der Flüchtlinge. Lange wäre das unvorstellbar gewesen.

D ass es sich bei den Flüchtlingen um Menschen mit allen ihren Erfahrungen, Hoffnungen und Wünschen handelt, ist bei manchen Diskussionen der letzten Tage und Wochen aus dem Blickfeld geraten. Es sind Menschen mit verstörenden und berührenden Schicksalen. Die nun in Idomeni mit ihren Kindern in Kleinzelten hocken und trotz der unwürdigen Umstände versuchen, noch Würde zu zeigen. Unvergessen der ältere Mann, der im Staub vor seinem kindervollen Zelt hockt und freundlich eine einladende Geste gegenüber dem Fremden macht. Setz dich zu uns, sei unser Gast.
Das noch im Herbst vorherrschende freundliche Gesicht Europas hat sich am Stacheldrahtzaun und besonders an der griechisch-mazedonischen Grenze zur Fratze gewandelt. Auch die Hoffnungen auf Deutschland schwinden. Zwar registrieren die Flüchtlinge genau, dass Deutschland sich darum bemüht, eine europäische Lösung zu finden, und hoffen darauf, dass die EU in dieser Richtung entscheidet. Doch schon mischt sich in die Hoffnung Resignation.
Die Ironie, dass Griechenland und Deutschland nun im Gleichklang für eine Verteilung der Flüchtlinge in allen EU-Ländern argumentieren, erschließt sich für diese Menschen natürlich nicht. Denn sie wissen nichts über den Streit um den Euro. Tsipras und Merkel nun in einer Front, vor wenigen Monaten wäre das wohl unvorstellbar gewesen. Die Feinheiten der europäischen Politik mögen diesen Menschen entgehen, nicht jedoch das Grobe.
Zwar haben sie in Griechenland bisher Hass, Ablehnung und Islamophobie noch nicht persönlich erfahren, doch sie wissen schon Bescheid, dass trotz des Aufrufs des Papstes, barmherzig zu sein, gerade die katholischen Länder des Ostens sich ihnen gegenüber verschließen.
Sie wissen auch genau, dass die „muslimischen Brüder“ und Wächter des Islam in Saudi-Arabien und den Golfstaaten dem nicht nachstehen und unbarmherzig bleiben.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden