Kommentar Fahrverbote vor Gericht: Reizgas und Reizworte
Das Urteil zu möglichen Fahrverboten wurde vertagt. Dass Richter darüber entscheiden müssen, zeigt den Bankrott der Verkehrspolitik im Bund.
F ünf Tage zum Nachdenken gönnen sich die Richter des Bundesverwaltungsgerichts. Erst dann wollen sie ihr Urteil und möglicherweise Fahrverbote für den Fall hoher Schadstoffbelastung der Luft in deutschen Städten verkünden. Zeit genug, um über die Skandale zu sprechen, die leider nicht in Leipzig verhandelt werden.
Zum Beispiel, dass es erst das Reizwort „Fahrverbot“ brauchte, um eine Debatte über das Reizgas in unseren Straßen möglich zu machen. Die tägliche Bedrohung, vor allem für Kinder und Kranke, durch giftige Atemluft nehmen wir klaglos hin. Aber wehe, die Automobilität wird nur minimal bedroht. Schon kippt der Ton ins Hysterische, weil angeblich „Enteignungen“ drohen. Als sei die Atemluft in manchen Quartieren nicht eine amtlich bestätigte Körperverletzung mit möglicher Todesfolge. Man sollte mal in einer repräsentativen Umfrage ermitteln, was die Menschen mehr stört: giftige Luft oder Fahrverbote.
Interessant ist auch, mit welch spitzen Fingern sich Medien, Kommunen und Verbände der Deutschen Umwelthilfe (DUH) nähern, die das Verfahren angestoßen hat. Da ist von „Nervensägen“ und „Dieselhassern“ die Rede. Dabei tut die DUH, was bei ordentlicher Regierungsführung eigentlich überflüssig wäre: die Politik per Gericht zwingen, sich an die eigenen Gesetze zu halten.
Auch darüber lässt sich grübeln: Die viel zu hohe Belastung der Luft mit Stickoxiden ist kein Unfall oder Schicksalsschlag. Sie ist seit Jahren bekannt und ihre hauptsächlichen Verursacher stehen fest. Es sind vor allem die Autokonzerne, die ihre Abgasnormen nicht einhalten und Kunden und Politik böswillig darüber getäuscht haben.
Das Versagen der Politik
Verantworten müssen sie sich dafür in Deutschland bisher nicht, den Schaden beseitigen auch nicht. Bis heute bringen sie Autos auf die Straßen, die die Grenzwerte weit überschreiten. Obwohl sie so viel Geld verdienen wie noch nie, weigern sich VW, Daimler und Co beharrlich, durch einfachen Einbau von Katalysatoren ihre Produkte in einen ungefährlichen Zustand zu versetzen.
Der größte Skandal aber ist: Sie kommen damit durch. Anders als etwa in den USA lässt die deutsche Regierung zu, dass Autobauer die Gesetze brechen, ihre Kunden betrügen und unsere Gesundheit gefährden. Verkehrspolitik wird in Deutschland nicht von der Politik gemacht, sondern von allen anderen: den Autokonzernen, der EU, den Umweltschützern – und nun zum Glück auch von den Gerichten.
Dass die Dieselfrage vor Gerichten entschieden wird, zeigt den Bankrott der Verkehrspolitik im Bund: Das Ministerium des ehemaligen CSU-Ministers Alexander Dobrindt hätte das Problem längst regeln müssen. Aber aus Angst vor dem Wort „Fahrverbot“ hat Dobrindt die Handbremse gezogen. Dieses Versagen der Politik muss nun das Gericht aufarbeiten. Es ist gut, gewissenhafte Richterinnen und Richter zu haben. Besser wäre es, wir hätten auch verantwortungsvolle Ministerinnen und Minister.
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