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Kommentar Europas FlüchtlingspolitikEuropas unsichtbare Mauer

Doris Akrap
Kommentar von Doris Akrap

Trump will mit einer Mauer Flüchtlinge aufhalten und europäische Politiker sind erschüttert. Wie heuchlerisch! Sie haben doch selbst eine gebaut.

Mitarbeiter des roten Halbmondes bergen Leichen ertrunkener Flüchtlinge in Tripoli Foto: dpa

D onald Trump wird es nicht nötig haben, auf Europa und seine Heuchelei zu verweisen. Vielleicht wird er es aber auch doch tun, einfach weil er Bock drauf hat, wieder mal eine neue Volte auszuprobieren. Denn er könnte, wenn er wollte, ja mal nachfragen, wie die EU ihre unsichtbare Mauer an der Mittelmeerküste eigentlich nennt – und wie viele Flüchtlinge die EU dieses Jahr schon im Mittelmeer hat absaufen lassen.

Die Antwort müsste lauten: so viele wie noch nie. Seit 2014 sind es über 10.000, davon allein in diesem Jahr 4.600. Schon jetzt ist 2016 das tödlichste europäische Jahr für Flüchtlinge auf dem Mittelmeer.

Zum Vergleich: Im Jahr 2015 starben beim Versuch des illegalen Grenzübertritts von Mexiko in die USA 240 Menschen. Die unsichtbare Mauer um Europa ist damit um etwa das Fünfzehnfache mörderischer als die Grenze der USA. Ist der freie Westen also wirklich erst am Ende, seit wir wissen, dass Trump US-Präsident wird? Wie zynisch muss das in den Ohren der Menschen klingen, die ihre Angehörigen und Freunde im Mittelmeer verloren haben, weil der Westen so frei war, sie darin ertrinken zu lassen?

Die unsichtbare Mauer um die EU ist durch Schengen- und Dublin- und andere Abkommen wie dem Verbot für Reedereien, Flüchtlinge zu transportieren, so undurchlässig wie eine Mauer aus feinstem Heidelberger Zement. Das Mittelmeer ist für die EU aber ein großer „Glücksfall“: Es bietet eine natürliche, bis zu 5.000 Meter tiefe und elegante Lösung zum Vertuschen von tödlicher Grenz- und Abschreckungspolitik. Niemand sieht die Leichen auf dem Grund des Mittelmeers. Und außerdem können EU-Politiker und Thomas de Maizière stets betonen, dass sie ja schließlich auch nichts dafür könnten, dass die Leute in desolate Boote steigen, obwohl sie doch genau wissen würden, dass sie damit kentern könnten.

Aufnahmelager in Afrika

Müssten wir nicht schon längst von der Kapitulation des freien Westens gesprochen haben, wenn wir an nur zwei der zahlreichen bizarren Vorschläge Thomas de Maizières zur Verbesserung der Lage erinnern: Aufnahmelager in Afrika nach türkischem Vorbild und die kostenlose Rückführung von im Mittelmeer aufgegriffenen Flüchtlingen nach Afrika, wo sie in Ruhe einen Asylantrag stellen können sollen?

Wer von Trumps Mauer spricht, kann von der europäischen nicht schweigen.

Jahrelang hat man es den Linksradikalen überlassen, von der Festung Europa zu sprechen, vor deren Toren die Leute ersaufen, erfrieren, verhungern und verrecken werden. Unser Europa soll doch nur schöner werden, haben die Frontex-Versteher gesagt. Es wird ein Europa mit offenen Grenzen und dem freien Verkehr von französischer Salami in die eine und deutscher Wurst in die andere Richtung, haben sie gesagt. Die Bundeszentrale für politische Bildung betont noch heute, dass Frontex keine „Grenzpolizei“ sein, sondern bloß eine „Agentur“, die dazu beitragen soll, „die Außengrenzen der EU zu schützen“.

Die Feststellung, dass einer Ware auf dem Mittelmeer mehr Schutz gewährt wird als Flüchtlingen, hat man damals als zynisch kritisiert. Heute aber wird niemand, der halbwegs bei Trost ist, abstreiten, was die Goldenen Zitronen schon 2006, also vor genau zehn Jahren gesungen haben: „Über euer scheiß Mittelmeer käm ich, wenn ich ein Turnschuh wär. Oder als Flachbild-Scheiß – ich hätte wenigstens ein’ Preis.“

Und doch: Das tödlichste Jahr auf dem Mittelmeer regt uns bei Weitem nicht mehr so sehr auf wie zuletzt der Amokschütze von München – oder jetzt eben Trump. Auch unser Empörungsreservoir braucht offenbar immer mal wieder einen Objektwechsel, um angezapft werden zu können.

Und Rechtspopulisten von AfD bis Trump bedienen das aufs Beste. Jetzt gerade wieder zu bestaunen: All eyes auf die Mauer! Amerika macht dicht. Überlässt den Rest der Welt sich selbst und schaltet und waltet im Inneren, wie es lustig ist, weil keiner mehr reinkommt. Und keiner mehr raus. Gefangen in Trump-Land.

Warum aber hat uns die Mauer, die ja auch jetzt schon zu einem Drittel existiert, unter Obama nicht so aufgeregt?

Warum aber hat uns die Mauer, die ja auch jetzt schon zu einem Drittel existiert, unter Obama nicht so aufgeregt? War es uns egal, weil das mit den Drogen und den Kriminellen und den Morden in Mexiko ja schon schlimm ist? Weil wir Mauern und Grenzen eigentlich auch ganz okay finden – weil wir ja auch nicht wollen, dass über unsere Grenzen die Terroristen und Kriminellen nach Europa kommen?

Waren wir am Ende nicht auch darüber erleichtert, dass Merkel die Grenzen wieder dichtgemacht hat und wir viele Flüchtlinge wieder loswerden konnten?

Womöglich wäre es eine gute Idee, das eigene Unbehagen in Zukunft ein wenig ehrlicher zu artikulieren. Denn auf der Suche nach Strategien gegen den Rechtspopulismus wird das Warnen vor ihm nicht reichen. Das zumindest ist eine der Erkenntnisse, die man aus den US-Wahlen 2016 definitiv wird mitnehmen können.

Falsche Strategie

Sigmar Gabriels Strategie, den pöbelnden Mob in Heidenau beim richtigen Namen zu nennen, „Pack“, ging nach hinten los. Die Strategie, mit Rechtspopulisten in Talkshows über rechtspopulistische Inhalte zu sprechen, hat bislang auch nicht wirklich zur Auflösung ihrer Parteien beigetragen.

taz.am wochenende

Keine schlechten Nachrichten mehr. Nur Müsli, Kniffel und "Warten auf Godot": Eine tazlerin und ein tazler haben sich nach der US-Wahl in einen Bunker zurückgezogen. Die Reportage von Annabelle Seubert und Paul Wrusch über die Zeit, die sie nur mit sich und einer sehr lauten Klospülung verbrachten, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. November. Außerdem: In der Republik Moldau ziehen Großeltern ihre Enkel groß – weil die Eltern auswandern. US-Serien werden immer häufiger von Frauen gemacht. Wie kommt das? Und: ein Lob des Berufspolitikers. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Es wäre einen Versuch wert, einen wunden Punkt in Augenschein zu nehmen: den Vorwurf der Rechten an die Linksliberalen, heuchlerisch zu sein und Toleranz und Offenheit – gepredigte Werte – selbst nicht durchhalten zu können. Es ist am Ende legitim zu fragen: Wie viele Flüchtlinge haben Sie denn bei sich zu Hause aufgenommen? Warum schicken Sie Ihre Kinder nicht auf Schulen, wo der Anteil türkischer oder arabischer Kids größer ist als der protestantischer Pfarrers- und Lehrertöchter?

Den Rechten ist es ein innerer Trump, wenn sie den Linken und Liberalen, den Universalisten und Kosmopoliten Heuchelei unterstellen können. Und ihr rechtes Herz hüpft wie beim Reichsparteitag, wenn sich Merkel auf den Palaststuhl eines ausgewiesenen Antidemokraten Erdoğan setzt. Gönnen wir ihnen das nicht.

Einmauern hilft nicht. Weil: Mauern kann man auch untertunneln. Mauern einreißen war schon immer die bessere Idee.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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16 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Es sollte kostenlose Fährverbindungen von Afrika nach Europa geben, dazu Visafreiheit für die EU und einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und Anspruch auf Sozialleistungen geben. Dann müssen die ankommenden Menschen Sprachkurse und eine Ausbildung erhalten.

    • @80576 (Profil gelöscht):

      (Satire sollte aber schon als solche gekennzeichnet werden...)

      • 8G
        80576 (Profil gelöscht)
        @Domkaspar:

        Wie kommen Sie auf Satire? Ich habe lediglich Schlussfolgerungen aus der im Artikel formulierten Kritik gezogen, da dies dort unterlassen wurde.

  • Trump ist eine Kombination von sexistisch-rassistischer Dumpfbacke mit ultrarechter republikanischer Politik. Wenn wir Oettinger anhören, merken wir, dass Trump leider kein US-amerikanischer Einzelfall ist - und dabei wissen wir nicht einmal, was Oettinger in der Umkleide vom Stapel lässt. Das was Trump dort von sich gibt, gibt Oettinger bereits auf öffentlichen Reden zum Besten (bzw. Schlechten).

    Merkel heisst Flüchtlinge willkommen, gelobt Aufklärung des NSU-Skandals, tritt verbal für die Förderung der erneuerbaren Energien etc. ein. Effektiv macht sie aber das genaue Gegenteil: Sie lässt die Grenzen schließen, fördert die Diktatur in der Türkei um Flüchtlinge abzuhalten, lässt den Terror des Verfassungsschutzes vertuschen, bremst die Energiewende und fördert die Energiemultis. Gabriel und Merkel drücken die Schiedsgerichte international durch - gegen den Widerstand Kanadas und anderer europäischer Länder, während sie auf Parteitagen so tun, als ob es umgekehrt wäre.

    Wenn nun viele Leute den Eindruck haben, dass die Politiker_innen ein falsches Spiel spielen, so ist leider deren Reaktion, dem Argument der Menschenrechte, der Idee Europas und der Demokratie nicht mehr recht zu trauen. Sie denken dann nur noch an sich und lassen sich mit dumpfen Emotionen einfangen. Die Ideale zerstört haben jedoch nicht die AfD sondern Merkel, Gabriel & Co.

    • 3G
      36120 (Profil gelöscht)
      @Velofisch:

      Stimme voll zu!

  • Nun ja, Trump wurde in Amerika ja nicht wegen der Maueridee angefeindet sondern weil die Mauer ja nicht gegen die "illegalen" Einwanderer hilft (Stichwort Leiter) und zu teuer ist.

  • Es ist ein Problem mit dem Flüchtlingsstrom aus Afrika,denn diese Quelle wird nie versiegen und je besser die Flüchtlinge aus Afrika hier aufgenommen werden,desto mehr kommen,weil sich das natürlich herumspricht.Wie also dieses Problem lösen?Korruption ist ein großes Problem,die Ausbeutung Afrikas ist ein weiteres,das uns auch in die Verantwortung nimmt,weswegen wir nicht sagen können,dass uns diese Flüchtlinge nichts angingen.

    • @Markus Müller:

      Das eigentliche Problem ist doch dass Leute überhaupt auf die Idee kommen ins kalte Europa zu fliehen weil Europa auf Teufel komm raus den Reichtum aus dem Rest der Welt presst.

       

      Ich sage ja nicht dass wir alles teilen müssen, aber gerade der Export subventionierter EU-Lebensmittel oder der Raubbau an Rohstoffen sorgt doch schon merklich dafür dass Menschen flüchten müssen.

      Gerade weil wir diese Ausbeutung nur betreiben können indem wie lokale Despoten an der Macht halten.

       

      Überspitzt könnte man sagen wir nehmen uns Rohstoffe, verhindern Landwirtschaft und setzen Diktatoren an die Macht und wundern uns dann wenn die Menschen dem gestohlenen Wohlstand hinterher kommen.

       

      Vielleicht wäre die Lösung für Afrika ja wirklich eine Mauer, Aber dann auch eine die verhindert dass wir uns dort bereichern.

  • Frau Akrap, Sie erschöpfen sich darin, die Heuchelei der Trump-Kritiker in puncto 'Mauer gegen Mexico' mit Verweis auf deren eigene Flüchtlingspolitik anzuklagen. Leider machen Sie aber, außer dem recht abstrakten 'Mauern einreißen', keine konkreten Handlungsvorschläge. Was sollen die Europäer in welchem Umfang tun ? Dazu ein Hinweis vorab: Afrika hat derzeit etwa 1.100 Mio Menschen bei einer Bevölkerungsdichte von 30 EW/km², Europa 742 Mio bei 75 EW/km².

    • @Nikolai Nikitin:

      "Wuff" trifft es! Und nicht vergessen: LOVE and PEACE und ein bisken Spass haben ist auch erlaubt. Du weisst, was ich meine:) Einfach mal lachen. Ist gesund.

    • @Nikolai Nikitin:

      Ein Hinweis den man auch benennen könnte ist dass Deutschland etwa 40%-50% mehr Wirtschaftskraft(BSP) hat als ganz Afrika zusammen.

    • @Nikolai Nikitin:

      Handlungsvorschläge kann man erst mal im eigenen Leben suchen (alles andere ist ein Zurücklehnen mit der bequemen Entschuldigung, dass es keine richtige Lösung gibt). Was man im eigenen Alltag machen kann, ist im eigenen Umfeld handeln und auf Flüchtlinge zugehen. Ich lerne zB Deutsch mit ein paar Männern, die aus Gambia geflohen sind. Also nochmal, Handlungsvorschlag: Einfach auf Leute zugehen, die geflohen sind und hier Anschluss finden wollen. Die Männer mit denen ich Deutsch lerne sind super dankbar dafür und freuen sich über jedes Kontaktinteresse. Das gibt es meiner Erfahrung nach von noch nicht so vielen Menschen: In den zwei Stunden, die ich mit ihnen lerne (in einem Park) werden die Jungs häufiger grundlos angepöbelt als ich als Weißer in einem ganzen Jahr. Also einfach im eigenen Umkreis anfangen, das verändert schon sehr viel.

       

      Auf der abstrakten Ebene ist meine Meinung: Jeder, der will, muss eine Chance haben in Europa oder wo auch immer sonst zu leben. Die Europäer nehmen sich ja ihrerseits das Recht. Das müsste man in der Verfassung ändern. Aber so lange das nicht so ist (und das wird vermutlich noch ewig so sein) werde ich auf jeden Fall vor Ort tun, was ich tun kann, um Flüchtlingen zu helfen.

       

      Abgesehen davon finde ich es nicht sinnvoll, Bevölkerungsdichten zu vergleichen. Es geht hier ja kein Platzproblem, sondern nur die Frage wofür Geld investiert wird. Leerstand gibt es in Europa btw en Masse, in Barcelona udn Madrid wurden zB Gesetze erlassen, die Banken verbieten, leerstehende Wohnungen leerstehen zu lassen im Hoffen auf späteren Profit... aber das ist ein anderes Thema.

      • @mozez :

        Einverstanden. Dann füllen wir mal die leerstehenden Wohnungen in Madrid und Barcelona mit Afrikanern. Ich denke in einem viertel Jahr ist dies erledigt. Und dann ?

        • @Nikolai Nikitin:

          Sie sind ein Defätist!

          • @Wuff:

            Nein, er ist ein Realist

  • Danke für den Artikel!

    Solange wir alle lieber auf die anderen schaun und uns darüber das Maul zerreißen, und da ist Trump ein dankbares tägliches Ziel derzeit, anstatt die eigenen Hausaufgaben zu machen ist die Energie offensichtlich fehlgeleitet.