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Kommentar Erschossener JugendlicherFerguson ist überall

Dorothea Hahn
Kommentar von Dorothea Hahn

In Ferguson zeigt sich das Erbe des Rassismus in den USA. Er reicht von der Sklaverei über die Segregation bis hin zur Benachteiligung von Minderheiten.

Wie eine Besatzungsarmee: weiße Polizisten und schwarzer Protestierender Bild: dpa

S echs Kugeln, die ein Polizist in den Körper und Kopf eines unbewaffneten und mit erhobenen Händen vor ihm stehenden Teenagers gejagt hat, haben Ferguson in das Zentrum der USA katapultiert. Nach tagelangen friedlichen Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen für Michael Brown, nach immer neuen Polizeiprovokationen mit Worten und mit militärischen Taten und nachdem die nächtlichen Plünderungen nicht aufhören wollen, soll jetzt die Nationalgarde in dem kleinen Ort für Ruhe sorgen: das Militär. Der Krieg ist damit offiziell in Missouri angekommen.

Die erste Verantwortliche für die Situation ist die lokale Polizei. Sie hat sich mit Kriegswaffen aus Beständen des Pentagon ausgestattet. Sie hat fast ausschließlich weiße Beamte in der mehrheitlich schwarzen Stadt eingesetzt. Und sie hat sich wie eine Besatzungsarmee aufgeführt. Jeder schwarze Mann in Ferguson kann von Erniedrigungen und Angst im Umgang mit der Polizei berichten.

Anschließend haben die Polizeichefs ihre ganze Energie darauf verwendet, das Geschehene zu vertuschen. Sie haben Demonstranten wie Kriminelle behandelt und ins Visier ihrer Kriegswaffen genommen. Und als der örtliche Polizeichef – unter dem Druck aus Washington – nach fünf Tagen endlich die Identität des Todesschützen bekannt gab, sagte er nichts zum Hergang der Todesschüsse. Er nutzte aber die Gelegenheit, um posthum den Ruf des Toten zu zerstören.

All das ist wie aus dem Lehrbuch zur Eskalation eines Konfliktes. Und genau das ist passiert. Jetzt befindet sich Ferguson in einem Ausnahmezustand, in dem nachts die Straße allein den Uniformierten und einigen Plünderern gehört, von denen niemand weiß, wer sie sind und woher sie kommen.

Aber Ferguson ist nicht nur das Resultat falscher und aggressiver polizeilicher Strategien. In Ferguson zeigt sich zugleich das bittere Erbe eines jahrhundertelangen Rassismus in den USA, der von der Sklaverei über die Segregation bis hin zu selektiven Benachteiligungen von Minderheiten reicht, der bis heute nicht wirklich überwunden ist.

Ferguson ist überall. Sozial, politisch und polizeilich benachteiligte Minderheiten, die räumlich abgetrennt von der Mehrheitsbevölkerung leben, existieren in Großstädten wie New York, Chicago und Los Angeles und auch mitten im „tiefen Amerika“. Jeder einzelne dieser Orte ist ein potenzielles Pulverfass.

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Dorothea Hahn
Korrespondentin
Kommt aus Köln. Ihre journalistischen Stationen waren Mexiko-Stadt, Berlin, Paris, Washington und New York.
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22 Kommentare

 / 
  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Wenn es zu Plünderungen kommt, scheint es auch ein Umverteilungsproblem zu sein. Oder? Irgendwie entzündet sich an diesem Vorfall nun deutlich mehr. Arm gegen Reich? Aber US Amerika wird es schon schaffen mit der Kavallerie die Grenzen zwischen Reich und Arm zu verteidigen.

  • Warum ist dass jetzt eigentlich kein Einzelfall?

  • Ob in Ferguson, Irak, Afghanisten......

    .

    es sind immer widere die gleichen Muster. Keine Sensibilität für die Situation gepaar mit dem "Glauben" wir sind die GUTEN und "Frieden schaffen können nur Waffen"

    .

    So nett diese Gesellschaft auf den ersten Blich auch ist, (sie bleibt oberflächlich wenn man genau hinschaut) so zerrissen ist sie aber auch.

    .

    Zwischen den sozialen Gruppen herrscht "Krieg" Nicht erst seit Ferguson!

    .

    Silidarität, gemeinsame Werte..... wenn überhaupt, dann nur für meine "Gruppe" aber im Grundsatz will jeder alles haben, koste es was es wolle.

    .

    Ansätze davon (zu viele mMn.) heben wir hier auch, aber so krass wie in den USA ist das hier NOCH nicht.

    .

    Brummt

    Sikasuu

  • Dr. King in allen Ehren, doch ohne Kampf geht's nicht.

     

    "...by any means necessary" (MalcolmX)

  • Wo bleiben Sie, Herr Obama!!

  • Ein Punkt, der für eine Bewertung der Gesamtlage auch wichtig ist,

    bis heute gibt es kein Bundesgesetz, das Lynchjustiz verbietet.

  • Einige wenige Dokus, die zum Verständnis beitragen können und die ich besonders

    @PEGASOS ans Herz legen möchte:

    "Mord aus Rassenhass - Der Tod des Emmett Till"

    https://www.youtube.com/watch?v=QwDifdKbWAQ

    "Crips vs. Bloods - Die gefährlichsten Gangs der Welt"

    https://www.youtube.com/watch?v=fDjpM-T_ieA

    Der 3-teiler "Geschichte des Rassismus"

    https://www.youtube.com/watch?v=50-yXZtEhrE

    "Lynchmorde in den USA - Schatten der Vergangenheit"

    https://www.youtube.com/watch?v=8B5BHoMKobA

  • I have a dream...

     

    ..und es hat sich doch nichts geändert :(

  • Ein schwarzer wurde von der Polizei erschossen, und das Geschreie in den Medien beginnt.

     

    Tausende schwarze wurden und werden in den Bandenkriegen erschossen, und keine Sau interessiert es.

     

    Seltsame Welt.

    • @Pegasos:

      Stimmt eigentlich...

       

      Aber das klingt jetzt etwas verharmlosend in Bezug auf tatsächlich stattfindende Polizeirepressionen und dass sich die Schwarzen eh gegenseitig abschießen...

       

      Meinen Sie etwa, die Bürger in Ferguson reagieren hysterisch?

      • @friedjoch:

        Ob sie hysterisch reagieren?

         

        Nun, so würde ich es nicht nennen. Aber ich wundere mich doch, das so etwas nicht bei den Gangmorden geschieht.

         

        Tausende von toten in den Gangkriegen werden einfach so hingenommen, aber wehe es wird ein schwarzer von einem weißem erschossen.

         

        Denn die eigentlichen Probleme der schwarzen in den USA sind die Gangs und nicht der Rassismus.

        • @Pegasos:

          Hahaha ..., dass auch und gerade diese Gangs das Ergebnis einer rassistischen amerikanischen Gesellschaft sind, ist Dir offenbar nicht bewusst. Das aber ist wohlwollend ausgedrückt einfach nur ignorant.

          • @DDHecht:

            Es ist richtig, dass die Gangs wie die Bloods und die Crips in folge des gescheiterten Kampfes gegen den Rassismus in den 60er entstanden sind.

             

            Aber das war damals in den 60er und 70ern. Das ist über 30 Jahre her.

             

            Heute ist die Situation eine völlig andere. Zwar gibt es immer noch Rassismus, dieses Problem ist aber gering im Verhältnis zur Gangkriminalität. Ein heute oder in den letzten zwanzig Jahren in den Gettos geborenes Kind wurde statistisch gesehen mehrfach von den Gangs erschossen, bevor es zum ersten mal mit einem Rassisten in Kontakt kommt.

             

            Vergleicht einfach mal wie viele Tote es durch Rassismus und wie viele des durch Gangs in den letzten 10 Jahren gab. Nur das die durch Gangs nicht in die Nachrichten kommen, weil sich keine Sau für sie interessiert.

             

            Die Gangs werden auch nicht verschwinden wenn der Rassismus weg fällt.

             

            Die schwarze Bevölkerung des USA hat heute einfach größere Probleme als den Rassismus. Und es wäre schon mal ein Anfang wenn die Medien auch über die Verbrechen der Gangs berichten würden. Aber da kommt nichts.

             

            Und wenn man den Menschen dort wirklich helfen will, dann müssen zuerst die Gangs weg, auf welchem Wege auch immer.

            • @Pegasos:

              Und man müsste diese Gangs erst einmal entwaffnen und genau da, fängt es an spannend zu werden.

            • @Pegasos:

              Du übergehst dabei aber, das man in mindestens 10 Bundesstaaten nach einer Gefängnisstrafe lebenslang das Wahlrecht verliert. Warum sollte die der Staat also noch interessieren?

        • @Pegasos:

          "die eigentlichen Probleme der schwarzen in den USA sind die Gangs und nicht der Rassismus"

           

          Alles klar, Cowboy :)

  • Rassismus ist die Diktatur der Würdelosigkeit. Oder aus welchem Grund muss man auf einen schießen, der die Arme schon hinter dem Kopf hat?

     

    Was für eine Scheißkultur wir Weißen doch haben.

    • @aujau:

      >Was für eine Scheißkultur wir Weißen doch haben.

       

      Unbewaffnete erschießen ist kein "weißes" Ding. Werfen Sie mal einen Blick nach Mexiko, in den Drogenkrieg, wo auch täglich viele Menschen den Tod finden.

      Oder in einigen Regionen Afrikas, wo die Zivilbevölkerung verstümmelt und getötet wird.

       

      Überall da, wo Menschen sind, gibt es Kriminalität und Brutalität. Die Hautfarbe ist da vollkommen egal.

      • @John Farson:

        Leider, leider haben wir Weißen in der Welt eine Saat der Gewalt und Ausbeutung gesät. Ich weiß sehr wohl, dass andere Menschen nicht perfekt sind, aber werfen Sie mal einen Blick in die Geschichte der Länder, in welchen heute die schlimmste Gewalt herrscht. Im Kongo herrschte in der Kolonialzeit König Leopold von Belgien mit krasser Grausamkeit im Namen des Kautschukanbaus.

        In Mexiko war die Herrschaft der Spanier sowie der Weißen Amerikaner von extremer Gewalt geprägt. Heute agieren die Bevölkerungen das untereinander aus.

      • 6G
        688 (Profil gelöscht)
        @John Farson:

        Die URSACHE aller Probleme / Symptomatiken unseres "Zusammenlebens" im "Recht des Stärkeren", ist der nun "freiheitliche" WETTBEWERB um "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei", wo es immer Sündenböcke und andere zynische Heucheleien braucht - der Kreislauf des geistigen Stillstandes in systemrational-gebildeter Suppenkaspermentalität, seit der "Vertreibung aus dem Paradies"!

  • Und wieder ging es, wie zuletzt im Fall Eric Garner, nur um ein paar Zigarretten.

     

    Traurig. Und bezeichnend?