Kommentar Ende des Unionsstreits: Seehofer ist nur ein Symptom
Merkel hat sich vom CSU-Chef erpressen lassen. Dahinter steht eine Entwicklung, die viel furchterregender ist als das Zerwürfnis zweier Machtpolitiker.
N ichts ist gut in der Union. Die Asylrechtsverschärfung, auf die sich Kanzlerin Angela Merkel und ihr Widersacher Horst Seehofer am späten Abend geeinigt haben, ist nur eine Scheinlösung. Die Kluft zwischen CSU und CDU, die sich in den vergangenen Wochen aufgetan hat, ist damit nicht zuzuschütten. Denn die unglaubliche Eskalation zwischen Merkel und Seehofer steht für einen Grundkonflikt, der bleiben wird.
Zunächst zum Banalen: Das eh schon arg angeschlagene Verhältnis zwischen der Kanzlerin und ihrem Innenminister ist zerrüttet. Seehofer hat Merkel mit vorgehaltener Waffe erpresst. Er hat sie gedemütigt, beleidigt und dabei eine Brutalität an den Tag gelegt, die ihresgleichen sucht. Merkel, der Stabilität über alles geht, hat dieser Erpressung nachgegeben, obwohl sie nicht musste. Damit nimmt sie eine schwere Beschädigung ihrer Autorität in Kauf, um die Regierung und die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU zu retten.
Das kann man ehrenwert finden, aber in der Sache war Merkels Rückzug falsch, inhaltlich und taktisch. Eine gelungene Erpressung wird weitere nach sich ziehen. Das weiß jeder, der Kinder hat. Die CSU hat gelernt, dass infantiler Trotz – „Ich trete zurück, wenn du nicht …“ – Ergebnisse bringt. Sie wird bei nächster Gelegenheit erneut den Konflikt mit der geschwächten Kanzlerin suchen, deren Macht schmilzt wie ein Eiswürfel in der Julisonne.
Dahinter steht eine Entwicklung, die viel furchterregender ist als das Zerwürfnis zweier Machtpolitiker. Denn Seehofers Wüten ist nur ein Symptom. Der alt gewordene Innenminister war nicht mehr Herr des Verfahrens, hinter ihm ziehen CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Ministerpräsident Markus Söder die Strippen. Und die neuen starken Männer brechen mit europäischen Werten, die für Franz Josef Strauß selbstverständlich waren. Sie setzen auf Nationalismus und einen rechtspopulistischen Sound.
Eine Attacke auf die Politik der Mitte
Die neue CSU schwafelt von „Asyltourismus“ und einer „Anti-Abschiebe-Industrie“, sie spricht also Flüchtlingen ihr legitimes Recht ab, um Schutz zu bitten. Sie hofiert den rechtsnationalen Ungarn Viktor Orbán, sie himmelt den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz an, der mit Rechtspopulisten koaliert. Sie malt das Ende des Multilateralismus in der EU an die Wand und setzt auf enge Zusammenarbeit mit Italiens Innenminister Matteo Salvini, einem fremdenfeindlichen Scharfmacher.
Dieser rechtsnationale Kurs ist eine Attacke auf die Politik der Mitte, die die Union in den vergangenen Jahren machte. Er ist ein Angriff auf die moderate, auf Ausgleich bedachte Problembearbeitung, für die Merkel steht. Eine CSU, die sich von der Mitte abwendet, verschiebt die politischen Koordinaten der Republik. Warum sollte sie eigentlich auf Dauer Koalitionen mit der AfD ausschließen? Schon jetzt sind inhaltliche und rhetorische Ähnlichkeiten unübersehbar, und der Prozess der Radikalisierung droht weiterzugehen.
Die Frage ist nun, wie die SPD mit all dem umgeht. Eigentlich gibt es nur eine Antwort: Sie muss den Rücken gerade machen und die Asylrechtsverschärfung ablehnen, die weit über den Koalitionsvertrag hinaus geht. Nur weil Merkel den Erpressern aus Bayern nachgegeben hat, braucht es die SPD nicht auch zu tun.
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