piwik no script img

Kommentar Edathy-AusschussAtemberaubend unverschämt

Kommentar von Tobias Schulze

Warum hält die SPD-Fraktion an Michael Hartmann fest? Weil er womöglich auch die Fraktionsspitze belasten könnte? Der Verdacht erhärtet sich.

Hat die Fraktion im Rücken: Michael Hartmann vor dem Edathy-Untersuchungsausschuss. Bild: dpa

M ichael Hartmann ist ein Mann ohne Zukunft. Er sitzt als Hinterbänkler im Europa-Ausschuss des Bundestags, dem langweiligsten Gremium des Parlaments. Spätestens 2017 wird er auch dort rausfliegen, denn einen Listenplatz kann er nach seinen Ausflügen in den Drogen- und Edathy-Sumpf vergessen. Ob er den Rest der Legislaturperiode noch absitzt oder schon jetzt sein Abgeordnetenbüro räumt – eigentlich egal. Wären da nicht die Auftritte seiner Genossen.

Während eine Koalition aus Grünen, Linken und Union dem Mainzer nahelegt, sein Mandat doch bitte niederzulegen, wollen die Sozialdemokraten davon nichts wissen. Die Frage nach einem Ausschluss aus der Fraktion stelle sich nicht, heißt es aus der SPD. Wie ungeschickt: Damit macht sie sich erst recht verdächtig.

An diesem Mann festzuhalten, widerspricht jeder Logik des Politikbetriebs. Nach seiner Crystal-Meth-Affäre war Hartmann bereits angeschlagen. Ein halbes Jahr später verstrickt er sich im Untersuchungsausschuss in Widersprüche. Sämtliche Zeugen widersprechen ihm – weshalb die Staatsanwaltschaft sich schon wieder mit dem Abgeordneten beschäftigen muss; erst wegen Strafvereitelung, demnächst auch wegen Falschaussage.

Dass Hartmann in dieser Situation jede weitere Aussage verweigert, ist noch verständlich. Dass er den Mitgliedern des Untersuchungsausschuss in seiner schriftlichen Absage unterstellt, sie seien „an der Wahrheitsfindung gänzlich uninteressiert“ aber ist atemberaubend unverschämt.

Warum rät dann niemand in der SPD Hartmann zum Rückzug? Die plausibelste Antwort lautet: Weil er zu viel weiß. Weil er auspacken könnte, sobald seine Fraktion ihn schasst. Weil doch noch mehr SPD-Abgeordnete mit in der Affäre stecken, vielleicht sogar die Fraktionsführung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Schließe mich dem letzten Absatz des Artikels an:

    Es ist doch jetzt nicht damit getan, daß Hartmann sich zurückzieht oder lieber nicht zurückzieht. Es ist festzustellen, daß Herr Hartmann offenbar keine eidesstattliche Erklärung machen will und als Konsequenz, daß diese Geschichte sofort der Staatsanwaltschaft weitergegeben wird mit allen Möglichkeiten, die Untersuchungen auf Aussagen und Nichtaussagen der SPD-Spitze auszuweiten. Oder will Frau Högl das nicht? Als Bürger dieses Landes kann man zur Zeit verzweifeln, wie ohnmächtig oder unwillig Aufklärungsausschüsse in Sachen NSU, NSA und jetzt SPD sind.

  • Es wäre ganz ausgezeichnet, wenn endlich die Tiefendimension der Edathy-Affäre thematisiert würde - zeitlich und institutionell: Seit Herbst 2011 hatte das BKA die Azov-Liste. Sie wollen darauf den Namen Edathy nicht bemerkt haben? Unglaubhaft! Ende Januar 2012 tritt somit ein erpreßbarer Edathy den Vorsitz des NSU-Untersuchungsausschusses an. Darum geht es, das ist der Kern der Affäre. Wer nach dem Ende dieses Ausschusses dann wen zuerst informierte, ist zweitrangig. - Meine Sichtweise ist dabei nicht besonders exotisch, sondern ergibt sich aus Chronologie und sonstigen Fakten. Bitte zur Kenntnis nehmen!

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @Albrecht Pohlmann:

      Stimme Ihnen über den Kern der 'NSU/SPD-Affäre' zu. Ich würde allerdings die Bezeichnung 'Edathy-Affäre' nicht mehr verwenden und sie mit NSU-Affäre oder aktuell mit SPD-Affäre ersetzen.

      Aber dann ist 'Wer nach dem Ende dieses Ausschusses dann wen zuerst informierte' besonders brisant und zu klären.

  • War das nicht Hartmann mit dem Crack? Ach nee, "nur" Crystal! Vielleicht sollte man ihm mal ne Pipe reichen und gucken, was der dann so alles faselt. Vielleicht rutscht ihm dann ja noch eine der Überraschungen über die Lippen, von denen Herr Zierke letztes Jahr gesprochen hat... mir fällt da spontan Herr Kriminaldirektor A.D. Karl-Heinz Dufner ein. Wobei: der is ja auch in der "Partei"...

  • An Tobias Schulze, finde ich, ist ein 1-A-Jahrmarktschreier verloren gegangen.

     

    Reißerischer geht es wohl kaum. Wer mag, kann sich nach dem Lesen seines Textes vorstellen, wie die komplette SPD-Fraktionsführung im Wohnzimmer von Sebastian Edathy gemeinschaftlich Kinderpornos guckt. Allerdings ist ein anderes Szenarium wahrscheinlicher. Das, nämlich, dass sich die Herren und Damen Spitzengenossen einen letzten Rest von Solidarität erhalten haben. Wenn schon nicht ihren potentiellen Wählern gegenüber, so doch wenigstens untereinander.

     

    Ein Urteil ist noch nicht gesprochen, das weiß auch Tobias Schulz. Nicht einmal die Beweisaufnahme hat stattgefunden. Das hindert Herrn Schulz allerdings nicht, munter drauf los zu spekulieren als sei sein Brötchengeber nicht die taz sondern The sun aus Großbritannien. Wobei er eine Möglichkeit geflissentlich übersieht. Die nämlich, dass seine Perteikollegen Herrn Edathi lediglich verbal beigestanden haben angesichts gewisser, anfangs noch wenig fundierter Presseattacken im Zusammenhang mit den erhobenen Anschuldigungen. Und zwar aus reinem, auf einschlägigen Negativerfahrungen beruhendem (Selbst-)Mitleid. Wenn sie sich heute nicht daran erinnern mögen, dann sagt nicht nur etwas über die "Genossen" aus, sondern auch etwas über das mediale Klima in diesem Land (Stichwort: Bobbycar).

     

    Er klärlich ist das Klima übrigens allemal. Wenn man schon als (aus Kostengründen nicht mehr sonderlich investigativer und außerdem komplett desinteressierter) Journalist kein politisches Fehlverhalten nachweisen kann, dann müssen halt behelfsweise Gerüchte her. Hauptsache, die, die man nicht leiden kann, weil sie was haben, was man gerne hätte, sind "M[ä]nn[er] ohne Zukunft" und genau so "egal", wie man sich selber fühlt, wenn man nicht ganz laut Blödsinn redet.

  • naja, man wartet einfach auf die Sommerferien und dann scheidet er krankheitshalber aus, bis dahin hat man dann auch noch einen Posten gefunden, ist er RKK wird sich doch in Rom was finden lassen!

  • Herr Hartmann ist fertig. Aber die Figuren sind austauschbar in dem politischen Spiel. Nachrücken wird eine anderer Mensch, der bereits durch die Laufbahn so konditioniert ist, daß er nahtlos in den Klüngel hinein paßt.

     

    Von diesem Untersuchungsausschuß erwarte ich so wenig wie von anderen. das sind Alibiveranstaltungen, die ein Bauernopfer liefern und ablenken.

     

    Wichtiger ist es, daß der Prozeß gegen den Herrn Edathy endlich beginnt, daß danach auch eine neue Bewertung des Delikts Kinderpornographie ins Gesetz einfließt und mit der Haarspalterei aufgehört wird, welche gekauften Bilder von fremden nackten Kindern Pornographie sind und welche nicht.

    • @rugero:

      Ihr erster Absatz gehört in Stein gemeiselt, so schön und trefflich ist der formuliert.

      • @Dudel Karl:

        Stimme Rugero uneingeschränkt zu, wobei ich meinen Schwerpunkt während der gesamten bisherigen "Verfahrensdauer" im dritten Absatz sehe.

  • "...vielleicht sogar die Fraktionsführung"? Nennen wir das Kind doch beim Namen: Thomas Oppermann.

     

    Nur: der Thomas Oppermann, den ich vor über 30 Jahren in Göttingen gut kannte (btw.: und nicht ausstehen konnte), wäre nie so dumm gewesen, sich an einem derartigen Fall die Finger zu verbrennen. Der Mann ist (war?) einfach zu karrieregeil.

     

    Umso mehr erstaunt es mich, was ich in letzter Zeit alles gelesen habe.