Kommentar EZB-Urteil: Europa unter Karlsruher Aufsicht
Die Verfassungsrichter haben die EZB-Politik nicht nur abgesegnet. Sie haben den Europäischen Gerichtshof gezwungen, strenge Vorgaben zu machen.
E s war klar, dass das Bundesverfassungsgericht der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht in den Arm fallen würde. Schon die Ankündigung, Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe aufzukaufen, hat die Zinsen sinken lassen und ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone verhindert.
Hätte Karlsruhe diesen großen Erfolg aus juristischen Gründen beanstandet, hätte es sich nicht nur in Europa ins Abseits gestellt, es hätte auch Bundesregierung und Bundestag massiv herausgefordert, da diese die EZB-Politik mittrugen und verteidigten. Karlsruhe und die Euro-Kritiker blieben mit ihren apokalyptischen Ängsten um den deutschen Staatshaushalt allein.
Das Bundesverfassungsgericht steht nun aber nicht mit leeren Händen da. Es hat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) dazu gebracht, der EZB halbwegs strenge Vorgaben zu machen.
Aus Karlsruher Sicht ist es auch ein Erfolg, dass die unabhängige Zentralbank überhaupt von Gerichten kontrolliert wird. Zwar hat der EuGH nicht alle Argumente Karlsruhes übernommen. Doch die Karlsruher Richter denken langfristig. Ein EuGH, der sich dem Karlsruher Stabilitätsdenken annähert, nützt den Verfassungsrichtern mehr als ein Richterstreit um das juristisch „letzte Wort“.
Die Karlsruher Richter haben ihre strategische Position auch langfristig gefestigt. Weiterhin kann jeder deutsche Bürger das Bundesverfassungsgericht einschalten, wenn er sein „Recht auf Demokratie“ durch EU-Organe gefährdet sieht. Die Richter haben ihre eigene Kontrollintensität zwar eingeschränkt und akzeptieren den EuGH als Hauptkontrolleur. Wenn der EuGH aber „willkürlich“ entscheidet, werde doch das Bundesverfassungsgericht eingreifen.
So kann Karlsruhe den „Dialog“ mit dem EuGH aus einer Position der Stärke führen. Die Botschaft des heutigen Tages lautet: Europa bleibt unter Karlsruher Aufsicht, aber die Erziehungsmethoden werden moderner.
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