Kommentar EU-Politik der SPD: Ein Europa des Drucks
Die Sozialdemokraten setzen nach dem Brexit auf eine Bestrafung der Briten. Nachahmer sollen abgeschreckt werden.
D ie deutschen Eliten, so hat der Soziologe Wolfgang Streeck kürzlich in einem bösen Essay über die Berliner Europapolitik geschrieben, würden den US-Eliten ähneln. Sie seien jedes Mal verwundert, wenn etwas, was sie selbst für vernünftig halten, von anderen nicht so gesehen wird. Ihre politische Moral sei zwar von eigenen Interessen geprägt. Aber das wahrzunehmen werde durch die deutsche Selbstgerechtigkeit verhindert. Die kleineren europäischen Staaten seien deshalb den Wechselspielen der deutschen Innenpolitik hilflos ausgeliefert.
Wenn es noch eines Beweises für diese These bedurft hätte, ist es die SPD-Reaktion auf den Brexit. Da ist zunächst das Gabriel-Schulz-Papier, das zu Recht mehr Investitionen in den europäischen Süden fordert. Das Papier ist aber ein nationaler Alleingang, mit keiner europäischen Schwesterpartei abgestimmt.
Die SPD agiert wie Merkel in der Flüchtlingskrise: einsame Entscheidungen ohne Abstimmung mit den Partnern. Offenbar glauben Sigmar Gabriel und Martin Schulz, dass EU-Politik funktioniert, indem Deutsche Vorschläge machen und die anderen folgen – auch dann, wenn die deutschen Ideen das Gegenteil ihrer bisherigen Politik beinhalten.
Entscheidender ist aber die verächtliche Haltung der SPD zur Mehrheitsentscheidung der britischen Wähler, die sie sich nur durch Dummheit erklären kann. Das ist die Arroganz einer Partei in einem Land, das sowohl von der EU als auch dem Euro ausschließlich profitiert hat. Aber die Griechen und Italiener stünden ohne den Euro vermutlich besser da. Island wäre als EU-Mitglied niemals so schnell aus seiner Finanzkrise herausgekommen. Die Briten können nach dem Brexit ihre heimische Stahlindustrie besser schützen.
Wer den Zusammenhalt Europas bewahren will, tut gut daran, sich flexible Lösungen für einzelne Staaten auszudenken. Die SPD-Haltung aber ist, nun an den Briten – so wie vor einem Jahr an den Griechen – ein Exempel zu statuieren, um Nachahmer abzuschrecken. Die Sozialdemokraten setzen auf eine EU der Angst, nicht auf ein Zukunftsprojekt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch