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Kommentar EU-FlüchtlingspolitikVerlogen und verkorkst

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Nicht nur Polen, Ungarn und Tschechien gehören bestraft. Geflüchtete lassen sich nicht umverteilen wie Bananen und Staubsauger.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Mai Foto: reuters

K eine Frage: Wer nicht solidarisch ist, muss bestraft werden. Deshalb ist es richtig, dass die EU-Kommission gegen Ungarn, Polen und Tschechien vorgeht – weil sie sich immer noch weigern, Flüchtlinge aufzunehmen. EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos hat Recht: In der Europäischen Union geht es nicht nur darum, Fördergelder abzukassieren. Es geht auch darum, einander zu helfen und Lasten zu teilen. Das tun diese drei Länder nicht.

Allerdings kommt das so genannte Vertragsverletzungsverfahren reichlich spät. Schließlich war die Umverteilung von zunächst 120.000 Asylbewerbern schon im September 2015 beschlossen worden. Fast zwei Jahre lang legte die Kommission die Hände in den Schoß. Gegen die schändlichen Mauern, Zäune und Auffanglager an der ungarischen Grenze hat sie bis heute nichts unternommen.

Abschottung sofort, Umverteilung später, heißt die Devise in Brüssel. Dabei weiß natürlich auch Avramopoulos, dass Ungarn, Polen und Tschechien nur die Abschottung wollen – und dass sie dabei nicht allein sind. Auch Kanzlerin Angela Merkel hat die „Sicherung der Außengrenzen“ zur Priorität erhoben, auch sie baut die Festung Europa immer weiter aus. Streng genommen müsste Brüssel deshalb nicht nur die Osteuropäer strafen.

Denn die EU-Kommission hat, Hand in Hand mit Merkel, die europäische Flüchtlingspolitik gegen die Wand gefahren. Der Neustart, der auf dem Höhepunkt der Krise 2015 versprochen wurde, ist gescheitert. Auch die Instrumente, die damals konzipiert wurden, haben sich als untauglich erweisen. So waren die Quoten von vornherein keine gute Idee. Denn Flüchtlinge lassen sich nicht „umverteilen“ wie Bananen und Staubsauger.

Sie wollten und wollen nicht auf dem Balkan bleiben, sie wollten und wollen nicht nach Osteuropa oder ins Baltikum. Ihr Ziel war und ist vor allem Deutschland, das 2015 zusammen mit Schweden wie ein Magnet wirkte. Dass Deutschland dann auch noch die Grenzen aufmachte, hat die Attraktivität weiter verstärkt. Da dies im Alleingang geschah, hätte die EU-Kommission schon damals protestieren müssen. Hat sie aber nicht, im Gegenteil: Kommissionschef Jean-Claude Juncker pries Merkel als leuchtendes Beispiel an.

Dabei hat Deutschland an der gemeinsam beschlossenen Umverteilung auch nie wirklich teilgenommen. Auch Großbritannien und Dänemark haben nicht mitgemacht. Frankreich und Benelux duckten sich ebenfalls weg.

Die gesamte Umverteilungspolitik war von Anfang an verkorkst. Strafen machen sie nicht besser. Besser wäre es gewesen, legale Fluchtwege zu schaffen, mit offiziellen, von den EU-Ländern bewilligten Kontingenten. Doch das hat man nicht gemacht. Bis heute gibt es keine legalen Fluchtwege in die EU. Bis heute sind die Routen von Griechenland und Italien nach Mitteleuropa dicht. Auch das ist ein Skandal.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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17 Kommentare

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  • "Sie wollten und wollen nicht auf dem Balkan bleiben, sie wollten und wollen nicht nach Osteuropa oder ins Baltikum"

     

    Und genau da ist das Problem, dass man links der Mitte nicht sieht.

    Die (meisten) Bürger Europas hätten gerne eine Regierung die fragt was die EIGENE Bevölkerung will und nicht das was Zugereiste wollen

  • "Besser wäre es gewesen, legale Fluchtwege zu schaffen, mit offiziellen, von den EU-Ländern bewilligten Kontingenten."

     

    Wie groß ein Kontingent sein soll, das Polen, Ungarn und Tschechien aufnehmen würden, haben diese Länder deutlich gesagt: 0!

    Deshalb mutet mir dieser Vorschlag fantastisch an.

     

    Ein nicht unwichtiger Faktor dürfte die Tatsache sein, dass der überwiegende Teil der Flüchtlinge Muslime sind. Solange die westeuropäischen Staaten Probleme mit islamistischen Anschlägen haben, wird sie da nichts bewegen. Die Logik in Osteuropa ist: Keine Muslime - keine Probleme.

    • @rero:

      Die Polen, Tschechen, Slowaken und Ungarn begründen ihre Nichtaufnahmebereitschaft mit dem Schutz vor potentiellem islamistischem Terror. Damit liegen sie wohl nicht ganz falsch. Denn bis dato ist wohl kein islamistischer Anschlag aus diesen Ländern bekannt.

    • @rero:

      'Bis heute gibt es keine legalen Fluchtwege in die EU'.

       

      Die EU ist mit 116 EW/km² der am dichtesten besiedelte Teil dieses Planeten, während Asien nur 90 EW/km², Afrika nur 30 EW/km², Amerika nur 21 EW/km² und Australien nur 3 EW/km² aufweisen.

       

      Europa platzt an vielen Stellen schon aus den Nähten, weite Bereiche sind versiegelt, während die Natur immer mehr zurückweicht. Armen Menschen sollten dort Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, wo noch ausreichend Ressourcen dafür vorhanden sind.

  • Besser wäre es, nur solche Leute in das Land zu lassen, denen dies von Rechts wegen zusteht und alle anderen abzuweisen.

  • Der Artikel beginnt mit "Wer nicht solidarisch ist, muss bestraft werden."

    - stimmt denn diese Aussage? Solidarität ist freiwillig und MUSS freiwillig bleiben. Sonst wird der Begriff ad absurdum geführt.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...besser wäre es gewesen, Menschen als Menschen zu behandeln.

  • "Besser wäre es gewesen, legale Fluchtwege zu schaffen, mit offiziellen, von den EU-Ländern bewilligten Kontingenten."

     

    Besser wäre es, an die Fluchtursachen ranzugehen. Und egal was als Auslöser am ende steht, die Demographie spielt immer eine Rolle.

    https://www.google.de/publicdata/explore?ds=d5bncppjof8f9_&met_y=sp_pop_totl&idim=country:SYR:IRQ:SAU&hl=de&dl=de#!ctype=l&strail=false&bcs=d&nselm=h&met_y=sp_pop_totl&scale_y=lin&ind_y=false&rdim=region&idim=country:SYR:SOM:SEN:IRL:AFG&ifdim=region&hl=de&dl=de&ind=false

     

    Zig Mrd in die Hand und Missionäre der Bevölkerungskontrolle in die Welt ausschicken.

  • Zitat: “Keine Frage: Wer nicht solidarisch ist, muss bestraft werden.“

     

    Eric Bonse ist Jahrgang 1960, steht neben seinem Text. In Hamburg hat er Politikwissenschaften studiert. Danach sei er nach Paris und Brüssel gegangen. Offenbar ist ihm nirgendwo auf seinem Lebensweg jemand begegnet, der ihm hätte erklären können, dass schwarze Pädagogik nicht mehr zeitgemäß ist.

     

    Nein, „wer nicht solidarisch ist“, der muss nicht „bestraft werden“. Der muss erfahren, dass Solidarität ihm gut tut. Diese Lektion steht offenbar für viele Ungarn, Polen und Tschechen noch aus. Sehr schade also, dass sie sie gar nicht mehr lernen wollen. Weil sie schon fest überzeugt sind, sie würden eh nur wieder belogen und betrogen von den Lehrern.

     

    Nein, liebe EU: Wenn man die Wirtschaft fördert, damit diese wettbewerbsfähiger wird, weil sie mehr Leute entlassen kann als sie behalten muss, der wird nicht als solidarisch wahrgenommen. Zumindest nicht von den „Kostenfaktoren“. Der braucht sich über mangelnde Dankbarkeit also auch nicht zu wundern. Kostenfaktoren haben nämlich gar keine Moral.

     

    Ja, streng genommen müsste Brüssel nicht nur „die Osteuropäer“ und Angela Merkel strafen, sondern auch sich selbst. Wenn Strafe denn tatsächlich jemanden bessern könnte. Was sie, wenn man den Profis glaubt, nicht schafft. Bis heute nämlich begreift sich „die EU“ ausschließlich als Wirtschafts-Schlaraffenland.

     

    Sie ist die merkantile Zwillingsschwester der martialischen NATO. Ihre Väter (und Mütter) waren nie auf Solidarität aus, sondern immer auf Wettbewerbsfähigkeit bzw. Durchschlagskraft. Dass jene Masse, die man da geschaffen hat mit seiner unhinterfragten Macht, aus Menschen besteht, die sich nicht als Manövriermasse fühlen wollen, hat man bis heute nicht kapiert.

     

    Merke: Welche Farbe die Haut eines Menschen hat, ist dem Gefühlshaushalt ziemlich egal. Wer das nicht rechtzeitig kapiert, den straft das Leben – wenn es nicht schon vorher die Leute tun, denen er auf den Schlips getreten ist.

    • @mowgli:

      Danke für diesen großartigen Kommentar. Er ist mir aus der Seele gesprochen. Großes Kompliment!!!

  • Dann wollen wir mal hoffen, dass Ungarn nicht seine EU- Außengrenze öffnet als Antwort auf eine eventuelle Bestrafung, und alle Geflüchteten im Einvernehmen mit Österreich nach Deutschland durchwinkt. Würde der AfD viele Wählerstimmen bringen und unsere Kanzlerin in Erklärungsnot.

    • @Hans-Georg Breuer:

      Dann wollen wir mal nicht hoffen, dass Deutschland alle Zahlungen an die EU einstellt. Das Haushaltloch in Ungarn wäre enorm und würde Orban in Erklärungsnot bringen.

      • @yeay:

        Hätte aber wahrscheinlich den Preis, dass die EU dann endgültig zerfällt.

         

        Ich bin dafür :)

  • Der zentrale Punkt der europäischen und auch der deutschen Politik mit Ländern in Afrika ist die Abschottung gegen Menschen aus jenen Ländern und der freie Zugang zu den Rohstoffen des Kontinents für europäische Konzerne. Menschenrechte spielen keinerlei Rolle.

    • @Der Alleswisser:

      Die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in Afrika sind eher geringer Natur und im Zweifel verzichtbar.

    • @Der Alleswisser:

      Menschenrechte werden auch nur dann wichtig wenn die Opfer dieser Menschenrechtsverletzungen an unserer Grenze stehen.

       

      Davor interessieren die wirklich keine Sau.