Kommentar EU-Flüchtlingspolitik: Doppelmoral ist auch Moral
Die EU will, dass die Türkei ihre Grenzen für Flüchtlinge öffnet und schließt zugleich ihre eigenen. Aufgehen wird die Abschottungsstrategie nicht.
S o deutlich wie an diesem Wochenende wurde Doppelmoral selten gezeigt: Einerseits forderte die EU von der Türkei, ihre Grenze für zehntausende neuer Flüchtlinge aus Syrien zu öffnen. Gleichzeitig aber überlegte die EU, wie sie ihre eigenen Außengrenzen zur Türkei wirksam vor dem Flüchtlingszustrom sichern kann.
Als Optimist könnte man festhalten, dass Doppelmoral immer noch besser ist als völlige Skrupellosigkeit. Immerhin wird von der Türkei nicht verlangt, die Grenzen zu Syrien zu verriegeln, weil manche der Flüchtlinge sonst Richtung EU weiterreisen könnten. Zumindest von der Türkei wird also Hilfe für die syrischen Flüchtlinge erwartet.
Und man kann nicht sagen, dass die Türkei, die eh schon über zwei Millionen Syrer aufgenommen hat, völlig untätig bliebe. Sie öffnet zwar (noch) nicht ihre Grenzen, aber sie richtet doch Flüchtlingslager auf syrischem Gebiet ein. Was will die EU dagegen sagen?
So ähnlich will sie mit den Flüchtlingen ja auch verfahren: Diese sollen möglichst jenseits der eigenen Grenzen versorgt werden - zum Beispiel in der Türkei, die die EU gerne als großes Flüchtlingsheim am Rande Europas missversteht.
Doch auch künftig wird ein Teil der Flüchtlinge nicht in der Türkei bleiben wollen, egal was EU und türkische Regierung vereinbaren. Wenn dann aber an der geschlossenen Grenze von Mazedonien 100.000 Flüchtlinge lagern, die weder vor noch zurück können, die hungern und verzweifeln, dann wird auch in der EU, zumindest in Deutschland, die Stimmung wieder kippen.
Dann wird von Mazedonien eine Öffnung der Grenzen gefordert, so wie jetzt von der Türkei. Und natürlich wird der Großteil der Flüchtlinge wieder in Deutschland landen. Doppelmoral ist zum Glück nicht auf Dauer durchzuhalten.
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