Kommentar Dopingfälle vor Olympia: Die Russen verprellt man nicht
Wegen Doping alle russischen Athleten von den Spielen ausschließen? In der Funktionärslogik des IOC geht das nicht. Aber es gäbe eine Lösung.
G ewichtheber aus Bulgarien und Kanuten aus Rumänien und Weißrussland sind schon mal nicht dabei, wenn in Rio de Janeiro um olympische Medaillen gekämpft wird. Etliche Dopingfälle führten zum Ausschluss der Landesverbände. Diese Hemdsärmeligkeit im Antidopingkampf freut zum Beispiel die deutschen Kanuten, die nun mit mehr Athleten nach Brasilien fahren können.
Es könnte so kurz vor den Sommerspielen noch mehr Nachrücker geben, denn das Internationale Olympische Komitee berät darüber, sämtliche russische Athleten von den Olympischen Sommerspielen auszuschließen, also knapp 400 Sportlerinnen und Sportler. Es wäre eine Kollektivstrafe.
Der Report der Internationalen Antidopingagentur Wada, der sich auf die Aussagen des ehemaligen Leiters des Moskauer Dopingkontrolllabors, Grigori Rodschenkow, stützt, legt so einen Schritt nahe. Warum? Weil die Steuerung dirigistisch von oben nach unten erfolgte. Weil das Sportministerium um Witali Mutko in führender Rolle beteiligt war. Weil konkrete Dopingpläne ausgearbeitet wurden. Weil Proben ausgetauscht und vernichtet wurden. Weil positive Befunde vertuscht worden sind.
Die Ermittlungsergebnisse sind eindeutig. Sie zeichnen das Bild einer Sportnation, die den olympischen Medaillenkampf wieder in einer Weise politisiert und instrumentalisiert hat, wie man das nur aus Zeiten des Kalten Krieges kannte. Damals gab es auch Dopingstaatspläne und in den Laboren sogenannte Ausreisekontrollen, wodurch sichergestellt wurde, dass die Substanzen zur Leistungssteigerung nicht mehr nachweisbar waren, wenn die Sportler im Ausland zum Wettkampf antraten.
Was nun besonders für Empörung sorgt, ist die Tatsache, dass es wieder eine Zentrale der Manipulation gegeben hat, und nicht, wie in westlichen Demokratien üblich, dezentrale nichtstaatliche Dopingcluster wie etwa im Fall des Balco-Labors in den USA. Das russische Betrugssystem erscheint deswegen monumentaler und perfider, weil es wie in den 70er oder 80er Jahren von autokratischer Hand geführt wurde.
Russen in irgendeiner Form teilnehmen lassen
Das Internationale Olympische Komitee ist nun in der Bredouille. Es muss strafen. Es ist aber unfähig, mit letzter Konsequenz strafen. Der Wille, die Russen in irgendeiner Form teilnehmen zu lassen, schimmert bei den Erklärungen von IOC-Chef Thomas Bach deutlich durch.
In der Funktionärslogik des IOC geht es nicht ohne die Sportgroßmacht Russland, den Zweiten im ewigen olympischen Medaillenspiegel. So eine Klientel verprellt man nicht, zumal es über Jahrzehnte gewachsene Allianzen und Lobbystränge gibt.
Doch wenn das IOC den Russen die Tür nicht vor der Nase zuschlagen will, hilft vielleicht auch in diesem Fall der bisweilen verquere Pragmatismus des Sportrechts, den ja schon die bulgarischen Gewichtheber oder die weißrussischen Kanuten zu spüren bekommen haben.
Diese Verbände wurden wegen systematischen Dopings gesperrt, weil zwischen fünf und elf Athleten innerhalb kurzer Zeit positiv auf verbotene Substanzen getestet worden waren. Eine praktikable Lösung könnte nun zum Beispiel so lauten: Alle russischen Verbände, bei denen mehr als drei Dopingfälle vertuscht worden sind, werden mit einem olympischen Bann belegt.
Das beträfe nach dem McLaren-Report der Wada zuallererst die russischen Leichtathleten; ihr Einspruch gegen eine Olympiasperre wurde ohnehin am Donnerstag vom Sportgerichtshof CAS abgeschmettert. Zuhause bleiben müssten nach den Erkenntnissen der Wada aber auch die russischen Gewichtheber, Ringer, Kanuten und Schwimmer, die Ruderer, Boxer, Taekwondo-Kämpfer, Fechter, Triathleten, Modernen Fünfkämpfer und die Sportschützen.
Segler und Volleyballer jedoch oder die russischen Wasserballerinnen, die sich für Olympia qualifiziert haben, könnten nach Rio fahren. Es wäre nur ein kleines russisches Olympiateam, aber eins, das vielleicht sogar einen Trend setzen könnte. Denn eines ist klar: Diese Spiele müssen sich gesundschrumpfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Die Wahrheit
Der erste Schnee