Kommentar Deutsch-russisches Verhältnis: Signale der Entspannung
Ohne Kompromisse geht es nicht. Es ist richtig, dass die SPD wieder ein Grundverständnis für die russischen Positionen demonstriert.
M anöver, Sanktionen und ein vergessener Jahrestag: Im Verhältnis zwischen Moskau und Berlin ballen sich in dieser Woche Jahrzehnte einer schwierigen Beziehung. Wer die Gemengelage zumindest halbwegs passend zusammenfassen möchte, kann dabei dreierlei feststellen.
Erstens: Vor 75 Jahren marschierten Deutsche in die Sowjetunion ein, auf einer Front von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Das ist ein Fakt. Zweitens: Jahrzehnte später haben Deutsche und Russen wieder ein schwieriges Verhältnis. Die SPD möchte das ändern und liegt damit richtig. Drittens: Die CDU beschimpft die Sozialdemokraten als Putin-Versteher, die östlichen Nato-Staaten sorgen sich um die deutsche Solidarität. Das ist verständlich und trotzdem falsch.
Es ist ja nicht so, dass die SPD keine Rücksicht auf die Sorgen der Osteuropäer nimmt. Für Ukrainer, Balten und Polen waren im Krieg nicht nur die Deutschen Gegner, sondern auch die Russen. Diese Erfahrung, die der Nachkriegszeit und die der vergangenen Jahre verursachen natürlich Ängste. Und die europäischen Nachbarn nehmen diese Ängste ernst: Die EU verlängert Sanktionen gegen Russland, die Nato übt im Osten und stockt ihre Truppen im Baltikum auf – all das mit Beteiligung der Sozialdemokraten.
Wer Verständnis für die eigene Perspektive verlangt, muss Verständnis für die der Gegenseite zumindest ertragen. Nicht mehr als ein Grundverständnis für die russische Position bringt die SPD nun auf.
Der Einmarsch der Wehrmacht und die Millionen Toten in den Jahren darauf sind auch für Russen ein nationales Trauma. Dass daraus Angst vor neuen Aggressionen eines von Deutschen dominierten Europas entsteht, muss man nicht mal nachvollziehen – aber zumindest zur Kenntnis nehmen. So wie die Sozialdemokraten, die in diesen Tagen für jedes Signal der Abschreckung ein Signal der Entspannung nach Russland senden. Die Nato rückt nach Osten? Steinmeier warnt im Interview vor „Säbelrasseln“. Die EU verlängert Sanktionen? Gabriel fliegt zum Putin-Besuch nach Moskau.
Solche Kompromisse befriedigen keine Seite vollends, das liegt in ihrer Natur. Ohne sie geht es aber auch nicht – und schon gar nicht auf einem Kontinent mit dieser Geschichte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern