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Kommentar Brexit-AbstimmungTheresa Mays Chance

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Zum zweiten Mal ist Mays Brexit-Deal gescheitert. Ist das ihr Ende? Vielleicht. Sie hat es jedoch in der Hand, ihren Abgang mit einem Coup zu verknüpfen.

Theresa May hat noch mindestens einen Joker in der Hand Foto: ap

W ar's das? Es ist verlockend, aus Theresa Mays zweiter gigantischer Niederlage im Parlament für ihren Brexit-Deal auf das Ende der britischen Premierministerin zu schließen. Nach wochenlangem Hin und Her und spannungsgeladenen Gesprächen mit der EU immer noch Schiffbruch zu erleiden ist schließlich eine deutliche Abfuhr. Selbst wenn die Mehrheit gegen den Deal von 232 auf 149 Stimmen geschrumpft ist – es ist eine Niederlage historischen Ausmaßes.

Da bleibt der Regierungschefin doch nur der Rücktritt, könnte man meinen. Und es könnte tatsächlich so kommen – aber nicht als Eingeständnis des Scheiterns, wie man denken könnte. Das gehört nicht zum politischen Werkzeugkasten dieser Politikerin.

Theresa May wäre nicht Theresa May, wenn sie nicht versuchen würde, aus einer schlechten Ausgangsposition das beste zu machen. Sie ist noch nie zurückgewichen, wenn alles gegen sie sprach, sondern hat dann erst recht auf ihrem Kurs bestanden. Und auch die Abstimmungen der nächsten Tage – bei denen das Parlament sagen soll, ob es einen No-Deal-Brexit ablehnt und ob es eine Brexit-Verschiebung wünscht – haben es jetzt in sich.

Bei der Vorlage zur No-Deal-Abstimmung am Mittwoch hat die Premierministerin nämlich einen Trick eingebaut: der Regierungsantrag, laut dem das Parlament sich gegen einen No-Deal-Brexit ausspricht, enthält zugleich die Zurkenntnisnahme, dass das Fehlen eines Deals trotzdem zum No-Deal-Brexit führt. Heißt: Wer für diesen Antrag stimmt, stimmt sowohl gegen als auch für No-Deal.

Mays freundliche Erinnerung

Das ist Mays Art, die Abgeordneten daran zu erinnern, dass es ohne eine Zustimmung zu ihrem Vertragswerk kein Entrinnen aus der Brexit-Endlosschleife geben kann. Man kann No-Deal nicht vom Tisch nehmen – No-Deal ist die Leere, die bleibt, wenn alles andere vom Tisch heruntergefallen ist.

Und auch ein Antrag auf eine Verschiebung, der am Donnerstag auf der Tagesordnung stehen soll, wäre keineswegs unproblematisch. Die Bereitschaft in der EU, Großbritannien einen Aufschub zu gewähren, ist spürbar geschrumpft. Die Zeit für Kompromisse mit den Briten ist vorbei. Man will nicht mehr endlos über juristische Spiegelfechtereien in obskuren Unterparagraphen über hypothetische Zukunftsszenarien streiten, die kein vernünftiger Mensch mehr versteht.

Man will die Briten auch nicht mehr bei den Europawahlen dabei haben. Sollen sie doch gehen, ist die überwiegende Meinung; und wenn sie sich untereinander nicht einig sind, ist das ihr Problem und nicht das der EU. Europa möchte dem Trauerspiel namens Brexit ein Ende setzen.

Am Ende könnte es also doch so kommen, dass Mays Deal alternativlos ist. Ihm jetzt einfach mal zuzustimmen erscheint immer offensichtlicher als der einzige Weg für Großbritannien, endlich einen Schlussstrich zu ziehen und das leidige Europathema vorerst hinter sich zu lassen. Aber auch das ist natürlich ein Irrglaube, denn mit diesem Deal beginnt eine Reihe von Übergangsphasen und Interimslösungen, die über Jahre hinweg für weiteren Streit mit Europa sorgen dürften.

Mays möglicher zweiter Deal

Aber solange Großbritanniens Politiker nicht den Mut aufweisen, einfach erstmal aus der EU auszutreten und danach weiterzusehen, bleiben sie in der Endlosschleife gefangen. Und Theresa May hat noch einen Trumpf in der Hand: Sie kann ein Ja zu ihrem Deal mit ihrem eigenen Abgang verknüpfen. Die Premierministerin könnte sagen: Wenn ihr Ja sagt, trete ich zurück.

Dann könnte eine neue Regierungsmannschaft die Umsetzung des Brexit übernehmen. Dass es für die ganzen kommenden schwierigen weiteren Verhandlungen mit der EU über die Zukunft, über Nordirland, Freihandel, Sicherheitspartnerschaft und all die anderen Themen frischen Wind brauchen wird, ist schließlich schon lange klar,

Das Parlament in London könnte noch rechtzeitig zum 29. März von May vor eine verlockende Form der Vertrauensfrage gestellt werden: Stimmt entweder für mich oder für meinen Brexit-Deal. Dann wäre das Abkommen gerettet. Und Theresa May würde als Inbegriff der Selbstaufopferung in die Geschichtsbücher eingehen. Es wäre ein ebenso absurder wie würdiger Abgang, passend zu diesem merkwürdigen, geschichtsträchtigen, von Absurditäten begleiteten Vorgang namens Brexit.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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17 Kommentare

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  • Der unbefristete Backstop ist meines Erachtens inakzeptabel.



    Die Ulster Nordiren wuerden bei dem Deal sowieso aus der Regierung aussteigen.

  • „Juristische Spiegelfechtereien“ trifft's hier schon ziemlich genau.

    Mich erinnert das alles sehr an eine dreiste Verarsche einiger Versicherungsunternehmen. Da steht dann im Vertrag: „Bei einer Beitragserhöhung können Sie innerhalb eines Monats kündigen“. Wenn Sie das tatsächlich mal machen, dann wird ihre Kündigung einfach bis ins nächste Versicherungsjahr liegengelassen und danach dann als „Widerspruch gegen die Beitragserhöhung“ behandelt und Sie erhalten bestenfalls den erhöhten Teil des Beitrags zurück und sind danach „unterversichert“ mit allen Konsequenzen im Versicherungsfall. Angeblich ist das alles so rechtens - und wer klagt schon 150€ ein bei 150€ Selbstbeteiligung in der Rechtsschutzversicherung? Gefickt eingeschädelt - und komplett am Ding vorbei.

  • Gilt Mays Trumpf nur scheinbar?, ein Ja zu ihrem Deal mit ihrem eigenen Abgang verknüpfen. Die Premierministerin könnte sagen: "Wenn ihr Ja sagt, trete ich zurück.", weil bisheriger Verlauf seit 2016 belegt, dass Tories ohnehin stets dann zu May halten, wenn es darum geht, sich vor vorgezogenen Neuwahlen zu bewahren, May im Premier Amt zu halten. Womit wir in weltweiten Zusammenhang gelandet sind:

    Das Scheitern britischen Unterhauses, sich inhaltlich klar argumentativ für oder gegen Brexit, wenn ja, mit oder ohne Deal zu entscheiden, geht über Großbritannien hinaus, angesichts asymmetrischer Demobilisierung von Debatten mit populistischen Mitteln, die den Parlamentarismus weltweit in gegenwärtiger Form, bombastisch theophrastisch mit Slogans munitioniert, zur Disposition stellen. Warum?, vielleicht weil Parlamentsparteien, gleich in welchem demokratisch verfasstem Land, sich außerstande erweisen, aus ihren Reihen, fördernd Persönlichkeiten emporkommen zu lassen, die sich, mit Charisma, Charme, Melone, nicht nur für sich, neben Chancen im Karriere Pool, über eigene Parteikaderinteressen hinaus für gemeinsame Sache engagieren, wenn es in Krisen um Staatsräson geht, statt im Geschwistergerangel Modus zu verharren, der dazu führt, dass alle, auf dem Karrieregleis komplizenschaft verschworen, in suboptimale Machenschaften verstrickt, stets auf der Mauer, auf der Lauer, bei hohem Erregungspegel auf der Palme, keiner dem anderen, die Butter auf dem Frühstücksbrot gönnt, außer die wird geschwisterlich geteilt?

    Wenn ja, ist der EU anzuraten, Europäischen Stabilisierungs Mechanismus (ESM) für Parlamentarische Krisenfälle, siehe Brexit Verlauf mit inhaltlich entscheidungslos britischem Unterhaus, nachträglich in den Lissabon Vertrag zu implementieren, der darin besteht, dass die EU wie in sog Finanzkrise Griechenland in Parlamentskrise UK legitimiert, zu bestimmende Troika befristet entsendet, treuhänderisch EU Angelegenheiten aufs Parlaments Gleis zu setzen?

  • Von Anfang ging es darum, den Brexit zu verhindern, ohne den "durch Betrug erschwindelten Volkeswillen" des Referendums zu übergehen. Die Zuspitzung bis zu den letzten Tagen dient dazu, dem Volk zu zeigen, wie töricht und dumm der Brexit war und ist.



    Im Sommer, vielleicht gar schon am 26.Mai wird das zweite Referendum erfolgen.

    • @robby:

      Stimme ihnen insofern zu, als es tatsächlich darum ging den Brexit zu verhindern. Nur: diesen Versuch muss man als gescheitert erachten.

      Das von den Remainern herbeigesehnte 2. Referendum ("Peoples Vote") ist nicht in Sicht - und daß obwohl die Remainer selbst im Parlament in der Überzahl sind. D.h. selbst wenn die Remainer nun wirklich endlich mal ernsthaft ein 2.Referendum anstreben sollten, sie werden es nicht bis zum 26. Mai auf die Beine stellen können - dafür werden die Brexiteers sorgen. Allerdings ist es nahezu ausgeschlossen, daß die EU einer möglichen und wahrscheinlichen Verschiebung des Austrittsdatums über den 26. Mai hinaus zustimmt - allein schon aus Eigenschutz. Denn dies würde bedeuten, daß GB an der Europawahl teilnimmt und in folge dessen "Brexit Warrior Nummer 1" Nigel Farage mit seiner neu gegründeten "The Brexit Party" ins EU Parlament einzieht. Und das Parlament hat bereits jetzt genug mit dem erwartbaren Zugewinnen der Rechtspopulisten zu kämpfen; das letzte was es nun noch braucht ist ein trojanisches Pferd.

      Auf der anderen Seite: May scheint immer noch zu glauben, daß, obwohl bereits zweimal krachend gescheitert, ihr Deal im letzten Augenblick doch noch aus Angst vor "No deal" eine Mehrheit finden wird. Dies ist aber nur möglich wenn, Corbyn und mit ihm noch zahlreiche andere Labourabgeordnete ihre bisherigen Positionen um 180° drehen würden oder aber die "Hardcore Brexiteers", denen "No deal" ohnehin lieber als der "May deal" ist sich plötzlich doch noch für den "May deal" erwärmen könnten. Beides ist nahezu ausgeschlossen.

      Und die EU hat ihrerseits vehement klar gemacht, daß nicht mehr verhandelt wird.

      Und so wird es Ende März zum "No deal" kommen.

  • Abstrus, abstruser, Johnson. Es gibt doch noch nicht mal eine Mehrheit gegen May. Und die Annahme ihr Abgang könnte ausreichend vielen Parlamentariern es wert sein, dafür dem Deal ihre Zustimmung zu geben, ist grotesk und schlichtweg unpolitisch.

  • Wo ist das Problem? Einfach das Volk enscheiden lassen, ob Sie den Deal wollen oder ohne Deal aussteigen wollen? Mit allen Konsequenzen!

  • Was steckt wirklich hinter der Weigerung Mays ein neues Referendum durchführen zu lassen? Das Argument, das Volk habe 2016 entschieden, ist absurd, angesichts der inzwischen vergangenen 3 Jahre und der neuen Realitäten, die entsanden sind. Die älteste Demokratie Europas zerlegt sich gerade selber.

    • @Rinaldo:

      aber dafür bleibt sie was sie ist:eine demokratie-und sei es auch nur eine bürgerliche-bliebe grossbrittanien in der eu so würde die zerstörung und aushöhlung seiner demokratischen institutionen durch die eu weitergehen.



      in ihrer heutigen form ist die eu eine waffe der reichen prokapitalistischen globalisierungsgewinnereliten gegen die demokratie.



      sie ist der versuch die demokratischen errungenschaften zugunsten einer neoliberalen extrem prokapitalistischen oligarchie abzuschaffen.



      dieser versuch wird scheitern.



      die eu ist ein absurder dysfunktionaler anachronismus



      dessen zeit um ist.



      sie hat die staaten die ihr angehören schon soweit verdaut dass sie die meisten staatlichen funktionen nicht mehr erfüllen können ist aber selbst kein staat geworden und kann und wird wegen ihrer inneren gegensätze auch keiner werden.



      nach dem bruch mit den angelsachsen wird es zu einem dauerkonflikt zwischen deutschland ,dass europa weiter den neoliberalismus aufzwingen will und frankreich ,dass die politische neugründung des romanisch-hellenistischen europas vorbereitet kommen.



      dieser konflikt hat schon begonnen und wird sich in den nächsten jahren vertiefen.

    • @Rinaldo:

      Die Briten haben mit Austritt gestimmt. Ein erneutes Referendum durchzuführen wäre das schlimmste überhaupt. So verliert man jegliche Glaubwürdigkeit an kommende Abstimmungen, weil einfach solange abgestimmt wird bis es der Regierung passt.

      Das Referendum von 2016 war fair und wurde korrekt durchgeführt. Das Ergebnis steht und nun sollen sie es endlich durchziehen.

      • @Henrik WM:

        www.zdf.de/dokumen...emokratie-102.html

        Wie schon erwähnt wurde, war die Kampagne für den Brexit mehr als fragwürdig.

        Vor der Abstimmung wurde eine Abgeordnete umgebracht, die sich gegen den Brexit engagierte. Ob die Tat im direkten Zusammenhang zum Wahlkampf stand ist mir nicht bekannt, aber "fair und korrekt" finde ich ist nicht die passende Umschreibung für all diese Geschehnisse.

      • @Henrik WM:

        Was spricht denn dagegen, sich das Ergebnis des Brexit-Verfahrens noch einmal vom Volk bestätigen zu lassen:

        "Ist es das, was ihr gewollt habt?"

        Es ist ja bekannt, dass gerade das Brexiteer-Lager mit vielen Unwahrheiten, um nicht zu sagen, mit dreisten und ganz bewussten Lügen, bewusst Stimmung gemacht hat.

        Es zeugt halt auch nicht von Weisheit, einen Holzweg konsequent zu Ende zu gehen und stumpf aus Prinzip auf ein einmal gefälltes Ergebnis zu beharren.

      • @Henrik WM:

        Volksabstimmungen, die nicht von unten etwa durch Unterschriftensammlung initiiert werden, und klaren rechtlichen Normen entsprechen, sondern von oben aus machttaktischen Kalkül angeordnet werden, sind eh nicht gerade demokratisch. Kein Wunder, dass Autokraten gerne solche Plebiszite veranstalten. Unter Hitler gab es zwei Volksabstimmungen, 1934 über die Zusammenlegung der Âmter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten sowie 1938 über den Anschluss Österreichs.

      • @Henrik WM:

        absoluter humbug.

        1.) ein Referendum ist nicht rechtsverbindlich. das parliament hat immer das letzte wort. wer genau verliert glaubwuerdigkeit?



        2.) die pro-brexit bande hat gelogen das sich die balken biegen. 95% davon wurde widelegt.



        3.) die briten waehlen sowieso nicht gerne. es wird langsam zeit das sie sich entsinnen das proportional representation nicht auf dem menu stand, als sie ihre laecherliche voting reform 2011 durchfuehrten. mach so was in Frankreich und die autos werden abgefackelt.

      • @Henrik WM:

        tja, eben was ein referendum ist. eine flaechendeckende meinungsumfrage. die entscheidung liegt letztendlich beim parlament. welches scheinbar sich seiner verantwortung nicht bewusst ist und zu einem gefaehrlich grossen anteil aus alten weissen degenerierten maennern von elite-unis besteht, die noch nie in ihrem leben gearbeitet haben und keinen bezug zur realitaet haben.



        das politische system mit relativem mehrheitswahlrecht fuehrt zu diesen groben verschiebungen und zu lagerkaempfen, wie die ganze welt sie gerade miterleben muss (UK und USA).



        so schlimm es auch ist, das vereinigte koenigreich hat sich so was von ein bein gestellt und wird vermutlich nie wieder als solches sich erheben koennen.

        • @the real günni:

          Können Sie uns die Marke Ihrer Glaskugel nennen? Meine scheint nicht so glasklare Zukunftsszenarien zu liefern wie die Ihre.

          • @Lara Crofti:

            tja, augen auf beim glaskugelkauf