Kommentar Brandanschlag in Tröglitz: Die Barbarisierung des Abendlandes
Gewaltdelikte und verbale Pöbeleien gegen Flüchtlinge und Ausländer nehmen exponentiell zu. Die NPD hat dafür den Boden bereitet.
D ie brennende Asylbewerberunterkunft in Tröglitz weckt Erinnerungen an die pogromartigen Attacken auf Ausländerunterkünfte in Hoyerswerda und Rostock 1991. Doch anders als damals entlud sich in dieser Karfreitagnacht nicht der Gefühlsstau von der Einheit enttäuschter Ossis gegenüber den noch Schwächeren. Mit der exponentiellen Zunahme von Gewaltdelikten und verbalen Pöbeleien gegen Flüchtlinge und Ausländer gehen gleich mehrere giftige Saaten der vergangenen Jahre auf.
Die NPD hat dafür den Boden bereitet. Als politische Kraft beinahe bedeutungslos geworden, genießt sie paradoxerweise mit dem wachsenden Flüchtlingsstrom späte Erfolge. Die Tröglitzer Drohungen und Proteste wurden maßgeblich vom NPD-Funktionär Steffen Thiel organisiert. Und den geistigen Brandstiftern kommt überall in Deutschland und Europa ein Klimawandel entgegen. Studien belegen die weite Verbreitung von Nationalismus und Ressentiments gegenüber dem Fremden.
„Wohnzimmer-Rassismus“ nennt das beispielsweise eine ausländische Dozentin an der TU Dresden. Was vor Pegida noch mit einem Tabu belegt war, gilt inzwischen als selbstverständliche freie Meinungsäußerung. Ein Pegida-Plakat „Was früher normal war, gilt heute als rechts“ stellt die Tatsachen genau auf den Kopf. Was lange als rechtsextrem galt, zählt inzwischen zur Normalität! Deshalb soll die „Lügenpresse“ Leute, die kaum noch kaschierten Hasspredigten applaudieren, ja auch nicht als Nazis bezeichnen dürfen.
Diese Rechtsverschiebung geht einher mit der Radikalisierung und Barbarisierung des öffentlichen und politischen Diskurses. Wir entsetzen uns über die Gräuel von islamistischen Attentätern und Terrormilizen und bemerken nicht, wie wir sie gedanklich und verbal längst kopieren. Im anonymen Internet gibt es die Hemmschwellen öffentlicher Plätze nicht mehr, da kann jeder zur Vergasung Andersdenkender aufrufen. Ein kleiner Schritt nur noch bis zur tatsächlichen Ausführung eines Brandanschlages.
Keiner dieser „Verteidiger“ des christlich-deutsch-provinziellen Abendlandes hat je das biblische Neue Testament gelesen. Bei Matthäus 25 verheißt Jesus denen ewige Belohnung, die Hungrige gespeist und Obdachlosen Unterkunft gewährt haben. „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“, mahnt er. Es ist mehr als eine Spekulation, dass die alarmierende Entfernung von solchen europäischen Wurzeln, die schleichende Barbarisierung ihre Ursache letztlich in der ökonomischen Radikalisierung hat. Man muss kein Marxist sein, um eine solche These für plausibel zu halten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW