Kommentar Bekennendes Schwarzfahren: Anarchistische Winkeladvokaten
Höchstens ein juristisches Kuriosum: Der offensive Umgang mit der „Beförderungserschleichung“ wird noch keine politische Debatte auslösen.
Ich fahre schwarz.“ Mit derartigen Schildern, T-Shirts und Mützen wollen anarchistische Aktivisten den Verkehrsbetrieben ein juristisches Schnippchen schlagen und sich zugleich für kostenlosen Nahverkehr einsetzen. Das mit dem Schnippchen könnte hier und da vielleicht sogar klappen, ob die Aktionen aber politisch die gewünschte Wirkung haben, ist zweifelhaft.
Das Strafgesetzbuch wertet das Schwarzfahren als „Erschleichen von Leistungen“ und die Aktivisten weisen zu Recht darauf hin, dass bei der offensiven Zahlungsverweigerung von einem „Erschleichen“ keine Rede sein kann. Juristisch ist die Argumentation also nicht abwegig.
Was aber ist damit gewonnen? Selbst wer strafrechtlich freigesprochen wird, muss trotzdem für die Fahrt das „erhöhte Beförderungsentgelt“ von 40 bis 60 Euro zahlen. Von kostenlosem Schwarzfahren kann also keine Rede sein.
Und selbst wenn einzelne Amtsgerichte den Aktivisten recht geben, so kann das Urteil in der Berufung korrigiert werden. Und sollte am Ende sogar der Bundesgerichtshof eine strafrechtliche Lücke feststellen, wird der Bundestag sie eben alsbald schließen.
Das bloße Ausnützen einer Gesetzeslücke löst ja noch keine Diskussion über kostenfreien Nahverkehr aus. Wenn es gut läuft, wird die politische Forderung in den Medien am Rande erwähnt. In der Regel werden solche Aktionen aber eher als „dreistes“ Manöver und juristisches Kuriosum wahrgenommen.
Die Aktion ist quasi das Gegenteil von zivilem Ungehorsam. Man trägt nicht stolz die Folgen der Gesetzesübertretung, um auf ungerechte Gesetze hinzuweisen, sondern man greift zu winkeladvokatorischen Argumenten, um sich den Folgen zu entziehen. Der Trick steht im Mittelpunkt, und das ist eher unpolitisch.
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