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Kommentar Bekennendes SchwarzfahrenAnarchistische Winkeladvokaten

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Höchstens ein juristisches Kuriosum: Der offensive Umgang mit der „Beförderungserschleichung“ wird noch keine politische Debatte auslösen.

Kostenlos im Nahverkehr? Der Zug ist abgefahren. Bild: dpa

Ich fahre schwarz.“ Mit derartigen Schildern, T-Shirts und Mützen wollen anarchistische Aktivisten den Verkehrsbetrieben ein juristisches Schnippchen schlagen und sich zugleich für kostenlosen Nahverkehr einsetzen. Das mit dem Schnippchen könnte hier und da vielleicht sogar klappen, ob die Aktionen aber politisch die gewünschte Wirkung haben, ist zweifelhaft.

Das Strafgesetzbuch wertet das Schwarzfahren als „Erschleichen von Leistungen“ und die Aktivisten weisen zu Recht darauf hin, dass bei der offensiven Zahlungsverweigerung von einem „Erschleichen“ keine Rede sein kann. Juristisch ist die Argumentation also nicht abwegig.

Was aber ist damit gewonnen? Selbst wer strafrechtlich freigesprochen wird, muss trotzdem für die Fahrt das „erhöhte Beförderungsentgelt“ von 40 bis 60 Euro zahlen. Von kostenlosem Schwarzfahren kann also keine Rede sein.

Und selbst wenn einzelne Amtsgerichte den Aktivisten recht geben, so kann das Urteil in der Berufung korrigiert werden. Und sollte am Ende sogar der Bundesgerichtshof eine strafrechtliche Lücke feststellen, wird der Bundestag sie eben alsbald schließen.

Das bloße Ausnützen einer Gesetzeslücke löst ja noch keine Diskussion über kostenfreien Nahverkehr aus. Wenn es gut läuft, wird die politische Forderung in den Medien am Rande erwähnt. In der Regel werden solche Aktionen aber eher als „dreistes“ Manöver und juristisches Kuriosum wahrgenommen.

Die Aktion ist quasi das Gegenteil von zivilem Ungehorsam. Man trägt nicht stolz die Folgen der Gesetzesübertretung, um auf ungerechte Gesetze hinzuweisen, sondern man greift zu winkeladvokatorischen Argumenten, um sich den Folgen zu entziehen. Der Trick steht im Mittelpunkt, und das ist eher unpolitisch.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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24 Kommentare

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  • Ob demonstratives Schwarzfahren dazu beiträgt, dass die Forderung nach einem steuerfinanzierten ÖPNV diskutiert wird, hängt natürlich wesentlich auch davon ab, wie die Medien darüber berichten. Da die aber "normale" Demonstrationen oft gar nicht mehr erwähnen, spricht doch einiges für derartige Provokationen. Dass ausgerechnet ein taz-Kommentator das nicht warh haben will ... Auch wenn die Aktivisten (noch) strafrechtlich ungeschoren davon kommen: Immerhin riskieren sie finanziell etwas.

  • Also ich als kleines Bankräuberchen gehe ganz offen damit um bei jedem Bruch. Dick und fett steht es auf meinem T-Shirt. Kann jeder sehen! Und ne fette Wumme hab ich auch dabei, damit auch dem letzten klar wird.

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @Arcy Shtoink:

      Das ist nichtmal juristisch haltbar. Es ist ein Unterschied, ob ich eine Dienstleistung erschleiche oder fremdes Eigentum unter Gewaltanwendung entwende.

      • @970 (Profil gelöscht):

        Nun ja, wenn man sich mit diesen T-Shirts in die Straßenbahn schleicht, wenn gerade kein Kontrolleur da ist, dann ist das doch irgendwie schon "Schleichen"

        • 9G
          970 (Profil gelöscht)
          @Arcy Shtoink:

          Aber das geschieht gewaltfrei. Der Banküberfall oder Einbruch nicht. Finde den Unterschied *seufz*

      • @970 (Profil gelöscht):

        Für unser aller Waffler -

         

        vulgo - Betteln mit der Waffe.

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Mir wurscht, was irgendein Winkeladvokat da draus dreht. Es ist unfair und dazu noch frech. Ich würde sagen: 40 Euro und ein paar hinter die Löffel.

  • Wer den ÖPNV nutzt nimmt eine invitatio ad offerendum an. Eine Einladung zum Abschluß eines Vertragsgeschäftes. Hier: Beförderungsvertrag. Auch stillschweigend, durch konkludentes Verhalten.

     

    Pappschild hin, oder her. Ohne Nutzen des Ticketautomaten, erschleicht er sich die Beförderung.

     

    Mundraub wiederrum ist straflos. Zechprellerei nicht. Auch nicht wenn bei Bestellung im Spaß verkündet wird; 'ich muss heute abwaschen'.

     

    Versteeehst ?.

    • @adagiobarber:

      da is noch was hin zum kl.StR-Schein;

      BGB - lassen wir mal gelten =Zahlemann&Söhne -

      aber - $ 265 a StGB ¿- steht im Abschnitt Betrug und Untreue - "…erschleicht…" -

      setzt sicherlich eine Täuschungshandlung voraus - und zum Rest dann - ist hier schon alles gesagt;

      (daß Juristen alles begründen können -

      ist zwar eine Binsenweisheit -

      im Strafrecht wirds dafür aber a weng eng.

    • @adagiobarber:

      Deutschland denkt legalistisch. Dabei schwingt bei vielen Gesetzen noch ein Hauch 1933-45 mit. Doch an eine umfangreiche Novelle des Strafrechts traut sich keiner. In der Diskussion fehlt der Unterschied zwischen der Auslegung aktuellen Rechts und der Gesetzgebung einschließlich der eines geänderten Grundgesetzes.

  • Das mit der Gesetzeslücke sehe ich auch so. Allerdings umgekehrt wie der Autor. Seit langem verfolge ich Gerichtsurteile in der Zeitung. Besonders aufgefallen war mir das Urteil über einen Schwarzfahrer, der drei Jahre ohne Bewährung bekam. Als Begründung wurde wiederholte Tatbegehung genannt. Viel Verständnis haben die Richter dagegen für Metalldiebe. Gut organisierte Banden mit ethnischen Deutschen und Nichtdeutschen kappen unter Spannung stehende Stromkabel, um sie bei Hehlern zu Geld zu machen. Dafür gibt es im allgemeinen Bewährungs- oder Geldstrafen. Der Nahverkehr steht jedes-mal stundenlang still, den Betreibern kostet es Millionen, die Schäden zu beseitigen. Ebenfalls Verständnis haben die Richter für das Sprengen von Geldautomaten. Manchmal sind die umliegenden Gebäude einsturzgefährdet. Trotzdem wird es als ''Sachbeschädigung' abgeurteilt mit entsprechend niedrigen Strafen. Doch auch 'Abziehen' ist beliebt. Obwohl das als Raub gewertet wird, zeigen die Richter auch hier Milde. Je brutaler und gewaltbereiter der Täter, desto geringer die Strafe. Denn agressiv offensives Verhalten zahlt sich im Gericht aus. Wem es gelingt, die Juristen einzuschüchtern, braucht kein hohes Strafmaß zu fürchten. Nur Schwarzfahren ist ein Offizialdelikt. Da gilt es den Strafrahmen bis zum Anschlag auszureizen.

    • @mdarge:

      Die Gesetzeslücke würde imho nur dann greifen, wenn gerade auch die Kontroleure anwesend sind. Nur weil man gerade die Mädels und Kids im Abteil mit seinen T-Shirt beindruckt, ist es noch kein offener Umgang mit dem Schwarzfahren.

    • @mdarge:

      Ob ich das alles so unterschreiben mag -

      mal dahingestellt -

       

      aber das roll-back - da is mehr als was dran - Flaschenfischer kriminalisieren etc

       

      Eigener Schandfleck aus den 70ern:

      Wiederholter &mehrfach geldbestrafter führerscheinloser Arbeitsloser am LKW-Steuer auf Wochenmärkten -

       

      Als Refi-StA-Sitzungsvertreter -

      Antrag auf Knast!! -

       

      Nach Gelstrafenurteil die streng-reservierte Richterin die volle Ohrfeige -

      "Antrag StA - völlig überzogen"

      Recht hattese & so gings mal.

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Typisch taz. In den 1970ern hättet ihr noch fleißig mitgesungen:

     

    "Nee, nee, nee, eher brennt die BVG!

    Ick bin hier oben noch ganz dicht

    Der Spaß ist zu teuer, von mir kriegste nüscht!

    Nee, nee, nee, eher brennt die BVG!

    Ick bin hier oben noch ganz dicht

    Der Spaß ist zu teuer, von mir kriegste nüscht!"

     

    Zitat: Ton Steine Scherben. Aber heutigen taz-Praktikanten und -Redakteuren muss man vermutlich sogar erklären, wer das war :-/

    • @970 (Profil gelöscht):

      Zitat: Ton Steine Scherben. Aber heutigen taz-Praktikanten und -Redakteuren muss man vermutlich sogar erklären, wer das war :-/

       

      AUF JEDEN FALL -

      BESSER IS DAS

      • @Lowandorder:

        Ich vermute aber das taz-Praktikanten in dem obigen Liedtext immerhin noch politische Aktionen erkennen können und diese von diesem T-Shirt-tragenden Bekennertum, welches in etwa auf Facebook-Niveau angesiedelt ist, unterscheiden können ;-)

  • Ich verstehe nicht, wieso Christian Rath es "eher unpolitisch" findet, wenn Aktivisten den "Trick [in den] Mittelpunkt" ihrer Aktionen stellen.

     

    Laut (Internet-)Lexikon ist "Politik", das Substantiv zu politisch, zu verstehen als "jegliche [Art der] Einflussnahme, Gestaltung und Durchsetzung von Forderungen und Zielen in privaten oder öffentlichen Bereichen“. Hier und heute aber ist es ja wohl durchaus üblich und/weil ausgesprochen erfolgversprechend, zu tricksen. Um Einfluss zu nehmen, um zu gestalten und um Forderungen oder Ziele durchzusetzen. Privat nicht weniger als öffentlich.

     

    Die (Un-)Sitte des Tricksens hat ganz offensichtlich nicht nur irgendwelche AUSWIRKUNGEN auf "das öffentliche Leben der Bürger, Handlungen und Bestrebungen zur Führung des Gemeinwesens nach innen und außen sowie [die] Willensbildung und Entscheidungsfindung über Angelegenheiten des Gemeinwesens". Sie ist ihre GRUNDLAGE. Die ganze westlichen Gesellschaft fußt darauf. Wenn das nicht durch und durch politisch ist - was ist es dann?

  • zumindest befasst sich nun ein Redakteur der Tageszeitung mit dem ungeliebten Thema. Das in Berlin sehr viele Schwarzfahrerinnen im Knast sitzen (ohne Fahrschein) ist eine Schande. Immerhin kostet jeder Knasttag schlappe 200 Euro.

  • Hm, wenn ich mich nicht täusche steht auf den Bahnsteigen allenorts "Zutritt nur mit gültiger Fahrkarte", insofern liegt vielleicht kein Erschleichen von Leistungen, sicherlich aber ein unbefugtes Betreten vor.

  • ooch wieder wahr - aber gemach -

     

    denn der BT - könnte ja auch auf die Idee kommen -

    es nicht (mehr) gleichheitssatzwidrig für die lower class

    (zu) kriminalisieren ( zu lassen) -

    z.B. - weil es nämlich es nämlich in

    IC und ICE - bekanntlich anders gehandhabt wird;

    da fängt das asoziale Kuriosum eigentlich erst an;

    Natalje - un nu kümmst du;)

    • @Lowandorder:

      Ich komme nicht ganz mit (erst 2 kleine Tassen Kaffee). Meinen Sie, dass man in den Fernzügen die Tickets noch im Zug kaufen kann?

      Da ist der Unterschied wohl leider ein ökonomischer. In IC und ICE lohnt sich das häufige Kontrollieren bzw. Nachverkaufen, weil da die Tickets ordentlich Geld kosten (zumindest die an Bord gekauften). Ne U-Bahn Kurzstrecke kost halt kaum was und bei den vielen Haltestellen die so ne U-Bahn hat würde man wohl auch nur Kurzstrecken verkaufen.

      Und Nahverkehr ganz kostenfrei fände ich auch falsch. Wo bleibt denn da der Reiz das Fahrrad zu nehmen? Aber günstiger wäre schon schön. Und bei Leistungsempfängern kann man den ÖPNV ja noch draufpacken.

      • @LeSti:

        @LOWANDORDER Ich komme nicht ganz mit (erst 2 kleine Tassen Kaffee). Meinen Sie, dass man in den Fernzügen die Tickets noch im Zug kaufen kann?

         

        so isset - plus 2/3€(?) Zuschlag - und Ende im Gelände;

        zum Rest - noch a weng coffie needich;)

        • @Lowandorder:

          Nee. Finde ich heute, nach der ersten Kanne immer noch richtig.